Alfa Romeo 155:Die Rückbesinnung auf die Sportlichkeit

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Extreme Keilform und ein elegantes Flair / Der Preis: von 36 000 Mark an aufwärts

(SZ vom 08.02.1992) Ein Getümmel wie im Karpfenteich - so könnte man die Situation in der automobilen Mittelklasse beschreiben. Dieser Teil des Marktes ist vor allem in Europa heißt umkämpft, weil nahezu jeder Hersteller in diesem Gewässer fischt. Auf diesem Markt angeln so etablierte Erfolgsautos wie der Audi 80, BMW 320i, der Mercedes Benz 190 und der VW Passat nach Käufern. Aber auch die japanischen Konkurrenten, beispielsweise der Mazda 626 und der Toyota Camry werfen ihre Leinen aus.

Auch Fiat ist mit dem Tipo und dem Tempra in der Mittelklasse vertreten. Dazu kommt noch der Lancia Dedra, der ebenfalls unter dem Dach des Turiner Großkonzerns entwickelt worden ist. Und Alfa Romeo, die ebenfalls unter seinen Fittichen agierende Automarke aus Arese, hielt für ihre eigenwillige Mittelklassekundschaft den keilförmigen Alfa 75 bei Gesundheit. Doch der darf jetzt - außer der einzig verbleibenden 1,8 Liter- Twin-Spark-Version - aufs Altenteil gehen. Von sofort angeht dessen Nachfolgemodell an den Start, nach Deutschland kommt es im April.

Alfa Romeo 155 heißt die neue Formel zur Belebung des alten Markenimages, das sich im wesentlichen auf die Rennerfolge längst verblaßter Zeiten stützt. Der neue 155 soll wieder an diese Alfa- Traditionen anknüpfen, sogar Rennen fahren und, wenn es nach dem Willen seiner Väter geht, zum Synonym für Sportlichkeit und Rasse made in Italy avancieren.

Grundlage der 155er-Existenz ist die Zusammenarbeit der verschwisterten Firmen Fiat, Lancia und Alfa Romeo, die Alfa den Griff in den Konzernbaukasten ermöglicht und somit viele Jahre Entwicklungszeit sparen hilft. Ein Beispiel dafür ist die Bodengruppe des 155. Sie stammt von Tipo und Dedra. Darauf aufbauend, mußte die Limousine selbstverständlich Frontantrieb bekommen.

Abkehr von den Vergangenheit

Mit dem viertürigen 155 nimmt Alfa nun endgültig Abschied von Tugenden, die die Typen 1900, Giulia, Giulietta und 75 sorgsam pflegten. Ihnen hält der 155 sein modernes Fahrzeug- und Motorenkonzept mit quer eingebauten Motoren und Frontantrieb, das von einer Allradversion gekrönt werden wird, entgegen.

Vom Start an stehen vier Motoren zur Auswahl, die in Deutschland erst sukzessive zum Einsatz kommen. Das Einstiegsmodell ist der neue 1,8 Twin Spark mit einem Motor aus Leichtmetall. Seine 93 kW (129 PS) gestatten eine Höchstgeschwindigkeit von knapp über 200 km/h, sein maximales Drehmoment von 165 Nm liegt bei 5000/min an. Diese Version wird uns erst 1993 erreichen und den letzten in Deutschland verbliebenen 75er ablösen.

Von April diesen Jahres an stehen hierzulande zunächst der 2,0 Twin Spark mit Doppelnockenwelle, variabler Ventilsteuerung und Doppelzündung, sowie der 2,5 V6 zur Verfügung. Der Zweilitermotor basiert auf seinem Äquivalent aus der 75er- und 164er-Baureihe, arbeitet im 155er allerdings mit einemneuem Motormanagement. Der kleine Alfa-V6 begegnete uns erstmals vor mehr als zehn Jahren und arbeitete unter anderem im Alfa-Coupé GTV 6. Auch der bekannte Dreilitermotor des 75 und 164 ging daraus hervor. Dank modernster Steuerelektronik vermag das 2,5-l-Triebwerk im Alfa 155 V6 nun 121 kW (165 PS) bei 5800/min zu aktivieren, in 8,4 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h zu beschleunigen und ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von 215 km/h.

Das Spitzenmodell der neuen 155er- Reihe soll von Herbst an bei den deutschen Händlern stehen. Es wird vom bekannten 2,0-l-16V-Motor mit Turbolader und Ladeluftkühlung des Lancia Delta Integrale beflügelt, der im neuen Alfa 137 kW (190 PS) bei 6000/min leistet. Der permanente Allradantrieb mit drei Differentialen (Mitte: Ferguson Viscokupplung, hinten: selbstsperrendes Torsen) stammt ebenfalls aus dem rallyeerprobten Delta Integrale und verspricht fulminante Fahrleistungen. Der Sprint von Null auf 100 km/h dauert sieben Sekunden und die Höchstgeschwindigkeit beträgt 225 km/h. Der Alfa 155 Q4 verteilt sein Antriebsmoment zu 47 Prozent auf die Vorder- und zu 53 Prozent auf die Hinterräder.

Zur Stärkung des Alfa-Marken-Images werden von Mai '92 an die ersten sieben Exemplare des 155 GTA an die Startlinien des Tourenwagen-Rennsports gehen können. Der 294 kW (400 PS) starke Bolide basiert auf der Zweiliter-16V-Turbo-Version mit Allradantrieb. Für die deutsche Tourenwagenmeisterschaft soll von 1993 aneine Saugversion des 155 V6 zur Verfügung stehen, die ebenfalls von allen vier Rädern angetrieben wird. Durch dieses spezifische Aktivitätsfeld innerhalb des Fiat-Konzerns belebt Alfa Romeo die Markenidentität mit dem, was schon einmal das Kaufargument einer zufriedenen Alfa-Kundschaft war: Sportlichkeit, überlegene Fahrdynamik und eine Ausstrahlung, die so manchen Passanten am Straßenrand Wurzeln schlagen ließ.

Stellt man den Alfa 155, ohne wehmütig an die vielfach einzigartige Formgebung seiner Vorgänger zu denken, neben jene Zeitgenossen, denen er das Wasser abgraben möchte, so sticht zunächst seine extreme Keilform ins Auge. Kein anderer läßt seine Motorhaube so steil zu den schmalen Scheinwerfern abfallen, schiebt die Nase - das wieder mit Stolz getragene Firmenemblem im Dreieck - soweit über die Vorderachse in den Fahrtwind, und keiner plustert das Heck so hoch auf, um mit rekordverdächtigen 525 Litern Ladevolumen unter dem Kofferraumdeckel aufzuwarten. Vom Design her hat sich der 155er gar nicht so weit vom Vorläufer 75 entfernt, denn auch der pflegte diese ausgeprägte Keilform als unverwechselbares Stilelement. Insgesamt aber lehnt er sich stärker an neuzeitliche Alfa-Ausdrucksformen an, die der 164er erstmals definierte.

Etwa 36 000 Mark müssen in Deutschland für die 2,0-l-Twin-Spark-Version ausgegeben werden. Man erhält ein agiles Alltagsauto mit sportlich-elegantem Flair, ordentlichem Durchzugsvermögen und jener Akkustik, die der Alfa-Fan so schätzt. Der 155er bietet alles, was heutzutage in dieser Preisklasse dazugehört, auch ein serienmäßiges ABS. Seitenaufprallschutz, Gurtstrammer und Airbag befinden sich bei Alfa Romeo allerdings noch in der Erprobung, werden aber nach Einsatz im 164er in einigen Jahrenauch die Aufpreislisten der 155er-Modelle schmücken.

Motor mit kehligem Sound

Die mehr als 40 000 Mark teure V6- Version glänzt mit einem maximalen Drehmoment von 216 Nm bei 4500/min und einem alfatypisch kehligen Sound. Wer von diesem Motor energischen Vortrieb fordert, muß sich im mittleren Drehzahlbereich bewegen. Bei entschlossenem Beschleunigen in den unteren Gängen überrascht der 155 V6 durch gute Traktion. Ein Indiz für die Sorgfalt, mit der das Tipo/Tempra/Dedra-Fahrwerk auf die sportlichen Erwartungen der Alfa- Gemeinde abgestimmt wude. Als Option steht sogar die Automatic Suspension Control zur Verfügung, ein elektronisches System zur Steuerung der Stoßdämpfer.

Eine Turbodieselversion, die den strengen amerikanischen Abgasvorschriften genügt, folgt in absehbarer Zeit. Mit einem Coupé auf Basis des 155er darf der Interessent frühestens in zwei Jahren rechnen. Dann könnte auch bereits der neue Alfa Spider serienreif sein. Er wird bekanntlich ebenfalls auf dem 155er basieren und den gegenwärtig noch amtierenden Dauerbrenner Spider 2,0 ablösen.

Von Jürgen Zöllter

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