Werbung und Hirnforscher:Neuronen würden Whiskas kaufen

Gleich eine ganze Reihe Hirnforscher haben in Münster am zwölften Welt-Marketing-Kongress teilgenommen. Sie sollen für die Marktforscher herausfinden, wie man Verbraucher noch effektiver manipulieren kann. Manchen erfüllt das mit Sorgen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Drei Jahre ist es her, da wandte sich Christian Elger von der Universität Bonn mit einem ungewöhnlichen Angebot an die Werbebranche. "Die Erkenntnisse der Hirnforscher", so der Direktor der Klinik für Epileptologie, "haben nur zum Teil Eingang in die Werbung genommen".

Hirn

Werbung zielt auf unsere Emotionen. Hirnforscher wollen überprüfen, ob das auch gelingt.

(Foto: Foto: ddp/AP)

Dabei könnte die Branche die Unterstützung der Wissenschaftler gut gebrauchen, etwa um die Effizienz von Werbe-Anzeigen zu überprüfen.

Ungewöhnlich war das Angebot vor allem deshalb, weil hier nicht die Industrie oder das Militär an einen Hirnforscher herangetreten waren, um ihn für ihre Forschung einzuspannen.

Vielmehr ging es Elger schlicht und einfach darum, die Kernspintomografen an seiner Klinik zu finanzieren. Diese Geräte, mit denen die Hirnaktivität fast live beobachtet werden kann, sind extrem teuer, die Hirnforschung in Deutschland aber ist unterfinanziert.

"Um Geld für die Forschung zu bekommen muss vielleicht auch Dienstleistung gemacht werden", erklärte der Forscher damals. Dienstleistung für die Werbebranche, die Geld hat, deren Interesse Elger jedoch erst wecken musste.

Das ist gelungen. Inzwischen arbeiten Neurologen der Universitäten Bonn, München, Ulm und Magdeburg mit Ökonomen zusammen, Unterstützt werden sie von großen Unternehmen wie DaimlerChrysler, der Deutschen Post oder BBDO Germany. Dazu kommen weitere internationale Forschungsgruppen, vor allem in den USA.

Verbraucher zielgerichtet zum Käufer machen

Das Ziel der Marketing-Fachleute ist es, "den Verbraucher zielgerichtet zum Käufer zu machen und die Marke nachhaltig im Hirn zu manifestieren", wie es etwa die größte deutsche Werbeagentur BBDO in ihrem Strategiepapier unter dem Titel Brain Branding festhält. "Die Hirnforschung", so heißt es dort weiter, "hat das Potenzial, die Markenforschung und das Markenmanagement grundlegend zu revolutionieren."

Konkret hoffen die Marktforscher, mit Hilfe der Neurologen die Wirkung von Werbemotiven zu überprüfen und zu verbessern, um den Verbrauchern die Kaufentscheidung möglichst aus der Hand zu nehmen.

Dies ist natürlich das ureigenste Ziel der Branche. Und jeder, der Werbung sieht, weiß, dass er manipuliert werden soll. Doch die meisten von uns glauben sich gewappnet mit einem wachen Verstand, der uns nach der Sachlage entscheiden lässt.

Eine Illusion, wissen Unternehmensberater wie Hans-Georg Häusel, der für Firmen wie Coca-Cola oder Tchibo arbeitet. Die treibenden Kräfte sind unsere Emotionen, und unserer Entscheidungen fällen wir überwiegend unbewusst.

Willenlose Verbraucher

Arndt Traindl, Geschäftsführer des Einzelhandelsberaters ShopConsult, geht noch weiter. Er hat sich die Sicht mancher Hirnforscher zu Eigen gemacht, dass der Mensch gar keinen freien Willen hat, sondern auf Reize reagiert, Sekundenbruchteile bevor er sie überhaupt bewusst wahrnimmt.

Auf die Wirkung dieser Reize setzt er, um die Entscheidung des Käufers zu beeinflussen - und finanziert dem Hirnforscher Peter Walla vom Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut dafür einen Teil seiner "Grundlagenforschung"

Verständlich ist die Hoffnung der Marktforscher und Unternehmensberater aus zwei Gründen. Zum einen ist es schwierig und teuer, ein neues Produkt mit Erfolg auf den Markt zu bringen: Dafür muss es im Bewusstsein der Käufers verankert werden - und wie das funktioniert, ist den Werbepsychologen noch weitgehend rätselhaft.

Auch sind die Angaben, die Verbraucher etwa bei Umfragen machen, extrem unscharf. Deshalb sind auch etwa 80 Prozent aller neuen Produkte ein Flop.

Zum anderen verspricht die Hirnforschung genau hier auszuhelfen. Sie entschlüsselt zunehmend die "Black Box" Mensch und stellt fest, welche Reize jene Hirnregionen aktivieren, die eine wichtige Rolle bei der Verinnerlichung der Werbebotschaft spielen.

Die Unternehmensberater von BBDO etwa wissen dank der Zusammenarbeit mit dem Hirnforscher Ernst Pöppel von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, dass vier bestimmte Bereiche der kognitiven Aktivität möglichst gleichzeitig angesprochen werden müssen: Wahrnehmung, Erinnerung, Gefühle und das individuelle Wollen. Starke Marken, so fasst Pöppel das zusammen, erzeugen immer die gleichen Muster im Gehirn.

Auch das erscheint eigentlich trivial - doch mit Hilfe eines Kernspintomografen kann man feststellen, ob ein Werbespot diesen Ansprüchen genügt und das Muster einer starken Marke hervorruft.

So lässt sich an der Botschaft so lange feilen, bis sie funktioniert - unabhängig von den wenig verlässlichen Aussagen und Einschätzungen der Testpersonen selbst.

Bislang nur ein Versprechen

Bislang, so lässt sich feststellen, ist Neuromarketing zwar nur ein Versprechen, von dem einige Unternehmensberater und Hirnforscher profitieren. Nicht eine Studie hat bislang mehr gezeigt, als dass der Verstand bei starken Marken abschaltet, wie es der Neurowissenschaftler Michael Deppe von der Universität München in der Wirtschaftswoche formulierte.

Doch die Zusammenarbeit zwischen den Neurologen und Ökonomen steht erst am Anfang - und angesichts der schnellen Fortschritte der Neurowissenschaften fürchten manche Kritiker, die Forscher könnten der Werbebranche in Zukunft ein sehr effektives Werkzeug zur Manipulation in die Hand geben.

Bereits als Christian Elger den Unternehmen 2002 seine Dienste anbot, reagierte man deshalb beim Bundesverband der Verbraucherzentralen mit Sorge. Nicht nur, weil medizinische Forschung, die von der Industrie finanziert wird, nicht dem Allgemeinwohl dient. "Wenn die Instrumente vorhanden sind, dann wird die kaufende Masse schonungslos manipuliert", warnte etwa Carel Mohn vom Bundesverband.

Bedenkenlose Wissenschaftler

Solche Bedenken haben die Hirnforscher nicht. "Natürlich muss gesellschaftlich diskutiert werden, wie viel Manipulation gewollt ist", erklärte Elgers Institutskollege Christian Hoppe jetzt in der Ankündigung eines Vortrages über Neuromarketing für forward2business. "Aber wir sind Wissenschaftler und haben die Aufgabe zu erforschen, wie etwas funktioniert."

Nähe zur Industrie scheut Hoppe überhaupt nicht. "Wir werden mit Reizen arbeiten, die nah an den Unternehmen dran sind", verspricht er der Branche.

Michael Hoppe wiederum argumentiert mit der immer noch vorhandenen Ratio des Verbrauchers. Schließlich könnte ein Ferrari auch bei ihm starke Emotionen hervorrufen - trotzdem würde er keinen kaufen (SZ vom 12.7.2005). Doch gerade die Ratio ist der Werbung Feind und Hoppes "Geldgeber" setzen darauf, diesen Feind in der Zukunft auszuschalten. Außerdem könnte so eine Entscheidung mehr mit den privaten Finanzen zusammenhängen als mit der Ratio.

"Jede Wissenschaft hat die Potenz des Negativen", wiegelte Elger selbst bereits 2002 ab. "Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn über das Gehirn ist der beste Weg, Manipulationen zu verhindern, da die Ergebnisse öffentlich zugänglich sind."

Hier spielt allerdings eine wichtige Rolle, wer am längern Hebel sitzt - schließlich funktioniert Werbung auch jetzt schon ein Stück weit, obwohl jeder um die Motivation dahinter weiß.

Außerdem helfen die Hirnforscher mit ihrer Arbeit, die mentalen Waffen zu schmieden, die in Zukunft auch von Politikern und Militärs eingesetzt werden könnten, um uns für ihre Politik einzunehmen.

Christian Elger gehört übrigens zu jenen elf Neurowissenschaftlern, die in einem Manifest zu Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die ethischen Fragen aufgerufen haben, die sich aus ihren Erkenntnissen ergeben.

Damit hat er recht. In der Gesellschaft muss dringend über die möglichen Konsequenzen der Hirnforschung debattiert werden, genauso wie über die möglichen Folgen der Eingriffe in das Erbgut. Denn wie der Berliner Molekularbiologe Jens Reich richtig sagt: Die Erkenntnisse über unser Gehirn werden das Menschenbild des 21. Jahrhunderts stärker verändern als die Gentechnik.

(sueddeutsche.de)

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