US-Klimapolitik:"Der Kurs wird sich ändern"

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Robert Corell, einer der wichtigsten US-Klimaexperten, über eine neue US-Klimapolitik nach der Regierung George W. Bush.

Toralf Staud

Robert Corell, 73, ist einer der wichtigsten US-Klimaexperten. Er lehrte in Harvard, war lange Jahre Regierungsberater und ist heute Vizepräsident des Heinz Center, eines unabhängigen Thinktanks in Washington D.C. Sein jüngster Besuch in der Arktis hat ihm abermals vor Augen geführt, wie wichtig eine neue US-Klimapolitik nach der Regierung George W. Bush wäre.

Der Ilulissat-Eisfjord an der grönländischen Westküste: "Wie Zahnpasta, die aus der Tube quillt." (Foto: Foto: ddp)

SZ: Fast wöchentlich kommen aus der Arktis Rekordmeldungen über den Rückgang des Eises. Sie waren gerade in Grönland, wie dramatisch ist die Situation?

Corell: Es ist atemberaubend: Wenn Sie etwa im Ilulissat-Eisfjord an der grönländischen Westküste stehen, können Sie zuschauen, wie ein riesiger Gletscher von einem Kilometer Höhe ins Meer rutscht - wie Zahnpasta, die aus der Tube quillt. Er bewegt sich jeden Tag um 40 Meter, also fast zwei Meter pro Stunde. Jeden Tag schmilzt eine Wassermenge ab, mit der man eine Stadt wie New York ein Jahr lang versorgen könnte.

SZ: Sie sind seit Jahrzehnten regelmäßig in der Arktis.

Corell: Wenn wir damals über die Landschaft flogen, dann war von irgendeinem Schmelzen nichts zu sehen. Fliegen Sie heute über Grönland, gleicht das einer schwedischen Seenlandschaft.

SZ: Vor Jahren waren Sie einer der Hauptautoren des Arctic Climate Impact Assessment (ACIA) und wurden als Alarmist gescholten.

Corell: Im Jahr 2005 kamen wir aufgrund mehrerer Modelle zu dem Ergebnis, dass der Nordpol bis Ende dieses Jahrhunderts eisfrei sein könnte. Im Jahr darauf sahen wir, dass das Eis etwa doppelt so schnell verschwand. Die Realität ist schneller, als wir mit unseren Modellen hinterherkommen.

Ein Kollege von der Nasa sagte kürzlich: "Hey, Leute, wahrscheinlich ist der Ozean in der Arktis im Jahr 2013 oder 2015 komplett eisfrei." Ich glaube auch, dass wir beim Abschmelzen des Grönlandeises den point of no return, den Punkt ohne Rückkehr überschritten haben.

SZ: Was bedeutet das?

Corell: Aus der Paläo-Klimatologie wissen wir, dass Grönland vor 100.000 Jahren schon einmal eisfrei war - damals stand der Meeresspiegel drei bis fünf Meter höher als heute. Das könnte man nur noch stoppen, wenn irgendjemand die Erde in einen großen Kühlschrank tut.

SZ: Warum bezifferte dann der IPCC-Bericht den drohenden Anstieg im vergangenen Jahr auf 20 bis 60 Zentimeter?

Corell: Da war nur die wärmebedingte Ausdehnung des Ozeanwassers berücksichtigt, nicht aber das Abtauen des Festlandeises. Das stand auch im Text zur Graphik, aber wer liest den schon? Seit dem IPCC-Bericht gibt es einen zunehmenden Konsens, dass bis Ende des Jahrhunderts ein Anstieg um mindestens einen Meter zu erwarten ist.

Wir werden einen Großteil Floridas verlieren. Für Deutschland bedeutet das starke Überflutungen auf Sylt und an der Küste. Von Bangladesch sind 40Prozent verloren. Selbst der IPCC mit seiner niedrigen Schätzung sprach von weltweit 165 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2100, die uns erwarten.

SZ: Wieso reagieren Politik und Öffentlichkeit wenig auf diese Warnungen?

Corell: Jeder glaubt, das sei alles weit weg - räumlich, aber auch zeitlich. Ein Problem von uns Wissenschaftlern ist, dass wir immer vom ,,Ende des Jahrhunderts'' reden. Wir sollten mehr darüber sprechen, was uns im Jahr 2015 erwartet.

SZ: Die Regierung Bush hat mehrfach Druck auf Klimaforscher ausgeübt.

Corell: Nicht nur die. Zum Ende der Clinton-Regierung hatten wir einen Nationalen Bericht zum Klimawandel fertig, und eine konservative Gruppe verklagte uns, damit daraus keine praktische Politik wird.

Das haben die Bush-Leute verschärft: 2005 sollte die Veröffentlichung unseres ACIA-Bericht verhindert werden. Ich weigerte mich, danach war ich persona non grata, wurde in kein offizielles Gremium mehr berufen. Das hat mich nicht abgehalten: Wir haben Arktis-Reisen für führende Politiker organisiert wie für die Senatoren Lieberman, Hillary Clinton, McCain.

SZ: John McCain lobte Sie vor Jahren mal als jemanden, der "normalen Menschen den Klimawandel erklären kann".

Corell: Ich habe intensiv mit ihm und seinem Stab zusammengearbeitet. Als Senator hat er sich sehr für einen Emissionshandel nach EU-Vorbild starkgemacht, aber die Mehrheit der Republikaner war strikt dagegen.

SZ: Wird sich die US-Politik ändern, wenn McCain die Wahlen gewinnt?

Corell: Als John seine Kandidatur erklärte, haben wir uns als unabhängiger Thinktank zurückgezogen. Aber ich weiß, dass er tief im Inneren überzeugt ist, dass es Kursänderungen in der Klimapolitik geben muss. Wenn John Präsident wird, wird der Druck von rechts immens sein. Ein Präsident McCain wird sicherlich weniger tun als der Senator; aber mehr, als er jetzt zeigen kann. Wie sich die Wahl seiner Vizepräsidentin auswirkt, ist schwer zu sagen.

SZ: Wieso?

Corell: Sarah Palin zweifelt zwar nicht, dass der Klimawandel real ist; sie lebt ja in Alaska. Aber sie glaubt, der Mensch habe nichts damit zu tun.

SZ: Und was wird passieren, wenn Barack Obama die Wahlen gewinnt?

Corell: Dann wäre ein großer Umbruch sicher. Seine Partei ist klar für einen Emissionshandel. Aber wenn die Demokraten nach der Wahl eine Mehrheit von mehr als 60 Senatoren haben, dann könnte auch John McCain mehr tun.

SZ: Werden sich die USA bewegen bei den Verhandlungen für das Kyoto-Nachfolge-Abkommen?

Corell: Die jetzige Regierung amtiert noch bis 20. Januar 2009, danach wird sich der Kyoto-Prozess verändern, egal, wer gewinnt. Aber es sind zu viele Hausaufgaben zu machen, als dass sie in den neun Monaten bis zur UN-Konferenz in Kopenhagen erledigt werden könnten.

Wir haben deshalb Anfang Juli mit den Top-Beratern beider Lager zusammengesessen, das hat es noch nicht gegeben. Ihr müsst jetzt eure Teams einarbeiten, haben wir denen gesagt. Schickt eure Leute bereits zu den UN-Konferenzen. Die müssen am 21. Januar vorbereitet sein, die Last sofort zu schultern.

© SZ vom 11.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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