Weltraum:Kosmische Garküche

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Kometen haben möglicherweise bei der Entstehung des Lebens auf der Erde mitgewirkt.

Patrick Illinger

(SZ vom 09.04.2002) - Über Jahrhunderte hinweg galten Kometen als Überbringer ebenso grausiger wie fröhlicher Nachrichten.

Er hat die Erde nicht getroffen, der Komet Hale Bopp, hier am Nachthimmel im Jahre 1997. Doch unzählige seiner Vorgänger bombardierten die Erde vo Urzeiten und brachten womöglich Grundbausteine des Lebens mit (Foto: N/A)

Mörderische Fluten, herannahende Seuchen, aber auch Heilung und göttliche Niederkunft - wie die Bibel erzählt - wurden mit ihrem Aufleuchten am Nachthimmel in Verbindung gebracht.

Die moderne Astrophysik sieht das nüchterner: Von "schmutzigen Schneebällen" sprechen Wissenschaftler, seit bekannt ist, dass Kometen zu großen Teilen aus Eis bestehen.

Jetzt zeigen neue Forschungsergebnisse, dass die lange Zeit als Schicksalsboten missverstandenen Himmelskörper möglicherweise doch einen bedeutenden Beitrag für die Entwicklung des Lebens auf der Erde geleistet haben.

Aminosäuren können sich in interstellarem Eis bilden

In zwei Laborversuchen haben amerikanische Wissenschaftler sowie eine Gruppe niederländischer, französischer und deutscher Forscher interstellares Eis simuliert. Hierzu kühlten sie ein wasserhaltiges Gemisch primitiver chemischer Substanzen auf wenige Grad über den absoluten Nullpunkt und bestrahlten es mit ultraviolettem Licht.

Das Ergebnis erstaunt nicht nur die Fachwelt: Auf der Oberfläche bildeten sich Aminosäuren - die molekularen Grundbausteine des Lebens. Auf ihnen basieren sämtliche Proteine, die alle Prozesse unseres Körpers steuern.

Insgesamt 16 verschiedene Aminosäuren konnte eine der beiden Forschergruppen nachweisen, als sie das Kunsteis erwärmten. Einige davon sind auch im Menschen zu finden.

Als Ausgangsmasse für den Versuch der europäischen Gruppe diente ein schlichter Cocktail aus je einem Teil Methan, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Ammoniak sowie zwei Teilen Wasser, der auf einen Aluminiumblock gedampft wurde. Nach mehreren Stunden UV-Bestrahlung konnten die Wissenschaftler des Max- Planck-Instituts für Aeronomie in Katlenburg-Lindau, der Universitäten Leiden und Bremen sowie des Zentrums für molekulare Biophysik in Orleans die Entstehung der komplexen organischen Moleküle nachweisen. ( Nature, Bd. 416, S. 403, 2002)

"Es regnet Aminosäuren"

"Es sieht jetzt so aus, als könnten die Grundbausteine des Lebens jederzeit und fast überall im Kosmos entstehen", sagt Helmut Rosenbauer, Direktor am beteiligten Max-Planck-Institut. Denn die im Labor simulierten Bedingungen entsprechen jenen in der Umgebung junger Sterne.

Sein amerikanischer Kollege, der Nasa-Forscher und Leiter des amerikanischen Parallel-Experiments Max Bernstein, ist ebenso begeistert: "Es regnet buchstäblich Aminosäuren vom Himmel herunter", sagt er. Auch seiner Gruppe gelang es, drei Proteinbausteine zu erzeugen, indem sie ein wasserreiches, tiefgekühltes Gebräu aus einfachen Molekülen mit UV-Licht bestrahlte.

Die Wissenschaftler sehen nun frühere Annahmen bestätigt, wonach Kometen ähnliche Lebensbausteine wie die in den Labors erzeugten in ihrem Inneren konservieren können und über interstellare Enfernungen hinweg durch den Weltraum tragen.

Ob Kometen letztlich den Ausschlag für das Entstehen von Leben auf der Erde gaben, bleibt dennoch unsicher. In jedem Fall hatten die kosmischen Eisgeschosse Anteil an der Genese der Biologie. Und die Forscher sind einig: Wenn die Bausteine des Lebens so einfach entstehen, dann kann es jederzeit und fast überall im All geschehen.

Kosmische Strahlung verhindert ausgereiftere Lebensformen

Eine zentrale Frage lautet nun, ob Kometen in der Lage sind, noch komplexere biologische Formen in sich zu tragen. "Bislang ist keine Obergrenze für die Größe der Moleküle bekannt, die unter den widrigen Bedingungen des Weltalls entstehen können", sagt Max-Planck-Forscher Rosenbauer.

Was ausgereifte Lebensformen angeht, ist er jedoch skeptisch: Die kosmische Strahlung würde verhindern, dass Bakterien oder höher entwickelte Lebensformen mit eigenem Stoffwechsel eine Reise durchs All überstehen würden. "Die Strahlung ist eine massive Waffe", sagt Rosenbauer.

Doch Liebhaber exotischer Theorien, wie etwa der "Panspermie", wonach die ersten Lebensformen aus dem All auf die Erde kamen, sehen sich angesichts der jüngsten Ergebnisse bekräftigt. Erst im vergangenen Jahr behauptete der Astrophysiker Chandra Wickramasinghe von der Universität Wales, am äußeren Rand der Erdatmosphäre Bakterien extraterrestrischen Ursprungs entdeckt zu haben, was jedoch von Fachkollegen angezweifelt wird.

Verpackt im Marsstaub

Dass immerhin die Sporen von Bakterien einen längeren Weltraumflug überdauern können, hat erst vor wenigen Wochen eine Forschergruppe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR gezeigt. Sie schickten mehrmals Sporen des Heubacillus auf der Außenhaut russischer Satelliten ins All.

Dabei konnte die Gruppe um die Astrobiologin Gerda Horneck feststellen, dass die Mikroben den Raumflug gut überstanden, wenn sie in einer dünnen Schicht aus Tonmineralien, Sandstein oder Marsstaub verpackt waren ( SZ, 22.1.2002).

Immer wieder finden sich auch unter den auf der Erde bekannten Bakterien erstaunlich widerstandsfähige Organismen. Sie leben dort, wo nichts anderes überlebt: in siedendem Wasser, eingeschlossen in kilometertiefe Eisschichten und in radioaktivem Abfall. Es gibt kaum einen unwirtlichen Winkel des Planeten, an dem sich nicht inzwischen eine oder mehrere Arten dieser robusten Mikroben angesiedelt haben.

Die Liste der Rekorde liest sich wie ein Who's who der Extremleistungen. Bereits in den fünfziger Jahren wurde das Bakterium Deinococcus radiodurans entdeckt, nachdem man Esskonserven für Soldaten mit radioaktiver Strahlung haltbar machen wollte. Die Sporen dieses Bakteriums können eine radioaktive Dosis von drei Millionen Rad überleben, mehr als das Tausendfache der für den Menschen tödlichen Dosis.

Doch die Vielzahl extremophiler Organismen auf der Erde beweist weder deren Existenz im Weltraum noch dass ähnliche Mikroben aus dem All am Beginn des irdischen Lebens standen. Zuvor gilt es herauszufinden, wie sich aus Aminosäuren und anderen chemischen Bausteinen Leben entwickeln konnte. "Wie das gelaufen ist, weiß niemand", sagt MPI-Forscher Rosenbauer.

Späher soll auf "Wirtanen" aufsetzen

Ob Kometen womöglich nicht nur die chemischen Ingredienzen in sich tragen, sondern auch die Überdauerungsformen höher entwickelter Organismen, soll nun ein ausgefallenes Experiment zeigen. Im kommenden Jahr wird die Europäische Raumfahrtagentur ESA die Sonde "Rosetta" ins All schießen.

Der Späher soll im Jahr 2011 auf dem Kometen "Wirtanen" aufsetzen, sich festkrallen und das Material des Himmelskörpers analysieren. Nach ihrer Simulation künstlicher Kometen im Labor erwarten Astrobiologen, auch auf "Wirtanen" komplexe organische Moleküle zu finden. "Leben auf dem Kometen", sagt Rosenbauer, "das wäre jedoch eine echte Überraschung."

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