Studie zur Medikamentenforschung:Veröffentlicht wird, was gefällt

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Pharmaunternehmen haben fast ein Drittel ihrer Studien zur Wirksamkeit von Antidepressiva nicht veröffentlicht. Waren die Ergebnisse nicht so wie erhofft?

Markus C. Schulte von Drach

Wenn die Wirkung eines neuen Medikaments hinter den Erwartungen zurückbleibt, hat der Hersteller ein Problem. Und auch die Mediziner, die die Daten zusammentragen, wünschen sich positive Ergebnisse.

Lassen manche Unternehmen unerwünschte Daten unter den Tisch fallen? (Foto: Foto: iStock)

Trotzdem sollten Fachwelt und Öffentlichkeit Studienergebnisse nicht vorenthalten werden, die darauf hindeuten, dass ein Mittel weniger effizient ist als gedacht. Doch genau dies findet offenbar häufig statt, berichten US-Forscher. Fast ein Drittel aller Studien von Pharmafirmen zu Antidepressiva wurden demnach in den letzten Jahren von den Unternehmen zurückgehalten.

Die Wissenschaftler um Erick H. Turner von der Oregon Health & Science University in Portland hatten insgesamt 74 Studien zu Medikamenten gegen Depressionen überprüft, die der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zwischen 1987 und 2004 vorgelegt worden waren. Einen Teil der Daten hatten sie von der Behörde selbst erhalten, an Unterlagen zu einigen älteren Studien gelangten sie mit Hilfe des Freedom of Information Act.

Anschließend untersuchten sie, ob und wie die Ergebnisse dieser Studien in Fachjournalen veröffentlicht worden waren.

Fast alle positiven Ergebnisse veröffentlicht

Das Ergebnis spricht für sich: Für 38 Studien bewerteten die FDA-Experten die Daten als Beleg für eine Wirksamkeit der Mittel. Und 37 dieser Untersuchungen (97 Prozent) wurden veröffentlicht.

Doch von den 36 Studien, in denen die Behörde keinen überzeugenden Nachweis für die vom Hersteller erhoffte Wirkung fanden, wurden dagegen nur drei (acht Prozent) so veröffentlicht, dass das negative Ergebnis daraus auch hervorging.

Immerhin elf weitere dieser enttäuschenden Untersuchungen spürten Turner und seine Kollegen in Fachmagazinen trotzdem auf - nur dass hier entgegen dem Urteil der FDA der Eindruck vermittelt wurde, die Ergebnisse seien positiv. Die übrigen 22 unbefriedigenden Studien - also fast 30 Prozent der gesamten Daten aus dem untersuchten Zeitraum - wurden nie veröffentlicht.

Der Eindruck, der unter Ärzten und Patienten entstehen muss, ist demnach, dass 94 Prozent der veröffentlichten Studien zu Antidepressiva zu positiven Ergebnissen kamen. Erfolg auf der ganzen Linie also, so könnte man meinen.

Wie die Wissenschaftler um Turner jetzt im New England Journal of Medicine (Bd. 358, S. 252, 2008) berichten, ist dieser Eindruck aber unrealistisch. Schließlich hatten die FDA-Experten lediglich für 51 Prozent der vorgelegten Untersuchungen eine überzeugende Wirksamkeit bestätigt.

Ein Vergleich der Wirkung der Mittel und von Scheinmedikamenten macht verständlich, warum die Unternehmen kein Interesse daran hatten, einige der Studien zu veröffentlichen. So schnitten die Medikamente in den zurückgehaltenen Daten fast immer deutlich schlechter ab, als in den veröffentlichten Studien.

Und wenn Untersuchungen es in ein Fachjournal geschafft hatten, wurde die Wirksamkeit der Mittel dort häufig höher bewertet als in den Unterlagen, die die FDA erhalten hatte.

Trotz allem: Antidepressiva wirken

Aus der Pharmabranche wurde bereits Kritik an Turners Untersuchung laut. "Die Daten stammen alle aus der Zeit vor 2004", erklärte Alan Goldhammer von der Organisation Pharmaceutical Research and Manufacturers of America der New York Times. Seitdem habe die Pharmaindustrie viel getan, um klinische Studien transparenter zu machen. "Wir haben den Mythos zu Grabe getragen, dass die Firmen etwas verstecken."

Tatsächlich ist seit 2004 einiges passiert, nachdem damals bereits heftige Kritik am Umgang der Pharmaindustrie mit Medikamentenstudien laut geworden war. So veröffentlichen die größten Medikamentenhersteller viele Daten zu ihren Untersuchungen inzwischen auf der Internetseite clinicalstudyresults.org.

Auch hat der US-Kongress 2007 ein Gesetz beschlossen, demzufolge erheblich mehr Informationen über medizinische Studien in der National Library of Medicine gesammelt und veröffentlicht werden sollen ( clinicaltrials.gov). Und die Zulassungsbehörde FDA bietet inzwischen auf ihrer Homepage an, sich einen Überblick über Untersuchungen zu verschaffen, die ihre Experten überprüfen.

Ob dies gewährleistet, dass die gezielte Veröffentlichung genehmer Daten ein Ende findet, muss sich zeigen.

Für die Patienten, die Antidepressiva nehmen, bleibt festzuhalten, dass die Wirksamkeit der Mittel zwar möglicherweise geringer ist, als es von den Unternehmen dargestellt wird. Doch immerhin war letztlich "jedes der untersuchten Medikamente den Placebos überlegen", schreiben die Forscher.

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