Werbung:Erotik ohne Anreiz

Lesezeit: 3 min

Sex sells? Nicht mehr! Neuere Studien aus Schweden und Großbritannien zeigen, dass erotische Bilder jüngere Zielgruppen kaum mehr zum Kauf bestimmter Produkte anregen.

André Anwar

Sex sells! So lautet eine altbekannte Devise der Werbebranche, die vor allem durch kaum bekleidete Damen in TV-Spots und gedruckten Anzeigen zum Ausdruck kommt.

Auch in dieser Größe haben nackte Körper an Zugkraft verloren. (Foto: Foto: ddp)

Oft führen Frauen dabei ein neues Duschgel oder eine Hautcreme im Badezimmer vor. Erotik als Kaufanreiz hat viele Anhänger in den Marketingetagen von Unternehmen und Werbefirmen.

Kein Wunder, dass Verbraucher zahlreichen Studien aus unterschiedlichen Ländern zufolge seit den sechziger Jahren immer häufiger und auch offensiver mit Sexreklame angesprochen werden. Sex verkauft sich eben, weiß doch jeder.

Oder etwa nicht? Neuere Studien aus Schweden und Großbritannien haben jetzt ergeben, dass sich Werbeexperten durchaus irren, wenn sie ihre Reklame für Mainstream-Produkte mit Sex würzen: Das "Sex sells"-Konzept funktioniert nicht mehr - zumindest nicht besser als andere Werbekonzepte und manchmal sogar schlechter.

Hintergedanke des "Sex sells" ist der gängigen Marketing-Fachliteratur zufolge eine emotionale Strategie: Konsumenten sollen durch Lustgefühle erreicht werden. Obwohl die psychologische Forschung Sigmund Freuds stark triebgesteuertes Menschenbild inzwischen sehr kritisch betrachtet, gilt es in der Werbewelt weiterhin als unumstritten.

Rationale, den Verstand ansprechende Werbung, wie sie für Waschmittel und DSL-Anschlüsse eingesetzt wird, gilt als langweilig und altbacken.

Dabei hat solche Werbung vor allem bei Jüngeren oft die bessere Wirkung, wie jetzt eine Befragung von 700 schwedischen Jugendlichen ergab.

Ein Team um den Marketingforscher Philip Berman vom Marketinginstitut der Handelshochschule in Stockholm hat die Reaktionen der 15- bis 18-Jährigen auf Reklame mit sexuellen Anspielungen und ohne erotische Würze untersucht. Diese Altersgruppe gilt eigentlich als recht offen, was Sexualität angeht.

Damit die Befragten nicht absichtlich politisch korrekte Antworten gaben, wurden sie über den Zweck der Studie nicht richtig informiert. Sie wussten nicht, dass sie an einer Befragung teilnahmen, die hauptsächlich die Wirkung von Sex auf junge Konsumenten untersucht.

Den Jugendlichen wurden einfach TV-Werbespots mit und ohne Sexelemente vorgeführt; die Teilnehmer sollten dann schriftlich und anonym Noten danach verteilen, ob die Werbung sie zum Kauf eines Produktes anregt.

Das Ergebnis der Umfrage überraschte die Forscher: Werbung mit sexuellen Elementen bewerteten beide Geschlechter durchweg negativer als Reklame ohne Sex, die eher auf Humor oder Information setzte. Zwar seien die Mädchen noch stärker gegen sexuelle Anspielungen immun als die Jungen, sagt Studienleiter Philip Berman. Doch "die Untersuchungsgruppe war im Großen und Ganzen negativ gegenüber Reklame eingestellt, die mit Sexanspielungen arbeitet".

Beinrasierer ohne Beine

Dabei hat die Art der angepriesenen Produkte gar nicht so viel mit der Bewertung durch die Jugendlichen zu tun. Parfümreklame wurde ebenso wie Limonadenwerbung behandelt. "Wir dachten zunächst, dass die Jugendlichen Sexanspielungen in Parfümreklame eher gutheißen würden", sagt Berman. "Aber dem war überhaupt nicht so."

Gerade der jüngeren Generation, die stärker auf Emanzipation achte, missfalle es, wenn Frauen als Sexobjekte genutzt werden, vermutet Berman. "Allerdings ist nicht klar, ob die Bewertung positiver ausgefallen wäre, wenn wir TV-Reklame mit Männern als Sexobjekten vorgeführt hätten", sagt der Studienleiter.

In der Praxis gebe es jedoch so gut wie keine Reklame dieser Art. Werber sollten sich jedenfalls genau überlegen, ob sie sexuelle Elemente benutzen möchten, wenn sie Jugendliche erreichen wollen.

"Werbern nun zu raten, keinen Sex mehr in Werbespots für Jugendliche zu benutzen, wäre allerdings auch übertrieben", sagt Micael Dahlén, Professor für Marketing an der Stockholmer Handelshochschule. "Aber sie sollten vorsichtiger sein." Denn auch in Großbritannien haben Studien bereits zu vergleichbaren Ergebnissen wie in Schweden geführt: Sex verkauft sich nicht mehr.

Lediglich sechs Prozent der britischen Verbraucher werden einer Erhebung des Chartered Institute of Marketing durch sexuell aufgeladene Reklamemotive positiv angesprochen.

Und eine Studie des britischen Marktforschungsinstituts Headlight Vision von 2004 mit Jugendlichen ergab, dass jüngere Zielgruppen Werbung mit sexuellen Elementen mehrheitlich langweilig und teilweise sogar abstoßend finden.

Abstumpfung der jüngeren Verbraucher

Studienleiterin Allison O"Keefe Wright macht Abstumpfung der jüngeren Verbraucher dafür verantwortlich: "In früheren Zeiten konnten Marken sexuelle Motive als zentrales Instrument verwenden, um Aufmerksamkeit zu erregen." Das sei inzwischen stark in den Hintergrund gerückt. "Heutzutage sind subtilere Hinweise und Anregungen viel kraftvoller", sagt Wright.

In der britischen Reklamewelt hat sich bereits ein neuer Trend entwickelt: Nostalgie. So sollen bekannte Marken emotional mit Sicherheit verknüpft werden. Gestützt werde dieser Trend durch die neue Angst der Verbraucher vor Terror und Krieg, so Wright. "Spielerische, an die Kindheit anknüpfende Metaphorik hat inzwischen großes Einflussvermögen."

Selbst bei körperbezogenen Produkten kann das funktionieren. So verzichtete Nicola Mendelsohn von der Werbeagentur Grey London bewusst auf Erotik bei der Bewerbung eines Beinrasierers für Frauen. Das Ergebnis: Über ein Jahr lang war der Rasierer in Großbritannien das meistverkaufte Elektrogerät.

Nach Ansicht von Peter Frost vom Marketingberater Proficiency 2020 hat sexuell dominierte Reklame zum Teil sogar katastrophale Auswirkungen. Unter dem Motto "Rethinking Pink" organisiert Frost Fortbildungsveranstaltungen zum Thema.

Sogar Männer, so Frost, würden heute in der Mehrzahl witzige und informative Werbung bevorzugen. "Wenn sich in einer Reklame für einen Fotokopierer ein leicht bekleidetes Mädchen anzüglich auf dem Gerät räkelt, spricht dies zwar ungefähr zehn Prozent der potenziellen Käufer positiv an", sagt er. "Aber die restlichen 90 Prozent verprellt man komplett."

© SZ vom 12.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: