Videospiele im VR-Modus:Dem Tod ins Auge sehen

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Das Ich, umwoben von einer digitalen Fantasie: "Resident Evil" ist das erste große Videospiel für eine moderne VR-Brille - und ziemlich gruselig.

Von Sven Stillich

Die Dielen des einsamen Herrenhauses knarzen bei jedem Schritt, und nicht immer bin ich sicher, dass es meiner ist. Es ist ein enger Flur, durch den ich mich langsam vortaste, eine Armspanne breit ist er vielleicht. An den Wänden: schiefe Bilderrahmen, fremde Porträts. Über mir: zersplitterte Bohlen, ein Loch, dahinter Schwärze. Warum ist es hier so dunkel? Nur was ich anblicke, wird ein wenig heller - der Rest bleibt verborgen, und in dem Rest kann sich alles verstecken, neben mir, über oder hinter mir - was war das für ein Geräusch?

"Resident Evil" ist ein Videospiel. Das Genre heißt Survival-Horror. Hier geht es nicht um Machtfantasien, hier heißt es: Nichts wie weg hier, versteck dich, rechne immer mit einem Angriff. "Resident Evil" gibt es seit rund 20 Jahren - doch die jüngste, siebte Folge ist eine besondere. Es ist das erste große Spiel, das man in Gänze als virtuelles Erlebnis spielen kann, mit einer speziellen VR-Brille auf der Playstation 4. Setzt man diese (und die Kopfhörer) auf, hört und sieht man nur noch die virtuelle Realität, 360 Grad um einen herum. Eine digitale Fantasie webt sich um das eigene Selbst.

Der Riese? Das Biest? Die Angst atmet mir faulig im Nacken

In "Resident Evil" ist diese VR-Welt mit den ersten Schritten glaubhaft, und sofort wird klar, wie wichtig dafür dreidimensionale Geräusche sind. Da klimpert einige Meter hinter mir ein Windspiel, irgendwo, weiter entfernt, rattert ein alter Ventilator. Hinzu kommt der Raum, den das Spiel inszeniert und den ich körperlich erfahre. Fern wirkt die Wand am Ende des Flurs, nah bedeutet oft: erschreckend dicht an mir; Enge ist beklemmend, mit der Weite weitet sich der Blick. Gelange ich aus einer dunklen Kammer in eine erleuchtete Halle, betrete ich mit meinem ganzen Wesen einen neuen, unbekannten Raum. Diese direkte, ungestüme Erfahrung ist neu, das können herkömmliche Spiele so nicht.

Bislang war das Präfix Ego (wie in: Ego-shooter) bei Spielen eine Beschreibung der Perspektive - hier wird es zur Verortung. Man befindet sich mit seinem ganzen Ich im Spiel, blickt aus den eigenen Augen auf die neue Wirklichkeit, und man weiß in jedem Moment: Ich bin alleine, ich bin verwundbar. Man erkundet den virtuellen Raum also viel vorsichtiger als sonst in einem Spiel, man spielt langsamer und wacher. Vorsichtig linse ich um Türpfosten herum - und mache dabei mit dem Kopf die echte Bewegung. Immer wieder schaue ich nach hinten. Das "hinter mir" bekommt eine immense Bedeutung; das ist mein blinder Fleck, da kann immer etwas sein. Vielleicht Jack, der brutale Riese? Oder Marguerite, das alte Biest? Das Spiel atmet mir ständig faulig in den Nacken.

Der Grusel in "Resident Evil" entsteht also erst einmal, wie so oft, im eigenen Kopf. "Ich habe Angst": Das kann ich so sagen, während ich spiele. Es ist echte Angst, und manchmal fürchte ich mich wortwörtlich vor meinem eigenen Schatten. Weil ich nicht weiß, wann mich etwas anspringt - denn das geschieht nicht oft. In einem Horrorfilm würde man die vielen Sequenzen wohl schneiden, in denen ich mit zittrigen Händen die nächste Tür öffne, hinter der dann nichts passiert, in "Resident Evil" aber spiele ich durch diese Schnitte hindurch. Aus den tiefen Ritzen zwischen der Action entspringt die Angst, bald wieder flüchten oder gegen etwas bestehen zu müssen, das ich nicht besiegen kann.

Denn erschrecken kann mich "Resident Evil" gut. Mit guten alten Jahrmarktstricks - buh! - und mit dem ganzen Arsenal an Mechanismen, die es im 3-D-Kino gelernt hat. Das Messer, spitz zeigt es auf mein rechtes Auge. Der Stahlträger, der auf mich zugeschossen kommt und mich nur knapp verfehlt. Das zahnlose Gesicht von Marguerite, das plötzlich sehr dicht vor mir auftaucht, als könnte ich sie riechen. "Ich habe dem Tod ins Auge gesehen." Das kann ich so sagen, beim Spielen.

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Der virtuelle Horror ist immer dann gut, wenn er mich nur erschrecken will. Doch funktioniert das Gruseln nicht mehr so sehr, sobald es um meinen Körper geht, den es in "Resident Evil" per se nicht gibt. Nie sehe ich den Mann, in dessen Haut ich geschlüpft bin, mit Ausnahme seiner Hände, die eine Waffe halten. Nie sehe ich, wie ich mich in die Ecke einer Garage presse, und ein brennender Mann läuft stakend auf mich zu. Oder die junge Frau: Ich habe nur ein Messer, sie eine Kettensäge, überall Blut, mein Blut. Oder die Monster. Groß sind sie, viel größer als ich, mit langen, tödlichen Armen, und schwarz sind sie, wie mit Öl übergossen. Ich sterbe in ihren Armen, ich werde zersägt und erschlagen - und doch berührt mich das alles nicht im Inneren. Ich weiß: Das ist nicht mein Körper, dem das zustößt, dem geht es gut. Ich sehe, wie eine Kettensäge meine virtuelle Hand zerteilt, aber ich fühle keinen Schmerz, der Schrei im Kopfhörer ist nicht meiner. Ich sitze auf dem Sofa, ich bin in Sicherheit. Ich erschrecke in diesem Haus vor dem kleinsten Geräusch, aber im Angesicht des Todes trennt etwas in mir das virtuelle vom realen Ich.

Diese Distanz entsteht auch dadurch, dass die Erfahrung sagt, dass man nicht wirklich stirbt beim Videospielen. Aber entscheidend ist, dass ich in "Resident Evil" keine virtuelle Identität habe. Gut, mein Name ist Ethan - aber ich weiß nicht, wer Ethan ist. Ich bleibe im Geiste also ich selbst. Die Beziehung wäre intimer, wenn ich in der Fantasiewelt eine eigene Geschichte hätte. Jemand wäre, der eigene Träume und Ängste hat. Wenn ich vielleicht ein Junge wäre auf der Flucht vor meinem gewalttätigen Vater. Eine Frau, nachts in einer Tiefgarage. Ein Flüchtling auf einem Boot. Um deren Körper würde ich mich sorgen. Hier bin ich nur: Ethan, flüchtig wie mein Name. Der da blutet, den gibt es nicht, und ich weiß: Nach einem Klick auf "Continue" folgt seine Wiederauferstehung, es gibt immer noch einen Versuch. Das muss ich während des Spielens vergessen, sonst bricht die fragile virtuelle Angstlustwelt in sich zusammen.

Diese merkwürdige Taubheit für die Wirklichkeit, ihre Tiefe

Natürlich ist das alles nur der Anfang, wenn es um virtuelle Realität geht. Hypes gedeihen am besten, wenn niemand weiß, was werden wird, aber sehr viel möglich erscheint. Die Brille zur Playstation 4, Oculus Rift, HTC Vive: Das alles ist Technologie, über die wir in fünf Jahren grinsen werden, in zehn Jahren werden wir lachen. Ich habe vorige Woche meinen ersten iPod wiedergefunden, er kam mir so alt vor wie ein Atari-Joystick aus meiner Schulzeit. Bereits heute ist die VR-Grafik von "Resident Evil" ein Witz, gemessen an der Brillanz herkömmlicher Spiele. Doch die Grafik wird besser werden, die Hardware wird Fortschritte machen. Als die Controller der Spielkonsolen einst zu vibrieren begannen, als sie Rückmeldung gaben - Force Feedback aus der Spielewelt - war das ein Riesending. Und ich stelle mir vor: ein Headset mit feinstem Force Feedback an den Schläfen und am Hinterkopf. Was wäre, wenn man den Lauf einer Waffe am Kopf spüren würde? Oder die Spinnweben im Haar? Das würde VR einen ganzen Schritt nach vorne bringen - und nicht zuletzt die aufstrebende VR-Pornoindustrie.

Übrigens: Zurückzukommen in die reale Realität, die Brille abzunehmen - das ist nicht immer leicht. Ich fühle sie jedes Mal, diese merkwürdige Taubheit für die Wirklichkeit, für ihre Tiefe. Das geht weg nach ein paar Minuten, aber ein Schatten des Virtuellen begleitet mich, auch wenn der Angstschweiß auf der Stirn schon trocken ist. Das sind ganz alleine meine persönlichen Ängste, meine Erlebnisse. Das ist wichtig, weil die Wahrnehmung der virtuellen Realität weitaus subjektiver ist als die normaler 3-D-Videospiele. VR ist, wie gesagt, ichbezogener. Also mehr denn je eine Frage der Perspektive.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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