75 Jahre Autoradio:Die Röhrchen-Revolution

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In diesem Jahr feierte das Autoradio seinen 75. Geburtstag. Eine Erinnerung an den Beginn einer wunderbaren Beziehungskiste.

Ulrich Willenberg

Als Blaupunkt 1932 das erste Autoradio in Europa vorstellte, führte dies zu hitzigen Debatten. Kritiker befürchteten eine gefährliche Ablenkung des Fahrers. Dabei hatten deutsche Firmen die Entwicklung zunächst verschlafen - sehr zum Leidwesen mancher Verfechter des technischen Fortschritts. "In Deutschland kann man geradezu von einer Radionacht sprechen", schrieb die Zeitschrift Motor 1924 - zu einer Zeit, als in Amerika bereits die ersten Empfänger für Pkw produziert wurden.

Sein europäisches Debüt erlebte das Autoradio erst acht Jahre später auf der Berliner Funkausstellung. Der Blaupunkt AS 5 war ein wuchtiger Mittel- und Langwellenempfänger und kostete 465 Mark, etwa ein Drittel des Preises von einem Kleinwagen.

Radio in Gummibandfederung

Damit nicht bei jedem Schlagloch die fünf empfindlichen Glasröhrchen zu Bruch gingen, war das Chassis in einer Gummibandfederung aufgehängt. Wegen seines enormen Rauminhalts von zehn Liter war der Blaupunkt AS 5 nicht in der Griffnähe des Fahrers unterzubringen.

Sender und Lautstärke regulierte der Chauffeur mit einer Fernbedienung an der Lenksäule, die aus Einstellknöpfen und einer Trommelskala mit den Stationsnamen bestand. Das Radio war mit einem abziehbaren Schlüssel ein- und ausschaltbar, damit es kein Fremder in Betrieb nehmen konnte.

Eine Sensation stellte das Autoradio vor allem auf dem Lande dar. In einem Blaupunkt-Prospekt von 1938 schilderte ein Joachim Senckpiehl seine Erlebnisse auf einem Dorfplatz: "Zuerst kamen einige neugierige Kinder, sahen unter den Wagen und wollten die Antenne sehen, dann schauten die Bauern aus den Fenstern. Misstrauisch musterten sie mich. Aber dann legte sich die Scheu, einige Burschen und Mädel in ihrer entzückenden Tracht kamen an den Wagen und plötzlich war ich von der Dorfjugend umringt.

Bald waren alle Logenplätze im Wagen besetzt, jeder wollte einmal am Empfänger drehen, und als dann noch irgendein Sender Bauerntänze brachte, gab es kein Halten mehr. Es wurde getanzt wie bei einer zünftigen Kirchweih."

Kritiker sahen Autoradio als Gefahr an

Die ersten Empfänger fanden aber nicht nur Freunde. So befürchteten Kritiker eine Zunahme von Verkehrsunfällen, wenn die Fahrer bei der Musik ins Träumen kommen. Dem hielt die Zeitschrift Motor und Sport 1939 entgegen: "Auf langen Fahrten stellt die Unterhaltung durch musikalische Darbietungen einen wesentlichen Beitrag zur geistigen Spannkraft des Fahrers dar."

Ende der dreißiger Jahre gab es weitere deutsche Firmen, die in kleinen Stückzahlen Empfänger für Kraftfahrzeuge herstellten, darunter Telefunken, Körting, Lorenz, Philips und Mende. Der Weltkrieg bescherte dem Autoradio auch eine militärische Karriere: So entwickelte Blaupunkt mit dem 7 A 741 ein empfangsstarkes Gerät für die Wehrmacht.

Nach dem Krieg erschien ein weiterer Konkurrent auf dem Markt: In der Silvesternacht 1948/49 hob Firmengründer Max Egon Becker in einer kleinen Pforzheimer Werkstatt sein erstes Autoradio aus der Taufe. Becker testete das Gerät in einem Firmenwagen, der aus Teilen vom Autofriedhof zusammengeschustert war: amerikanisches Chassis, Opel-Motor und Holzgasanlage.

Zur Jungfernfahrt musste ein Holzzaun dran glauben. "Wir verlassen die Stadt mit ihrem gewaltigen Störnebel, immer klarer wird der Empfang, ganz hervorragend der Ton. Man glaubt sich daheim an das Zimmergerät versetzt und möchte träumen, nichts als träumen...", berichtete ein Reporter des Pforzheimer Boten begeistert.

Im Dezember 1949 begann die Serienfertigung des "klingenden Nachkriegswunders".

Radio-Wettlauf: Blaupunkt oder Becker?

Becker lieferte sich in den nächsten Jahren ein innovatives Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Hauptkonkurrenten Blaupunkt. 1952 hatte Blaupunkt mit dem A 520 KU als erstem UKW-Autoradio die Nase vorn. Ein Erfolgsschlager wurde ab 1953 das Mexiko von Becker, das erste UKW-Radio mit automatischen Sendersuchlauf.

Den Durchbruch erlebten die Radios mit der Massenmotorisierung. Blaupunkt verkaufte 1959 das einmillionste Gerät. Der Jubilar bestand noch aus 1693 Einzelteilen. Damals kam auch allerlei Kurioses auf den Markt. So war das Blaupunkt Westerland im Jahr 1958 gleichsam ein Vorläufer der Quick-Out-Radios. Der herausziehbare Apparat sollte aber nicht vor Diebstahl schützen, sondern konnte mit Batterien als Strandradio genutzt werden.

Philips brachte mit seinem Auto-Mignon die automobile Version des Plattenspielers heraus. Der Tonarm betätigte sich automatisch, nachdem man die Platte in das Gerät geschoben hatte. Das Laufwerk wurde auf Federkörpern gelagert, um Schwingungen während der Fahrt auszugleichen.

Durch die Entwicklung von Transistoren, welche die Röhren ablösten, begann der Siegeszug der Elektronik mit immer leistungsfähigeren und kleineren Bauteilen. Die Individualität und der Charme der früheren Geräte gingen durch die zunehmende Standardisierung jedoch verloren. In die inzwischen sehr kompakten Radios wurden ab Ende der sechziger Jahre Kassettenspieler und ab 1985 CD-Player integriert. Die immer bessere Klangqualität verwandelte den Pkw in einen rollenden Konzertsaal.

© SZ vom 08.12.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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