Überfischung:Thunfisch vor dem Ende

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Ob als Sushi, Tuna-Sandwich, Pizza Tonno, Salade Nicoise oder Thunfischsteak - weltweit steht Thunfisch wie selbstverständlich auf der Speisekarte. Doch viele Arten sind akut gefährdet. Japan hat deshalb sogar freiwillig die Fangquote halbiert.

Marten Rolff

Da geht ein Kunde in eine bayerische Metzgerei und verlangt ein Kilo Schweinsbraten. "Gibt"s leider nicht", sagt der Metzger. "Wussten Sie nicht: Das Schwein ist ausgestorben."

Ein Fischer auf den Philippinen mit einem Gelbflossenthunfisch. (Foto: Foto: Reuters)

Ähnlich überraschend könnte vielleicht bald die Antwort auf die Frage nach einer Portion Thunfisch ausfallen.

Nach einem Fisch, dessen zahlreiche Unterarten einmal massenhaft in fast allen Weltmeeren zuhause waren und die derzeit noch in fast allen Ländern Asiens, Amerikas und Europas wie selbstverständlich auf der Speisekarte stehen. Ob als Sushi, Tuna-Sandwich, Pizza Tonno, Salade Nicoise oder Thunfischsteak.

Wann die Bestände kollabieren, darauf wollen sich Wissenschaftler nicht festlegen. Doch gibt es Meeresbiologen, die etwa dem pazifischen Gelbflossenthun nur noch drei Jahre und dem Blauflossenthun in Atlantik und Mittelmeer keine 20 Monate mehr geben. Von exakten Prognosen hält Sergi Tudela nichts.

"Entscheidend ist, dass wir handeln müssen", sagt der spanische Leiter vom Mittelmeer-Fischerei-Programm des World Wildlife Funds (WWF). "Wissenschaftler haben klar gemacht, dass es ohne drastische Schutzmaßnahmen mit den Beständen im Mittelmeer und im Ostatlantik zuende geht."

"Da hilft nur Boykott"

Der Umweltschützer reist im November als Beobachter nach Dubrovnik. Dort wird die Organisation ICCAT (International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas), in der neben den EU-Mitgliedern 41 Länder vertreten sind, die neuen Fangquoten für die Hochseefischerei festlegen.

Die Kommission gilt zwar als zahnlos, weil die Vertragsstaaten die Empfehlungen ihrer Wissenschaftler nur als Richtschnur sehen und weil die ohnehin zu hohen Fangquoten stets durch illegale Fischerei überschritten werden. Doch nun stimmten die Befürchtungen der ICCAT-Forscher erstmals sogar mit denen des WWF überein, sagt Tudela.

In Dubrovnik soll die Fangquote mehr als halbiert werden. Zudem will man einen Fischereistopp während der Laichzeit des Blauflossenthuns zwischen Mai und Juli, ein Mindestfanggewicht von 30 Kilogramm pro Fisch sowie verlässliche Kontrollen der Schiffe erreichen. "ICCAT muss jetzt erstmals beweisen, dass es mehr ist als nur ein Club von Ländern", sagt Tudela, den man auch als Europas obersten Thunfischschützer bezeichnen könnte.

"Wenn sie die Forderungen nicht umsetzen, dann hilft nur noch ein Boykott." Bei der Umweltorganisation Greenpeace spricht man vom "Schicksalsjahr für den Blauflossenthunfisch."

Zuletzt hatten sich vor allem beunruhigende Meldungen aus Europa gehäuft. In den Gewässern um die Balearen, weltweit das wichtigste Laichgebiet für den Blauflossenthun, ist die Fangmenge laut WWF seit 1995 um 85 Prozent gesunken. Die Mattanza, die bei Touristen beliebte blutige Thunfischjagd vor Sizilien, fand mangels Fischschwärmen nicht mehr statt.

Die Thunfischfarmen am Mittelmeer, in denen kleinere, oft illegal gefangene Tiere in fußballfeldgroßen Käfigen hochgemästet werden, konnten 2006 mangels Fischen kaum die Hälfte ihres Platzes füllen. Und im September protestierten spanische Fischer, deren Netze immer öfter leer bleiben, in Brüssel gegen die EU-Subventionen für die industrielle Fischerei.

In Japan eine Delikatesse

Der europäische Fang wird zum Großteil nach Japan verkauft. Nicht nur dort gilt der Blauflossenthunfisch, wegen seines dunkelroten Fleisches auch Roter Thun genannt, als Delikatesse.

Sein fettreiches Filet ist besonders für Sushi und Sashimi geeignet. Auf Tokios Fischauktionen, die weltweit die Preise diktieren, werden bis zu 80 Euro pro Kilo gezahlt. Der Rekordgewinn für einen 200-Kilo-Thun liegt bei mehr als 150 000 Euro. Angesichts solcher Summen gebe es weltweit eine regelrechte "Goldrauschfischerei, die leider auch noch von der EU gefördert wird", sagt Heike Vesper, Fischereireferentin des WWF in Hamburg.

Weltweit, so kritisieren Umweltschützer, pflügten hochindustrialisierte Fischereiflotten mit kilometerlangen Netzen in Wildwestmanier die Meere nach Thunfisch um .

Illegale Fänge so genannter Piratenfischer würden auf hoher See übernommen, die Fangmengen - oft mit Wissen der Behörden - falsch oder gar nicht dokumentiert. Trotz einer von ICCAT für den Blauflossenthun festgelegten Jahresquote von 32 000 Tonnen wurden zuletzt 50 000 Tonnen gefischt. "Die Franzosen zum Beispiel geben offen zu, dass sie 50 Prozent mehr Thunfisch fangen als sie dürfen", sagt WWF-Experte Tudela.

An kaum einem Beispiel lasse sich die Globalisierung so gut illustrieren wie am Thunfischhandel, schreibt der Harvard-Japanologe Theodore Bestor. An den Hafenmolen Kanadas oder Frankreichs begutachten japanische Händler den Fang und erfragen per Handy die aktuellen Preise in Tokio.

Die Fische werden tiefgefroren nach Japan geflogen und verkauft - oft nur, um die Rückreise in die japanischen Restaurants von New York oder London anzutreten. Der Fisch, der in Europas umstrittenen Thunfischfarmen verfüttert wird, stammt aus dem Pazifik; für ein Kilo Thunfisch werden 20 Kilo Futterfisch investiert, weshalb Umweltschützer die Farmen gern als Proteinkiller bezeichnen.

In den Regalen europäischer Supermärkte hingegen landet meist Bonito oder Weißer Thun aus dem Pazifik. Die billige Verarbeitung in Ländern wie China garantiere derzeit noch Preise von einem Euro pro Dose, sagt der Meeresbiologe Thilo Maack von Greenpeace in Hamburg. "Eigentlich aber müssten wir sagen: Iss die Hälfte und zahl das Doppelte."

Erfolgloses Schutzprogramm

Greenpeace hat im Sommer darauf hingewiesen, dass sich die internationalen Fischereiflotten wegen leer gefischter Gründe gerade auf die letzten intakten Bestände im Pazifik stürzen. Ist ein Bestand erst einmal kollabiert, ist seine Erholung ungewiss.

Zuchtversuche seien bislang erfolglos geblieben, und ein Schutzprogramm für den Blauflossenthun vor Nordamerikas Küste habe auch nach neun Jahren keine erkennbare Wirkung gezeigt, sagt WWF-Expertin Heike Vesper. "Die sensiblen Ökosysteme verschieben sich. Offenbar, weil die oberste Gruppe in der Hierarchie der Nahrungskette fehlt."

Nach einer im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Studie ist der weltweite Großfischbestand in den vergangenen 50 Jahren um 90 Prozent zurückgegangen.

Japan hat vor wenigen Tagen mit der Ankündigung reagiert, seine Thunfischquote freiwillig für fünf Jahre um die Hälfte zu reduzieren. Zugleich gab man zu, dass Japans Fischer 2005 etwa 30 Prozent mehr Fische aus dem Wasser gezogen haben, als regionale Abkommen erlauben.

Sergi Tudela vom spanischen WWF hofft, dass dieser Schritt ein Zeichen für ein Umdenken ist. Greenpeace-Biologe Thilo Maack ist da skeptischer. Nach russischen Schätzungen werde in Japan illegal gefangener Fisch im Wert von 600 Millionen Dollar jährlich verkauft: "Die beschaffen sich den auch ohne Quoten."

© SZ vom 24.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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