Unter Verwandten:Was Kleinkinder Affen voraushaben

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Während Affen noch immer im Dschungel leben, erforschen Menschen das Universum. Nun gibt es neue Hinweise darauf, warum das so ist.

Wiebke Rögener

Wer einmal gesehen hat, wie Kleinkinder und Menschenaffen im Zoo aufeinander reagieren, weiß es: Kinder, die gerade laufen und sprechen gelernt haben, befinden sich auf einer ähnlichen Entwicklungsstufe wie die nächsten Verwandten des Menschen.

Was aber befähigt die einen, später Steuersysteme zu entwickeln, den Ursprung des Universums zu erforschen oder Klimakatastrophen heraufzubeschwören, während die anderen seit Jahrtausenden ihr vergleichsweise unkompliziertes Dasein im Urwald fristen? Den Unterschieden sind Genetiker wie Verhaltensforscher auf der Spur.

Welche Fähigkeiten das menschliche im Vergleich zum Schimpansen dreimal größere Gehirn besitzt, untersuchten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig ( Science, Bd. 317, S. 1360, 2007). Michael Tomasello und seine Kollegen stellten 100 Kleinkinder im Alter von zweieinhalb Jahren und ebenso viele Schimpansen vor verschiedene Aufgaben.

Auch 30 Orang Utans waren dabei. Menschenkinder, so beobachteten die Forscher, sind nicht unbedingt intelligenter als erwachsene Menschenaffen. Bei vielen Tests waren Schimpansen ebenso gewitzt wie der menschliche Nachwuchs: Ging es in einer Art Hütchenspiel darum, sich zu merken, unter welchem Becher eine Leckerei verborgen war, waren Schimpansen mindestens so erfolgreich.

Auch junge Schimpansen, die bei Menschen aufwuchsen, waren gelegentlich selbstlos behilflich, allerdings deutlich seltener.

Es sei vor allem die kulturelle Intelligenz, das heißt die Fähigkeit, Informationen auszutauschen und am Wissen anderer Gruppenmitglieder teilzuhaben, die den Menschen ausmacht, schlussfolgerten die Leipziger Forscher.

Soziale Fähigkeiten bei Menschen nicht einzigartig

Auch wenn die sozialen Fähigkeiten des Menschen überlegen sind, einzigartig sind sie nicht.

Affen vollbringen bemerkenswerte Leistungen. So verstehen Schimpansen, Rhesusaffen und Tamarin-Affen, ob eine Handlung absichtlich oder zufällig ausgeführt wurde, berichten Psychologen der Harvard University ( Science, Bd. 317, S. 1402, 2007).

Der Versuchsleiter griff entweder gezielt nach einem Behälter oder streifte diesen nur scheinbar zufällig mit dem Handrücken. Im ersten Fall schauten die Tiere häufiger nach, was sich in dem Gefäß verbarg.

Berührte der Experimentator das Gefäß mit den Ellbogen, kam es auf die Situation an: Hielt er etwas in beiden Händen, schien den Tieren die Bewegung offenbar sinnvoll, und sie sahen in den Behälter. Waren die Hände frei, schien ihnen die Berührung mit dem Ellbogen wohl sinnlos und sie reagierten nicht darauf.

Auch konnten sie Mengen ebenso gut abschätzen und Ursache und Wirkung verknüpfen: Schüttelte der Testleiter zwei Gefäße und nur in einem klapperte es, war Affen wie Kindern klar, wo sie ihre Belohnung suchen mussten. Die mit dem Menschen entfernter verwandten Orang Utans schnitten in den Tests etwas schlechter ab.

Entscheidende Unterschiede aber wurden offenbar, wenn es um das soziale Verständnis ging: Kinder begriffen weit besser als Affen, wenn ihnen mit Gesten oder Blicken bedeutet wurde, wo sie ein verborgenes Spielzeug suchen sollten. Zeigte ihnen jemand, wie sie an eine Belohnung kommen konnten, die in einer Plastikröhre feststeckte, ahmten sie das Vorgehen meist nach.

Wenn der Experimentator vergeblich versuchte, ein Gefäß zu öffnen, begriffen sie rasch, dass hierin etwas Interessantes verborgen war. Bei Aufgaben, bei denen es darauf ankam, Absichten und Signale des Gegenübers zu verstehen, waren Kinder in etwa dreiviertel aller Fälle erfolgreich, die Menschenaffen kaum halb so oft.

Andere auch zu unterstützen, wenn man keinen Vorteil davon hat, gilt - zumindest als Verhaltensmöglichkeit - als spezifisch menschlich. Schon mit 18 Monaten helfen Kinder anderen, hatten die Leipziger Forscher früher festgestellt ( Science, Bd. 311, S. 1301, 2006). Bemühte sich etwa ein Experimentator vergeblich, einen entfernten Gegenstand zu erreichen, schoben die Kinder ihm diesen zu.

Auch junge Schimpansen, die bei Menschen aufwuchsen, waren gelegentlich selbstlos behilflich, allerdings deutlich seltener. Es sei vor allem die kulturelle Intelligenz, das heißt die Fähigkeit, Informationen auszutauschen und am Wissen anderer Gruppenmitglieder teilzuhaben, die den Menschen ausmacht, schlussfolgerten die Leipziger Forscher.

Die Kooperation der Bonobos

Auch wenn die sozialen Fähigkeiten des Menschen überlegen sind, einzigartig sind sie nicht. Affen vollbringen bemerkenswerte Leistungen. So verstehen Schimpansen, Rhesusaffen und Tamarin-Affen, ob eine Handlung absichtlich oder zufällig ausgeführt wurde, berichten Psychologen der Harvard University ( Science, Bd. 317, S. 1402, 2007).

Der Versuchsleiter griff entweder gezielt nach einem Behälter oder streifte diesen nur scheinbar zufällig mit dem Handrücken. Im ersten Fall schauten die Tiere häufiger nach, was sich in dem Gefäß verbarg.

Berührte der Experimentator das Gefäß mit den Ellbogen, kam es auf die Situation an: Hielt er etwas in beiden Händen, schien den Tieren die Bewegung offenbar sinnvoll, und sie sahen in den Behälter. Waren die Hände frei, schien ihnen die Berührung mit dem Ellbogen wohl sinnlos und sie reagierten nicht darauf.

Die Affen ziehen nicht nur die Bewegung selbst in Betracht, sondern berücksichtigen auch die Umstände und möglichen Beschränkungen des Akteurs, folgern die Forscher. Schon als sich in der Evolution vor 40 Millionen Jahren Alt- und Neuweltaffen trennten, also lange vor der Entstehung des Menschen, sei die Fähigkeit entstanden, sinnvolles und zielgerichtetes Verhalten bei anderen zu erkennen.

Kooperatives Verhalten ist Affen nicht fremd

Auch kooperatives Verhalten ist Affen nicht fremd, zeigen Beobachtungen in Schimpansen-Reservaten in Uganda ( Science, Bd. 317, S. 1338, 2007). Forscher platzierten Futter auf einem Brett, das an jedem Ende mit einem Seil verbunden war. Deren Enden ragten in ein Gehege mit Schimpansen. Nur durch Zug an beiden zugleich ließen sich die Leckereien in Reichweite bringen. Der Abstand der Seilenden war aber so groß, dass ein Tier nicht beide zugleich erreichen konnte.

Oft taten sich zwei Affen zusammen - allerdings nur, wenn sich beide auch sonst gut vertrugen.Das Zusammenwirken eines ranghohen mit einem untergeordneten Schimpansen scheiterte dagegen meist.

Auch zwischen verschiedenen Arten gab es Unterschiede. Bonobos - die kleineren und friedlicheren Verwandten der Schimpansen - arbeiteten häufiger erfolgreich zusammen als die aggressiveren Schimpansen. Bonobos lösten die Aufgabe auch dann, wenn nur eine Futterschüssel auf dem Brett stand und teilten sich dann die Beute. Für Schimpansen mussten es zwei getrennte Belohnungen sein, damit die Zusammenarbeit funktionierte.

Die Leipziger Forscher schlagen vor, nun das Erbgut vieler Affenarten zu analysieren, um den genetischen Grundlagen der besonderen sozialen Fähigkeiten des Menschen auf die Spur zu kommen.

Der Genetiker Helmut Blöcker vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, der an der Sequenzierung des Schimpansengenoms beteiligt war, mahnt zur Bescheidenheit: Bisher sei es nicht gelungen, Erbanlagen aufzuspüren, die für unterschiedliche soziale Verhaltensweisen von Schimpansen und Menschen verantwortlich sind.

"Mensch und Schimpanse unterscheiden sich ohnehin nur in wenigen Genen", betont Blöcker und verweist auf aktuelle Daten von Genetikern der Duke University. Differenzen zwischen Mensch und Schimpanse fanden sie vor allem in Erbgutabschnitten, die Gene für die Hirnentwicklung regulieren ( Nature Genetics, Bd. 39, S. 1140, 2007).

Nicht mal hier seien die funktionellen Unterschiede so groß, wie man geglaubt habe, sagt Blöcker. "Die Suche nach einem spezifischen ,Gen für die kulturelle Intelligenz' des Menschen wird sicher vergeblich sein."

© SZ vom 7.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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