Wissen:Auf festen Sohlen durch die Steinzeit

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Schuhe gehören seit etwa 28000 Jahren zur Garderobe des Menschen: Schon die Neandertaler trugen Mokkasins.

Barbara Kerbel

Vom kälteabweisenden Fellbündel zum wichtigen Modeartikel - das ist die Geschichte des Schuhs. Etwa 28000 Jahre ist es offenbar her, dass die Vorfahren des Homo sapiens ihre Garderobe um das schützende Beinkleid erweitert haben. Zu diesem Zeitpunkt, sagt der Paläoanthropologe Erik Trinkaus von der Washington University in Saint Louis, seien die Zehen des modernen Menschen im Vergleich zu denen des Neandertalers verhältnismäßig dünner gewesen. Und dünnere Zehen deuteten darauf hin, dass der Mensch regelmäßig Schuhe getragen hat ( Journal of Archaeological Science, 32, S. 1515, 2005).

Schon Ötzi trug Schuhe. Hier eine Nachbildung der Steinzeit-Treter. (Foto: Foto: AP)

Der Umweg über die Vermessung der Knochen ist nötig, um die Frage nach dem Ursprung des Schuhs zu beantworten. Denn da der Mensch der Steinzeit seine Schuhe aus schnell verrottendem Pflanzen- und Tiermaterial fertigte, gibt es kaum historische Funde. Die ältesten bisher bekannten Schuhe wurden an verschiedenen Orten Nordamerikas entdeckt, unter anderem in Kalifornien und Missouri - Sandalen oder Slipper, die aus Pflanzenfasern geflochten sind und ein bisschen aussehen wie Mokkasins. Das älteste Exemplar schätzen Archäologen auf etwa 9000 Jahre.

Trinkaus versuchte den Zeitpunkt zu bestimmen, von dem an der Mensch begann, regelmäßig Schuhe zu tragen. Er verglich die Dicke der vier kleinen Zehen prähistorischer und moderner Menschen und schloss daraus auf die Kraft, die beim Laufen auf den Fuß gewirkt haben muss.

Dünne Zehen in Mokkasins

Grundlage hierfür ist die Biomechanik. Bei jedem Schritt spannt sich der Fuß. Geht der Mensch normal auf zwei Beinen, wird die Kraft, die auf den Fuß wirkt, vom Sprung- und Fersenbein über die ganze Sohle verteilt; die meiste Last trägt der große Zeh. Beim Barfußlauf drücken sich die Zehen gegen den Boden, wodurch zusätzlich Spannung in der Sehnenhaut der Sohle entsteht; auch die kleinen Zehen spannen sich an. Steckt der Fuß in einem Schuh, verändert sich die Kräfteverteilung in der Sohle: die Spannung sinkt, vor allem in den kleinen Zehen.

Und da Knochen bei steigender Belastung wachsen, argumentiert Trinkaus, sollten die kleinen Fußzehen des beschuhten Menschen dünner sein als die des unbeschuhten. "Die Knochenstärke erlaubt eine ganz klare Aussage über die Belastung ", sagt auch der Paläobiologe Friedemann Schrenk von der Universität Frankfurt. Die Knochen, die Trinkaus analysierte, wurden an verschiedenen Orten des heutigen Europas und Asiens gefunden.

Die ältesten Proben stammen von Neandertalern, die vor etwa 100000 Jahren gelebt haben - etwa in Frankreich und im Irak. Die etwa 20000 bis 30000 Jahre alten Knochen des modernen Menschen wurden unter anderem in Frankreich, Italien und Tschechien ausgegraben. Ein Vergleich bestätigte Trinkaus Hypothese: Die Zehen der modernen Menschen waren tatsächlich dünner als die der Neandertaler, wobei der Paläoanthropologe Unterschiede im Knochenbau berücksichtigte.

"Es ist schwer, eine andere Erklärung für die unterschiedlich dicken Zehen zu finden, als den Gebrauch von Schuhen", schreibt Trinkaus. Lediglich eine andere Art der Fortbewegung könnte dies noch erklären, sagt Friedemann Schrenk. Doch da sowohl Neandertaler als auch der frühe Homo sapiens ausschließlich zu Fuß gegangen seien, hält auch Schrenk die Nutzung von Schuhen für die plausibelste Erklärung.

Ötzis Mokassins

Ob die Vorfahren von Homo sapiens vor 28000 Jahren auf Bast, Stroh, Bärenfell oder Leder spazierten, ist unklar. Da keine konservierten Funde aus so früher Zeit existieren, könne darüber nur spekuliert werden, sagt Trinkaus. Aus den nordamerikanischen Funden weiß man, dass die Menschen dort erst relativ spät begonnen haben, Leder zu Schuhen zu verarbeiten: Die 7000 bis 9000 Jahre alten Fundstücke bestehen alle aus Pflanzenfasern. Das Alter der ältesten amerikanischen Lederschuhe - zweier mokkasinartiger Lederschlappen, die in der Arnold Research Cave in Missouri gefunden wurden - schätzten Archäologen auf etwa 900 Jahre.

Die Schuhreste, welche die 5300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi getragen hat, belegen, dass der Mensch in der alten Welt schon früher Schuhe aus Leder hergestellt hat. Nach Rekonstruktionen der experimentellen Archäologin Anne Reichert aus Ettlingen trug Ötzi dreilagig aufgebaute Schuhe aus Hirschfell, mit einer Bärenfellsohle und einem aufwändigen Innengeflecht aus Lindenbast.

Geflochtene Lederriemen hielten die einzelnen Teile zusammen. Gegen die Kälte hatte Ötzi die Schuhe mit Heu gefüttert. Anders als zunächst angenommen, trug er keine losen Sandalen, sondern gebirgstaugliche Stiefeletten. "Das war High-Tech der Steinzeit", sagt Reichert.

© SZ vom 9.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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