Umwelt:Was wäre, wenn der Mensch verschwände?

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Angenommen, Homo Sapiens verschwindet über Nacht - ist die Erde auf ewig verseucht oder kann sie sich erholen?

Globale Erwärmung, Waldsterben, Vergiftung der Gewässer: Der Mensch ist für umfassende, vielleicht unwiderrufliche Eingriffe in das Ökosystem verantwortlich. Könnte sich die Natur erholen, wenn wir plötzlich verschwinden würden? Der US-Wissenschaftsautor Alan Weisman hat diese Frage konsequent zu Ende gedacht. Nach seiner Simulation würde die Erde unerwartet schnell wieder ein grüner Planet sein. Doch die giftigeren Hinterlassenschaften des Menschen würden noch Jahrtausende nachwirken.

Ein Traum für wahre Ökologen: Quasi über Nacht verschwindet der Homo sapiens - und mit ihm Autoabgase, Fluorkohlenwasserstoffe, rauchende Schlote und Schnellstraßen. Weisman, Dozent für Journalismus an der Universität von Arizona, hat auf der Basis ökologischer Studien sowie Gesprächen mit Wissenschaftern und Technikern eine Zukunft ohne den Menschen simuliert.

Aufschlussreich war für Weisman vor allem der Besuch jener Gegenden, in denen einst Menschen lebten und die dann wieder der Natur überlassen wurden. An der Grenze von Polen und Weißrussland etwa liegt ein dichter Wald mit riesigen moosüberzogenen Bäumen, in dem Wölfe heulen und wo Büffel grasen. An solchen Orten, zu denen auch die entmilitarisierte Zone in Korea sowie die Gegend um Tschernobyl gehören, hat die Natur eine enorme Fähigkeit zur Selbstheilung an den Tag gelegt.

New Yorker U-Bahn binnen zwei Tagen überflutet

Weismans Gedankenspiel ist jetzt in den USA in Buchform erschienen: "The World without us" (Die Welt ohne uns). Die Folgen eines plötzlichen Aussterbens des Menschen würden demnach sehr schnell eintreten, zuerst in den großen Städten. In New York etwa wären binnen zwei Tagen die U-Bahn-Tunnel überflutet, da die Pumpen nicht mehr täglich mehr als 40 Millionen Liter Grundwasser wegpumpen. Die Stützen der Großstadtwelt würden schnell zusammenbrechen.

In den verwaisten Städten würden Straßen einsinken und zu Flussbetten werden. Die Zahl der Vögel, die zusätzlich überleben, weil es keine Irritationen durch Lichter und keine Hochspannungsleitungen mehr gibt, schätzt Weisman auf eine Milliarde pro Jahr. Anderen Arten drohte der Untergang: Binnen eines Jahres wären Kopf- und Körperläuse ausgestorben, Kakerlaken und Ratten folgten ihnen nach zwei oder drei Wintern.

Nach 20 Jahren wären die Städte überwachsen; die vom Menschen über Jahrhunderte kultivierten Gemüsepflanzen entwickeln sich zu ungenießbaren Varianten. Metropolen, die wie das texanische Houston in Flussdeltas hineingebaut sind, wären bald fortgeschwemmt. Nach 1000 Jahren wären dann nur noch wenige von Menschenhand geschaffene Strukturen intakt, etwa der Tunnel zwischen England und Frankreich.

Viele andere Erinnerungen an den Menschen überdauern freilich noch längere Zeiträume: Erst in 35.000 Jahren wäre der Boden vom Blei der Industrialisierung gereinigt; der CO2-Gehalt der Luft wäre erst nach 100.000 Jahren wieder so wie zur Zeit der Neanderthaler - vorausgesetzt es gäbe keine Vulkanausbrüche.

250.000 Jahre würde es dauern, bevor das Plutonium in den Nuklearwaffen abgebaut wäre. Manche Gifte wie die polychlorierten Biphenyle werden noch in mehreren Millionen Jahren nachweisbar sein - wer immer dann Messinstrumente durch den Dschungel trägt.

"Eine andere Art zu begreifen, was in der Gegenwart geschieht"

Die Simulation der Welt ohne Menschen soll nach dem Willen des Autors weder eine naive Naturromantik noch Depressionen auslösen, sondern zum Nachdenken über das Eingreifen des Menschen ins Ökosystem Erde anregen: Der Blick darauf, was in Abwesenheit des Menschen passiert, meint er, sei "eine andere Art zu begreifen, was in unserer Gegenwart geschieht". Und, so der positive Teil von Weismans Botschaft: "Ich glaube nicht, dass wir alle verschwinden müssen, damit die Erde wieder gesundet."

Mehr Informationen über das Buch "The World Without Us" im Internet unter www.worldwithoutus.com

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