30 Jahre Porsche Turbo:Die Hitze im Schatten des Flügels

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Das Urbild des Supersportwagens feiert Jubiläum und beweist auf einer Ausfahrt, dass die unsinnigsten Autos die schönsten Gefühle wecken.

Von Jörg Reichle

Das erste, woran wir uns erinnern, ist dieser mächtige Flügel. Groß wie ein Frühstückstablett, mit einer gewaltigen, hinten aufgebogenen Gummilippe, durchsetzt von Kühlrippen. Dabei passte er damals, vor 30 Jahren, zu der schlanken Silhouette des Porsche 911 wie die Faust aufs Auge. Aber vermutlich hat uns gerade das so beeindruckt. Jedenfalls taten die wuchtigen Kotflügelverbreiterungen ein Übriges, dem Porsche Turbo von Anfang an einen Stammplatz in der Tiefgarage unseres Herzens zu sichern, kaum, dass er 1975 auf den Markt gekommen war.

Mit dem ersten Porsche-Straßensportwagen mit Turbo-Motor, der 911 Turbo, 3,0 Liter, Coupé, hier ein Modell aus dem Jahre 1975, setzte der Stuttgarter Sportwagenbauer neue Maßstäbe in Sachen Beschleunigung: Mit dem drei-Liter-Hubraum-Motor beschleunigte der Sportwagen in 5,2 Sekunden auf 100 km/h. Der Turbo-Porsche wurde im September 1974 erstmals auf dem Automobilsalon in Paris vorgestellt. (Foto: Foto: dpa)

Heute ist Turbo fahren nur eines: die wahre, die infernalische Beschleunigung, die Überwindung des eigenen Schweregefühls. Ein Schub ohne die kleinste Unterbrechung, wie ein Jet auf der Startbahn, die Organe haben keine Sekunde Zeit zur Erholung. Turbo fahren ist, wenn die Augen fliegen lernen. Wir sind gebettet auf schwarzem Leder, über uns ein finster drohender Frühherbsthimmel. Das Turbo Cabrio Baujahr 2004 ist sozusagen die Zuspitzung des Klassikers. 420 PS, 305 km/h, von Null auf 200 in 14,8 Sekunden, das ist so gut wie Nullkommanichts. Ein paar Kilometer freie Straße vorausgesetzt, aber die muss man lange suchen heutzutage.

Schon vor 30 Jahren hat eigentlich nichts für dieses Auto gesprochen, ganz im Gegenteil. Gerade hatte BMW den rabiaten 2002 Turbo wieder eingestellt - wegen der Ölkrise und weil die aufgeblasenen Motoren schneller das Zeitliche segneten, als den wenigen Käufern lieb sein konnte. Und auch bei Porsche, erinnert sich Motorenmann Heinz Dorsch, "prognostizierten die Propheten, dass es in zehn Jahren kein Benzin mehr geben wird". Doch die Schwaben, gestählt von der mörderischen Erfahrung im Motorsport, glaubten an die Sache mit der Aufladung - trotz aller Hindernisse. "Es schien Anfang der sechziger Jahre fast unmöglich", sagt der damalige Leiter des Motorenversuchs, Paul Hensler, "die geförderte Luftmenge den Bedingungen des Fahrens anzupassen."

Die Leistung steigt

Weil bei aufgeladenen Motoren das Ansprechen des Motors vom Ladedruck abhängig ist, muss beim Gasgeben schnell Druck verfügbar sein, und beim Gaswegnehmen ebenso schnell verringert werden. So will es das Prinzip: Anströmende Auspuffgase bringen ein kleines Turbinenrad auf hohe Drehzahl (beim ersten Turbo bis zu 90.000 Umdrehungen pro Minute). Über eine Welle treibt dieses Rad dann ein zweites Schaufelrad an, das Luft in die Brennräume des Motors presst. Die Folge: je mehr Luft im Zylinder, desto mehr Sauerstoff steht für die Verbrennung entsprechender Treibstoffmengen zur Verfügung. Die Leistung steigt.

Und wie. Während die rote Kotflügelwölbung links im Blickfeld die weißen Mittellinien einsaugt wie ein Hai seine Beute, spüren die Finger am Volant noch immer den Asphalt hautnah. Früher war das noch viel extremer, da hatte man das Auto locker am Zügel zu führen und stets das richtige Maß zwischen Richtungs-Diktatur und Toleranz zu finden. Aber fühlbar 911 steckt ja auch noch im neuesten Turbo, trotz dreißig Jahre Weiterentwicklung. Und über allem liegt dieses unnachahmlich heisere Bellen der Maschine, das einem immer wieder die Haarspitzen aufstellt, auch wenn die Wasserkühlung das Klangwunder des einst luftgekühlten Boxers ein wenig temperiert hat.

Als der erste 911 Turbo auf dem Pariser Salon 1974 vorgestellt wurde, war der Diamant noch ungeschliffen. Sein drei Liter großer Sechszylinder hatte 260 PS, war giftig wie eine Rennmaschine und machte den Turbo 250 km/h schnell. Doch aufgeladen vom heißen Streben nach mehr, perfektionierten die Porsche-Mannen den schärfsten 911 zur Legende. Bald kannte ihn der Volksmund unter dem schlichten Code "Turbo" und schloss ihn in seine Träume vom Wohlstand ein. 1978 wuchs der Hubraum auf 3,3 Liter, die Leistung auf 300 PS und ein Ladeluftkühler senkte die Temperatur der verdichteten Luft.

1990 brachte es der Turbo 3.3 auf 320 PS, drei Jahre später und 300 cm3 mehr kam der 3.6 auf 360 PS und rannte 280km/h.1990 hatte Porsche die Produktion freilich eineinhalb Jahre ausgesetzt. "Für den Turbo hatte man keine Möglichkeit gesehen, ihn mit Katalysator zu bestücken," erinnert sich Paul Hensler.

Aufbruch in die Turbo-Neuzeit

1995 erschien dann der völlig neue Turbo auf Basis der Modellreihe 993. Jetzt hatte der Motor 408 PS, statt einem großen, zwei kleine Lader, hinzu kamen Allradantrieb und Sechsgang-Getriebe. Die Wasserkühlung markierte schließlich die anbrechende Turbo-Neuzeit. Modelljahr 2000 brachte den 996 und ließ die 300-km/h-Schallmauer fallen und der Turbo S 996 von 2004 schließt vorläufig den Bogen: von 260 PS auf heute 450, von 250 km/h auf 307. Aber auch von 1140 Kilogramm Leergewicht auf 1590 Kilo. Und nicht zuletzt: von ursprünglich 65.000 Mark auf nun 142.248 Euro.

Und einen Wunsch haben Turbofahrer noch heute frei: Endlich einen Tank, der sie nicht nach 250 Kilometer an die Zapfsäule zwingt, wo sie von all den TDIs überholt werden, die den 911 sonst nur von hinten sehen. Aber Tempo ist halt relativ, auch beim Turbo.

© SZ vom 28.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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