US-Militär:Der Terrorist im Glashaus

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Das US-Militär will hinter Wände blicken können. Deshalb lässt das Pentagon Radartechnik entwickeln, die das Innere von Gebäuden sichtbar macht.

Jan Wehberg

Das amerikanische Militär ist auf der Suche nach neuen Einblicken. Doch diesmal geht es nicht um Überwachungssatelliten oder das Abhorchen des Datenverkehrs zwischen Terrorgruppen.

Von Fahrzeugen, unbemannten Drohnen oder mit tragbaren Sensoren - die US-Streitkräfte wollen in Zukunft mit allen Mitteln in Gebäude spähen. (Foto: Grafik: Darpa)

Die Planer des Pentagon wollen endlich hinter Wände blicken können - und das gründlich. Die Forschungsabteilung des Verteidigungsministeriums, die Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa), sucht laut einer Ausschreibung Firmen, die ein Sensorensystem mitentwickeln, das Gebäude abtastet und deren Inneres sichtbar macht.

Das Projekt "Harnessing Infrastructure for Building Reconnaissance" (HIBR) folgt der Erkenntnis, dass sich militärische Aktionen verstärkt in urbane Gebiete verlagert haben. Gegnerische Soldaten nähmen zunehmend in zivilen Gebäuden Zuflucht und führten aus diesen heraus ihre Attacken durch, heißt es in der Darpa-Ausschreibung.

"Mit Radar durch Wände zu schauen, ist prinzipiell möglich", sagt Joachim Schiller vom deutschen Forschungsinstitut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR). Diese Technik werde in der Nato seit längerem untersucht und bei den Amerikanern in Ansätzen schon angewendet, sagt Schiller.

Das Problem sei allerdings die geringe Auflösung der Bilder; Objekte hinter Wänden, die kleiner sind als 20 bis 30 Meter, bleiben für konventionelle Radarwellen unsichtbar. Um hohe Reichweiten zu erlangen, arbeiten klassische Radargeräte, beispielsweise auf Schiffen oder Flughäfen, mit großen Wellenlängen. Diese übersehen aber kleine Strukturen, wie sie innerhalb von Gebäuden existieren.

Die Herausforderung an die vom Pentagon gewünschte neue Technik besteht darin, mit kurzen Wellenlängen auszukommen und hohe Auflösungen zu erzielen. Dabei sind Sensoren denkbar, die im Megahertz-Bereich arbeiten, aber dafür aus einer kurzen Distanz von wenigen Metern. Es könnten auch Verfahren zum Einsatz kommen, die das Gebäude mit einem Gemisch von Wellenlängen abtasten. "Wir suchen Ideen, welche Sensoren für so ein Projekt in Frage kommen und wie wir sie einsetzen können", sagt ein Sprecher der Darpa auf Anfrage.

Die Ziele sind anspruchsvoll. Die Ausschreibung besagt, dass ein zehnstöckiges Hochhaus mit zwei Kellergeschossen in dichtbebautem Stadtgebiet innerhalb von drei Tagen komplett erfasst werden muss. Wände aus Lehm, Ziegeln oder Beton dürfen kein Hindernis darstellen. Zu den taktisch wertvollen Informationen gehört die Lage von Räumen, Treppenhäusern und Verbindungswegen innerhalb von Gebäuden.

Aber auch elektrische Einrichtungen, Rohrleitungen oder Klimaanlagen soll das neue System orten. Besonderes Interesse finden unterirdische Verbindungen zwischen Gebäuden. Stahlwände jedoch werden vermutlich für Radarwellen ein nicht zu durchdringendes Hindernis bleiben. Um diese zu durchleuchten, wären Röntgen- oder Gammastrahlen notwendig.

Auch Menschen werden gesucht

Ohne genaue Ortskenntnisse sind die US-Soldaten häufig im Nachteil, weil die Gegner wissen, wie sie sich am schnellsten und sichersten bewegen. Während militärischer Operationen soll es gemäß der Darpa-Ausschreibung möglich sein, aktuelle Live-Updates der Situation im Gebäude zu erstellen.

Da sich die Architektur aber kaum rasch verändern wird, ist klar: Es sollen offenbar auch Menschen erfasst werden. Markus Peichl vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt hält das zumindest technisch für möglich.

"Es ist durchaus denkbar, Personen innerhalb von Gebäuden sichtbar zu machen." Allerdings wäre das Ergebnis nur eine ungefähre, grobmaschige Darstellung. Peichl spricht von "Klecksen" auf einer schwer zu interpretierenden Abbildung.

Um eine gute räumliche Auflösung zu erhalten, bedarf es in diesem Fall einer Radarfrequenz im Gigahertz-Bereich. Diese wird durch das Mauerwerk jedoch stark gedämpft. Um möglichst genaue Einblicke in das Gebäude zu erhalten, setzt die Forschungsbehörde daher auf ein "breit angelegtes Set" verschiedener Ortungsgeräte.

So könnte eine Kombination von unbemannten Drohnen oder ferngelenkten Fahrzeugen eingesetzt werden. Außerdem könnten Radarsensoren von bemannten Fahrzeugen aus zusätzliche Daten empfangen. Denkbar seien auch tragbare Geräte, die Soldaten in Rucksäcken zu ihren Einsatzorten transportieren, etwa bei geheimen Missionen.

Einzelheiten zur geplanten Technik sind nicht öffentlich; sie können von interessierten Partnerfirmen jedoch angefordert werden. Klar ist, dass es sich sowohl um passive Sensoren handeln könnte, die lediglich Wellen aufnehmen, als auch um aktive Sender, die Strahlen erzeugen, um das Echo zu empfangen.

Passive Sensoren könnten zum Beispiel die natürliche Hintergrundstrahlung nutzen, wie sie etwa aus dem Erdboden oder dem Weltall kommt, um so etwas wie Röntgenbilder von Häusern zu erstellen. Dazu müssen die Geräte allerdings sehr empfindlich sein und sie benötigen einen langen "Belichtungs"-Zeitraum. Der große Vorteil wäre, dass diese passiven Sensoren nicht von feindlichen Radaren entdeckt werden können. Bei dieser Technik sieht Joachim Schiller großes Potential.

Die Pentagon-Forscher arbeiten parallel an einem Konzept namens "Visibuilding". Dabei soll ein System aus Radaranlagen aus großer Entfernung in Gebäude hineinblicken. Im Februar erhielt die Firma Science Applications International einen Entwicklungsauftrag im Wert von 4,3 Millionen Euro.

Echos als Problem

Das größte Problem dabei ist weniger, Wände zu durchdringen, als die zahlreichen Echos der Wellen zu sortieren, die von den Ecken, Kanten und Flächen innerhalb eines Gebäudes zurückgeworfen werden.

Bereits heute verfügt das US-Militär über eine weitere Möglichkeit, durch Wände zu sehen. Through-the-wall-imaging heißt dies offiziell. Die Rüstungsfirma L-3 Communications hat mit Emmdar (Electromagnetic Motion-Detection And Ranging) einen handlichen elektromagnetischen Bewegungsdetektor entwickelt, der Menschen etwa in benachbarten Zimmern aufspüren kann.

Das Gerät wird an die Wand gehalten und ortet Lebenszeichen. Das System beruht auf dem Dopplereffekt: Die Frequenz des gesendeten Signals wird von bewegten Körpern verschoben und vom Gerät wieder empfangen. Das System sei empfindlich genug, um das Heben und Senken eines Brustkorbs beim Atmen wahrzunehmen, versichert der Hersteller.

Dass die Firma L-3 Sicherheitsexperten überzeugen kann, hat sie bereits bewiesen. Von ihr stammt einer der zurzeit diskutierten "Nacktscanner". Diese arbeiten mit sehr kurzen Wellen, die die Textilien durchdringen und von der Hautoberfläche reflektiert werden.

Ein erstes Treffen mit Interessenten für das HIBR-Projekt ist noch in dieser Woche geplant. Berichte über erste Erfolge bei der Entwicklung des neuen Systems erwartet das Pentagon in sechs Monaten.

© SZ vom 30.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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