Tsunami-Warnsystem:Das Problem der letzten Meile

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Das deutsche Tsunami-Warnsystem in Indonesien geht offiziell in Betrieb - fertiggestellt sein wird es erst in zwei Jahren.

Axel Bojanowski

Farbige Bildschirme blinken an den Wänden, Männer in Uniformen sitzen vor Computern. Das Tsunami-Alarmzentrum in der indonesischen Hauptstadt Jakarta ähnelt der Bodenstation eines Raumfahrtprojektes.

Die gelben Bojen des Tsunami-Warnsystems arbeiten noch nicht zuverlässig. Man hätte sie besser testen müssen, bevor sie nach Indonesien gebracht wurden, monieren Kritiker. (Foto: Foto: dpa)

In dem Neubau soll am kommenden Dienstag nach dreieinhalb Jahren Entwicklungszeit ein Vorzeigeobjekt deutscher Ingenieurskunst die Arbeit aufnehmen: "Das weltweit leistungsstärkste Tsunami-Warnsystem", wie die Bundesregierung erklärt.

Die Euphorie erscheint allerdings verfrüht - das System funktioniert noch nicht wie geplant. Zwar kann es bereits gefährliche Seebeben registrieren, und das sogar in Rekordzeit.

Doch ob die Erschütterungen Tsunamis ausgelöst haben, lässt sich bislang nur ungenügend prüfen. Die Folge: Vorerst wird wohl bei jedem starken Seebeben Tsunami-Alarm gegeben werden. Fehlalarme sind zu erwarten - genau das aber sollte das deutsche Warnsystem vermeiden.

Eigentlich sollte die Anlage bis Mitte 2008 installiert sein, und anschließend eine zweijährige Betriebsphase mit deutscher Unterstützung folgen. Doch die Fertigstellung der Technologie verzögert sich voraussichtlich um zwei Jahre.

"Ich bin sehr zuversichtlich"

Die Einweihungsfeier in Jakarta verliert mithin an Bedeutung, obwohl der indonesische Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono ihr beiwohnen soll. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat ihre Teilnahme abgesagt - wegen anderer "dringender Termine", wie sie der Süddeutschen Zeitung mitteilte. Ein Staatssekretär soll sie vertreten.

"Während des Projektverlaufs hat sich gezeigt, dass bis Ende 2008 nicht alle Komponenten komplett installiert werden können", sagt Schavan. Bis 2010 werde das Warnsystem aber zuverlässig funktionieren, verspricht Projektleiter Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum Potsdam. "Ich bin sehr zuversichtlich", bestätigt Schavan.

Dass es den Deutschen überhaupt gelungen ist, große Teile des Warnsystems aufzubauen, wird gleichwohl als erstaunliche Leistung eingestuft - das hatte ihnen kaum jemand zugetraut. Als die damalige Forschungsministerin Edelgard Bulmahn am 13. Januar 2005 verkündete, Deutschland plane den Bau eines Tsunami-Warnsystems für Indonesien, war das Erstaunen groß.

Der Bedarf für solch eine Anlage war drei Wochen zuvor auf tragische Weise deutlich geworden. Am 26. Dezember 2004 hatten Tsunamis mehr als 200.000 Menschen in Südasien in den Tod gerissen. Ein Warnsystem hätte die meisten von ihnen retten können. Dass jedoch ausgerechnet Deutschland eine solche Anlage für die Region konstruieren wollte, sorgte für Befremden.

Auch die USA, die seit mehr als 40 Jahren Tsunami-Warnsysteme im Pazifik betreiben, hatten sich für die Konstruktion angeboten. Deutschland hingegen hatte noch kein einziges Tsunami-Warnsystem gebaut. Deutsche Forscher seien auf Tsunami-Konferenzen bis dahin kaum gesichtet worden, wunderten sich Experten aus den USA. Auch in Deutschland gab es Kritik an dem Vorstoß, von "ministeriellem Größenwahn" war die Rede.

Bulmahn konterte, die US-Variante sei zu langsam, sie löse zudem häufig Fehlalarm aus. Deutschland werde "etwas Besseres" bauen. Das Vorhaben ist mit 45 Millionen Euro veranschlagt. 80 Prozent davon stammen aus dem Hilfsfonds für die Tsunami-Opfer von 2004, der Rest geht zulasten des Forschungsetats. "Es lief schwieriger als gedacht", räumt Edelgard Bulmahn nun ein, die nun dem Bundestags-Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vorsitzt. Besonders die "Abstimmung mit 17 internationalen Organisationen" habe Zeit gekostet.

Die meisten Wissenschaftler hingegen hat die Verzögerung beim Aufbau nicht erstaunt. Das Tsunami-Warnsystem ist technologisches Neuland, da klappt nicht alles auf Anhieb. "Es ist ein ambitioniertes Projekt", sagt Schavan.

Überrascht war mancher Forscher allein vom Marketing der Bundesregierung: So wurden schon im August 2005 im Hamburger Hafen im Beisein Bulmahns werbewirksam zwei gelbe Tsunami-Warnbojen auf ein Schiff verladen. Der Aufbau des deutschen Warnsystems komme "zügig voran", verkündete die Bundesregierung. Dabei sei schon damals klar gewesen, dass der Zeitplan nicht zu halten sein würde, sagen mehrere Forscher.

In Indonesien zeigte sich, dass die gelben Bojen kaum funktionieren. "Sie hätten besser getestet werden sollen, bevor sie verschickt wurden", sagt Ernst Flüh vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel, der an der Entwicklung der Geräte beteiligt ist. Der große politische Druck sei für das Projekt "nicht unbedingt förderlich gewesen", sagt Flüh.

Das Konzept jedoch erschien einleuchtend: Ein Netz von Erdbebensensoren erfasst Ort und Stärke eines Seebebens. Gleichzeitig senden Druckmesser am Meeresgrund und mehrere GPS-Satelliten Informationen über die Wasserbewegung an spezielle Bojen. All die Daten über Beben und Wasser gehen dann an das Warnzentrum in Jakarta, das per Computer konkrete Tsunami-Prognosen errechnet und Warnungen an die Medien und in die gefährdeten Orte schickt.

Der erste Teil des Plans immerhin ging auf. Die Deutschen haben in Indonesien 18 hochmoderne Erdbeben-Messstationen installiert, fünf weitere sollen folgen. "Das Land verfügt nun über eines der engsten Beben-Messnetze der Welt", sagt Projektleiter Lauterjung. Zudem sind bereits diverse Wasserstandssensoren und GPS-Navigationsgeräte verankert.

Auch die Computersoftware wurde entwickelt und ins neu eingerichtete Tsunami-Warnzentrum eingespeist. Die Datensätze sind allerdings lückenhaft; die Qualität der Rechnungen muss sich im Ernstfall erst bewähren.

Erst zwei von zehn Bojen liegen vor Anker

Für wirklich präzise Warnungen braucht das Programm zudem Informationen über die Wellen. Und hier hakt es: Von den zehn geplanten Signalbojen liegen gerade erst zwei vor Anker - und selbst die funktionieren nicht wie geplant, die Daten von den Messgeräten am Meeresgrund kommen nicht zuverlässig bei ihnen an.

Die Übertragung großer Datenmengen durch Tausende Meter tiefes Meerwasser via Schallwellen ist technisches Neuland. Im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln haben Ingenieure die Technik in den vergangenen Monaten verbessert. 2009 sollen alle zehn Bojen einsatzbereit sein, sagt Lauterjung.

Immerhin liefern bereits Küstenpegel Auskunft über Schwankungen des Meeres an vorgelagerten Inseln. Doch das Pegel-Netz ist dünn. Im gesamten Indischen Ozean einschließlich Indonesiens stehen nach Angaben der Vereinten Nationen lediglich 30 Wasserstandsmesser. Die Deutschen wollen zwar weitere Pegel vor Indonesien installieren. Doch für eine Tsunami-Warnung taugen die Pegeldaten nur bedingt - sie stehen zu nahe vor der Küste, um für einen rechtzeitigen Alarm in Indonesien von großem Nutzen zu sein.

Verzögerungen beim Aufbau des Warnsystems gab es offenbar auch, weil die Zusammenarbeit mit den örtlichen Kräften Überraschungen brachte. "Die Leute bauen mit der Machete in wenigen Minuten Tisch und Stuhl", sagt Andreas Münchow vom GFZ voller Respekt.

Aber beim Bau einer Messstation auf Sulawesi hätten vier Arbeiter eine Stunde gebraucht, um mit einem Acht-Meter-Maßband ein 16-Meter-Rohr abzumessen - weil ihnen der Gebrauch von Maßbändern unbekannt war. In der Warnzentrale in Jakarta saßen Mitarbeiter anfangs mit dem Rücken just zu dem Bildschirm, der die Seebeben anzeigt.

Die größte Stärke und der größte Schwachpunkt der Tsunami-Warnungen wurde im vergangenen Herbst deutlich. Am 12. September 2007 erschütterte ein Starkbeben den Meeresgrund vor Sumatra. Das Alarmsystem registrierte das Ereignis in Rekordzeit, nach fünf Minuten wurde Tsunami-Alarm gegeben. Das System der USA, dessen Sensoren in weiterer Ferne stationiert sind, gab erst nach 14 Minuten eine Warnung heraus.

Da wurde im indonesischen Fernsehen bereits seit sieben Minuten Tsunami-Alarm eingeblendet. Und obwohl die Meldung ja nur auf der Erdbebenerkennung basierte, erwies sie sich diesmal als berechtigt: Nahe der Stadt Bengkulu krachte ein meterhoher Tsunami aufs Land.

Niemand wurde verletzt. Das Messsystem hatte hervorragend funktioniert. Die indonesische Regierung habe den Deutschen "schriftlich gratuliert", freut sich Lauterjung. Nach Angaben der Vereinten Nationen hatte es allerdings keine offiziellen Evakuierungen gegeben.

Kabel werden einfach über Palmen gehängt

Die meisten Küstenbewohner, so die UN, seien aufgrund der starken Erschütterungen ins Landesinnere geflüchtet - und nicht aufgrund der Warnung. Das Zentrum in Jakarta hatte in Bengkulu telefonisch niemanden erreicht. SMS kamen erst mit elfstündiger Verspätung an. Kritiker durften sich bestätigt fühlen.

"Das deutsche System wurde nicht an den Bedürfnissen der Anwohner ausgerichtet", sagt etwa der Soziologe und Katastrophenforscher Martin Voss von der Universität Kiel, der in Indonesien forscht. Anstatt teure Messtechnik zu installieren, hätte man sich auf die sogenannte letzte Meile konzentrieren sollen: wie man einen Alarm an die Bevölkerung übermittelt.

Forschungsministerin Schavan weist die Vorwürfe zurück: Das Weiterleiten der Warnung sei eine hoheitliche Aufgabe Indonesiens. Immerhin haben Experten der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ in drei Regionen des Landes die Voraussetzungen für die Weiterleitung eines Tsunami-Alarms geschaffen. Die dort erstellten Katastrophenpläne sollen für die gesamte Küste als Vorbild dienen.

Aber auch die Beispielregionen zeigen, wie schwierig es ist, die Letzte Meile zu bewältigen. Mancherorts wurden Kabel einfach über Palmen gehängt, anstatt sie im Boden zu vergraben. Anderswo wurden die Lautsprecher des Wachturms gestohlen.

Bis die Alarmübermittlung in jedem Dorf funktioniere, werde es "noch Jahre dauern", sagt Harald Spahn von der GTZ. Knapp zwei Jahre wollen die Deutschen noch in Indonesien bleiben, um an den Bojen, der Satellitenkommunikation, Küstenpegeln und der Alarmübertragung zu arbeiten.

Und um eine Vielzahl indonesischer Fachkräfte auszubilden, die Betrieb und Wartung dann übernehmen sollen. Gelingt das nicht, droht das teure System rasch zu verfallen. "Das Tsunami-Warnsystem", warnt der Kieler Forscher Ernst Flüh, "könnte dann so schnell weg sein, wie der Bauplan entstanden ist."

© SZ vom 07.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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