Wissenschaft trifft Leidenschaft:"Die Enterprise ist ein trojanisches Pferd"

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Der Astrophysiker Harald Lesch weiß, ob der Traum jedes Star-Trek-Fans wirklich funktionieren könnte: das Beamen und der Warp-Antrieb. Und darf man seinen Androiden schlagen?

Sebastian Herrmann

Vor genau 40 Jahren brachen Kirk und Spock, Scotty und Pille zum ersten Mal auf, die unendlichen Weiten des Weltraums zu erkunden. Dabei prägten sie die endliche Welt vor den Fernsehern: Begriffe wie Beamen, Phaser, Warp-Antrieb und Raumschiff Enterprise kennen unzählige Menschen.

Wissenschaft trifft Leidenschaft: Mr Spock (Leonard Nimoy) und Captain James T. Kirk (William Shatner). (Foto: Foto: dpa)

Einer der vielen Star-Trek-Fans ist Harald Lesch, Professor für theoretische Astrophysik an der Universität München. Der Wissenschaftler widmet sich auch auf dem Pay-TV-Sender Sci-Fi-Channel der Physik der Kult-Serie: Kann das theoretisch funktionieren, mit dem Beamen? Oder sind so viele Elemente aus der Serie so großer Unsinn, dass ein Forscher und Physiker daran verzweifelt?

SZ: Was muss ein Science-Fiction-Roman oder -Film leisten, um sie als Wissenschaftler in einen geistig angeregten Zustand zu versetzen?

Harald Lesch: Man sollte nicht gleich den Eindruck kriegen, dass das totaler Quatsch ist. Je plausibler eine Geschichte beginnt, desto eher wird man als Wissenschaftler darauf reagieren. Aber es gibt eine ganze Reihe hervorragender Science-Fiction-Geschichten, bei denen einige Stellen an den Haaren herbei gezogen sind, aber die grundsätzlichen Entwicklungslinien stimmen.

SZ: Lassen Sie Begriffe wie Beamen oder Warp-Drive erschaudern?

Lesch: Bei den Sendungen, die ich gerade zur Wissenschaft in Star Trek gemacht habe, ging es mir nicht direkt darum, ob das alles realistisch ist. Ich habe das Thema als trojanisches Pferd genutzt, um Physik zu transportieren.

SZ: Funktioniert das, wollen echte Fans so etwas wissen?

Lesch: Ich habe an Schulen die Erfahrung gemacht, dass man selbst schwer pubertierende 16-Jährige mit der Frage begeistern kann, ob das denn nun geht mit dem Warp-Drive. Auf einmal beginnen die, sich für Fächer zu interessieren, mit denen sie bisher gar nichts am Hut hatten - Mathematik, Physik. Für manche sind solche Geschichten auch der Einstieg in die Naturwissenschaften. Ich habe zum Beispiel als Jugendlicher Perry Rhodan gelesen. Ich bin auf diese Weise mit dem Begriff eines Neutronensterns in Kontakt gekommen. Da war ich 14 Jahre alt. Als Wissenschaftler beschäftige ich mich heute noch mit Neutronensternen. Da können Sie mal sehen, was für Auswirkungen das hat.

SZ: Wie sieht es denn nun mit dem Beamen aus? Klappt das irgendwann?

Lesch: Wir sind aus Atomen aufgebaut. Nun muss man schauen, was die Quantenmechanik dazu sagt, wenn man etwas, das aus sehr, sehr vielen Teilchen besteht, komplett zerlegen und woanders wieder komplett zusammenbauen will. Wenn das genau so sein soll wie zuvor, ist das nach den Gesetzen der Quantenmechanik unmöglich. Weil Orte und Impulse niemals beliebig genau messbar sind und immer Unsicherheiten bestehen bleiben. Wer weiß, was da für eine Figur rauskommt, wenn man sie nach heute bekannten quantenmechanischen Gesetzen auseinander nimmt. Vielleicht etwas wie in "Die Fliege" von George Langelaan. Da mutierte ein Forscher nach dem Experiment zum Fliegenwesen, weil das Insekt in die Apparatur geraten war.

SZ: Reizt es Sie vor allem, die technischen Phantasien einer Science-Fiction-Geschichte zu durchdenken?

Lesch: Die technische Entwicklung zu kommentieren, zu fragen, was die heutigen Naturgesetze sagen, das ist die oberflächliche Schiene, um sich mit Science-Fiction zu beschäftigen. Aber auch das ist sehr interessant. Zu fragen, ob etwas möglich sein kann. Dabei beeindruckt mich, wie nah Star Trek an der Entwicklung von Elektronik dran war. Zum Beispiel das Funksprechgerät, das die haben. Heute hat jeder Mensch ein Handy. Wir haben Bildtelefone und es gibt heute Überwachungsanlagen, die auf dem Stand von Star Trek sind, wenn nicht sogar noch weiter.

SZ: Wo geht Science-Fiction dann tatsächlich in die Tiefe?

Lesch: Es wird immer dann interessant, wenn man anfängt, an die Grenze des Denkbaren zu gehen. Dann ist Science-Fiction ein idealer Transporter, um die Frage zu stellen, wie die Welt aussehen würde, wenn das alles Realität wäre.

SZ: Kann Science-Fiction Ideenlieferant für die Forschung sein?

Lesch: Als Anregung sind solche Geschichten sicher manchmal wertvoll. In der Raumfahrt gibt es ein ganze Reihe von Einflüssen, die aus der Science-Fiction kommen, einfach als Denkansatz. In der Grundlagenforschung ist das anders. Niemand hat vorhergesehen, dass wir uns heute in der Astronomie mit dunkler Materie oder dunkler Energie rumschlagen müssen. Doch je näher man an der Grundlagenforschung dran ist, desto eher ist auch Phantasie gefragt.

SZ: Hat Fiktion schon einmal den entscheidenden Anstoß für eine wissenschaftliche Idee geliefert?

Lesch: Das ist schwer zu sagen, da viele Fragestellungen und viele Lösungen zahlreiche Väter und Mütter haben. Aber es gibt zum Beispiel einen wunderbaren Kollegen, der Science-Fiction-Romane schreibt und Plasmaphysik an der University of Irvine in Kalifornien unterrichtet, Gregory Bedford. Der sagte zu mir, dass ihn seine Lust, die Geschichten auszudenken, zu wissenschaftlichen Fragestellungen inspiriert hat.

SZ: Gibt es mehr solche Kontakte zwischen Forschung und Fiktion?

Lesch: Viele geben das einfach nicht gerne zu. Möglicherweise aus Angst vor Reputationsverlust. Aber vielleicht helfen Science-Fiction-Geschichten als Inspiration, origineller zu denken. Es kann doch sehr wertvoll sein, einfach mal ins Kraut zu denken.

SZ: Gerade dann könnte doch ScienceFiction die perfekte intellektuelle Spielwiese liefern.

Lesch: Ja, ohne Frage. Die Künste erlauben, dass man ohne wissenschaftliches Korsett die Frage stellen kann: Was wäre wenn? Das ist im übrigen etwas, das in Deutschland sehr ungern gemacht wird. Einfach mal über etwas zu spekulieren und bis zum Ende durch zu spielen. In Großbritannien ist das zum Beispiel völlig normal, wenn Wissenschaftler in größerer Runde sitzen. Etwa zu sagen: Was wäre, wenn es den Mond nicht gäbe? Diese Was-wäre-wenn-Fragen führen einen unter Umständen auf ein sehr, sehr interessantes Erkenntnisgelände.

SZ: Kann das eine wichtige Funktion von Science-Fiction sein, den Rahmen zu geben, bedenkenlos herum zu spinnen?

Lesch: Wahrscheinlich. Nehmen wir als Beispiel wieder Star Trek. Was mich daran am meisten angerührt hat, ist die Frage, wie man mit künstlichen Lebewesen umgeht. Hat zum Beispiel der Android Data eine Würde? Oder kann ich dem einfach eine ballern und sagen, ist ja nur eine Maschine? Wie wird das eines Tages sein? Wenn man sieht, wie viele künstliche Teile schon jetzt in unseren Körper eingebaut werden, von der Armprothese bis zum Herzschrittmacher. Vielleicht sind eines Tages sogar Hirn-Manipulationen möglich. Das sind große Fragen, die von den Science-Fiction-Autoren in der Deutlichkeit vielleicht gar nicht so gestellt werden. Über deren Folgen sich anhand der Geschichten aber ohne enges Korsett gut nachdenken lässt.

SZ: Steht Science-Fiction der Wissenschaft manchmal auch im Weg, indem sie Vorstellungen prägt, die womöglich falsch sind?

Lesch: Das kann schon sein. Die Protagonisten oder Wissenschaftler in Science-Fiction-Geschichten sind ja oft kalte emotionslose Typen.

SZ: Alles kleine Mr. Spocks?

Lesch: So ähnlich, ja. Aber auch der kommt nicht ohne Emotionen aus. Trotzdem hält uns die Darstellung von Wissenschaft in solchen Geschichten einen Spiegel vor. Zum Beispiel erwähnt Dan Brown in "Illuminati" die Produktion von Antimaterie im Teilchenbeschleuniger Cern. Wie er das beschreibt, das finde ich interessant. Das zeigt wie Wissenschaft aufgenommen und weitertransportiert wird. Am besten ist das Frank Schätzing in "Der Schwarm" gelungen. Das Buch ist wirklich eine absolut gelungene Mischung: Die Wissenschaft ist hart, das Fiktionale befindet sich auf der menschlichen Ebene. Ich wüsste nicht, wie man Science-Fiction besser macht.

© SZ vom 8.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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