Der Problembär im Museum:Bruno ist tot - es lebe Bruno

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Nach 1400 Stunden Präparationsarbeit: Der einstige Problembär hat im Museum Mensch und Natur seine letzte Heimat gefunden.

Christina Warta. Video: Marcel Kammermayer

Er sieht aus, als wäre er eben ertappt worden: den Kopf nach hinten gewandt, die braunen Augen neugierig auf den Betrachter gerichtet. Unter seinem Maul klebt Honig aus den Bienenkästen, die er eben geplündert hat, auf seiner Schnauze sitzen ein paar aufgescheuchte Bienen.

Braunbär Bruno ist von Donnerstag an im Museum Mensch und Natur zu sehen. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

So könnte die Szene ausgesehen haben an diesem Sommerabend des 16. Juni 2006, als Braunbär Bruno in Kochel den Bienenstock eines Imkers ausgenommen hat. Gesehen hat ihn dabei niemand. "Doch wir haben uns Fotos angeschaut und mit dem Imker gesprochen", erzählt Michael Apel, der Leiter des Museums Mensch und Natur.

Die geräumige Vitrine in einem Seitenflügel des Nymphenburger Schlosses ist die letzte Station dieses Braunbären, der zu Lebzeiten ein recht umtriebiges Dasein vor allem in Bayern und Tirol führte. Bruno, alternativ auch "JJ1" genannt, hatte einen Monat lang die Schlagzeilen beherrscht, schließlich war er seit 170 Jahren der erste Bär, der sich in Bayerns Bergen herumtrieb.

Er riss Schafe bei Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald, spazierte schließlich über die Anderl-Alm am Brauneck und interessierte sich für besagte Bienenkästen in Kochel. Der Bär zeigte immer weniger Angst vor dem Menschen, und weil ihn auch die eigens engagierten finnischen Bärenfänger nicht erwischten, wurde im bayerischen Umweltministerium schließlich entschieden, Bruno abzuschießen. Am 26. Juni wurde der Bär auf der Rotwand getötet, ein Sturm der Entrüstung brach los.

Ein Medienstar

Der Braunbär hatte es in kürzester Zeit zum Medienstar geschafft, das legendäre Stoiber-Interview über den "Problembären" kursierte im Internet, und auf der Rotwand mutierten ein paar Quadratmeter grüner Wiese, Brunos Todesort, zu einer Pilgerstätte, an der Naturschützer Kreuze aufstellten und Blumen niederlegten.

Diese erstaunliche Hysterie lebte am Mittwoch noch einmal auf. An die hundert Journalisten waren in das Museum gekommen, um den ausgestopften Bären zu begutachten. "Als Museumsleiter träumt man davon, dass bei einer Austellungseröffnung nur ein Viertel dieser Journalisten da wären", sagte Direktor Apel. Sogar aus Österreich und der Schweiz waren Reporter angereist.

So muss der Präparator Dieter Schön mehr als einmal erzählen, dass er eigentlich die Arbeit an diesem speziellen Bären als Routinetätigkeit betrachten wollte. "Aber das war aus vielen Gründen nicht möglich. Das Interesse der Medien war sehr groß, außerdem wurde mir, nachdem ich mich intensiv mit Braunbären beschäftigt hatte, klar, das Bruno nicht einfach irgendein Bär, sondern ein Individium war", sagt er.

Dabei hatte Schön das Tier zur Bearbeitung in einer eher ungewöhnlichen Form bekommen: als Fell, nurmehr 30 Kilo schwer.

Die Arbeit eines Präparators hat mit Ausstopfen schon lange nichts mehr zu tun. "Das Wort hören wir gar nicht gern", sagt Dieter Schön. "Was wir tun, ist eher eine bildhauerische Tätigkeit."

Zunächst fertigte Schön mit seinen Kollegen mehrere Modelle im Maßstab 1:10 - in unterschiedlichen Posen. "Wir wollten den Bären weder als Kuscheltier noch als Bestie zeigen", sagt Schön, "Und wir wollten ihn in Beziehung zur Kulturlandschaft setzen. Die Idee, ihn mit einem gerissenen Schaf zu zeigen, wurde als zu blutrünstig verworfen. "Die Szene, wie sie jetzt ist, soll zeigen: Auch wenn der Bär nicht per se aggressiv war, war eine problematische Situation immer da", erklärt Apel.

1400 Arbeitsstunden hat Schön benötigt. Er hat nicht nur die Kunststoffform modelliert und darüber die Bärenhaut gezogen, er hat auch die Farbe der Glasaugen rekonstruiert und die Zähne nach einem Originalabguss des Gebisses gestaltet. Die Zähne sind übrigens, gemeinsam mit dem Bärenskelett, zu wissenschaftlichen Zwecken in der Zoologischen Staatssammlung gelandet.

Außerdem hat Schön tausend Bienen gefertigt sowie eine erstaunliche Menge Nacktschnecken und Regenwürmer, er hat einen Haselnussstrauch gestaltet und zu guter Letzt Brunos Fell noch einmal gekämmt. "Ich habe das ganze Osterwochenende an dem Präparat gearbeitet", sagt Schön. "Ich wollte es so gestalten, dass es glaubwürdig ist." Er sieht erschöpft aus, aber auch zufrieden: Schön findet, dass seine Präparat gelungen ist.

Wären da nur nicht all die unangenehmen, ja: anklagenden Fragen zum traurigen Ende des Bären. Wie viele Einschusslöcher das Fell gehabt habe, will einer wissen, und wo Bruno getroffen worden sei. Was mit den Innereien passiert sei und ob die womöglich jemand verspeist habe.

Und natürlich: wer Bruno erschossen habe - leise ist prompt das Wort "Mörder" in der Runde zu hören. Jürgen Vocke, Präsident des bayerischen Jägerverbandes, erwehrt sich der Vorwürfe, er habe den Abschuss forciert. Und Christoph Himmighofen, Ministerialdirigent im Umweltministerium, erklärt, man habe die Entscheidung auf der Basis des österreichischen Bären-Managementplans getroffen. "Die Kollegen aus Italien und der Schweiz hatten uns schon sehr früh empfohlen, den Bären zu schießen", sagt Himmighofen.

Wildtiermanagement

Schon ist sie wieder da, die Emotionalisierung, die Museumschef Apel mit Brunos Ausstellung gerade vermeiden wollte. "Wir wollen die Diskussion auf eine sachliche Ebene herunterholen", erklärt er. "Biodiversivität, Naturschutz, Wildtiermanagement" lautet denn auch der betont trockene Titel der Bruno-Ausstellung.

Man solle den Blick nach vorne richten, fordert Ulrike Lorenz vom Landesbund für Vogelschutz. "Es geht um das richtige Wildtiermanagement. Wir müssen die Menschen informieren, damit Fehlverhalten, wie es bei Bruno vorkam, künftig nicht noch einmal passiert."

Brunos Zukunft steht fest: Der präparierte Bär wird sich auch in zehn Jahren noch ertappt umblicken, mit Honig am Maul und Bienenwaben unter der Tatze - alle sechs Monate entstaubt von seinem Präparator Dieter Schön.

Aufregender dagegen wird die Zukunft der noch lebendigen, freilebenden Bären. Denn im Trentino, wo die Braunbären-Population zuletzt schrumpfte, hat es offenbar Nachwuchs gegeben. "Die Population dort wächst langsam wieder", erklärt Manfred Wölfl, Wildtierexperte im Umweltministerium.

Zehn Jungbären seien dort unterwegs, für sie alle werde das Territorium zu klein sein. Deshalb sei davon auszugehen, dass im Jahr 2009 erneut Bären zu wandern begännen - womöglich auch nach Bayern. "Das wird eine spannende Zeit", sagt Wölfl. Nicht nur für Bären.

© SZ vom 27.03.2008/ngh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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