Studie:Die Lust der späten Jahre

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Dass Oma und Opa noch gern Sex haben, kann sich mancher Enkel kaum vorstellen, der gerade das "erste Mal" erlebt hat. Doch Leidenschaft ist keine Frage des Alters: Menschen zwischen 56 und 65 sind sexuell aktiver als junge Leute unter 25.

Wiebke Rögener

Menschen im Rentenalter sind im Bett weit aktiver, als es das tradierte Bild glauben macht, und der Spaß am Sex hat bei Älteren in den letzten Jahren noch zugenommen. Das zeigen Umfragen, die der Psychologe Elmar Brähler von der Universität Leipzig bei einer Tagung in Münster vorstellte.

(Foto: Foto: Photodisk)

Etwa zwei Drittel der Befragten zwischen 61 und 75 Jahren erklärten, dass ihnen Sex überhaupt nicht gleichgültig sei. Auch bei den über 75-Jährigen sagten 58 Prozent der Männer und 61 Prozent der Frauen, körperliche Liebe sei ihnen wichtig.

Alte werden noch aktiver

Schon vor Jahren fand Brählers Arbeitsgruppe heraus: Menschen zwischen 56 und 65 sind sexuell aktiver als die unter 25-Jährigen, die oft nicht in festen Beziehungen leben. Im Vergleich zu Daten von 1995 ist die sexuelle Aktivität der über 60-Jährigen deutlich gestiegen, ermittelten die Leipziger Forscher jetzt.

Brähler nennt zwei Gründe: "Zum einen gibt es eine größere Offenheit und Unbefangenheit, zum anderen trägt die bessere Gesundheit älterer Menschen dazu bei." Wenn die sexuelle Aktivität im hohen Alter doch zurückgeht, seien oft gesundheitliche Defizite, Nebenwirkungen von Medikamenten oder der Verlust des Partners schuld, nicht aber ein "von Natur aus" nachlassendes Interesse.

Bei ganz Alten wurde dieses Interesse häufig verleugnet. "Wer im Zweiten Weltkrieg aufwuchs, lernte Härte gegen sich selbst, kaum aber das Verwöhnen des eigenen Körpers", stellt der Psychiater Hartmut Radebold von der Universität Kassel fest.

"Auch konnte diese Generation kaum Vorstellungen davon entwickeln, wie sich Paarbeziehungen im Alter gestalten, denn die Väter waren abwesend, viele Mütter blieben nach Kriegsende allein." Diese Erfahrungen prägen bis ins Alter, beobachtet Radebold: "Körperliche Beschwerden werden verdrängt, der Körper spielt möglichst keine Rolle, man grüßt sich 'in alter Frische' - was immer eine alte Frische sein mag."

Leistungsdruck auch im Alter

Dass über Sex im Alter offener geredet wird, ist aber nicht nur positiv, meint Brähler: "Dadurch entsteht Leistungsdruck. Der Zwang, immer fit zu sein und sexuellen Normen zu entsprechen, ist problematisch." Leistungsdenken beeinflusst womöglich auch die Umfragen. Demnach hat sich von 1989 bis 2005 der Anteil sexuell aktiver über 70-jähriger Männer fast verdoppelt - von 28 auf 54 Prozent.

Dagegen gab es bei Frauen kaum einen Anstieg, knapp ein Drittel bezeichnet sich in dieser Altergruppe als sexuell aktiv. "Ob so viele Männer mit jüngeren Partnerinnen zusammen sind, oder nicht zugeben, dass sie keinen Sex mehr haben, wissen wir nicht", sagt Brähler. Nach seinen Erkenntnissen leiden aber weder Männer noch Frauen daran, dass sie seltener Sex haben: "Die Älteren stehen nicht ständig unter Druck, da gibt es keine Dampfkesselsexualität mehr."

Doch auch alte Liebe kann rosten, sagt Paartherapeutin Astrid Riehl-Emde aus Heidelberg. Sie berichtete in Münster von der Therapie älterer Paare: "Vor allem Männer nennen Unzufriedenheit mit der Sexualität als Grund für Beziehungsprobleme."

Zu den Faktoren, die die körperliche Liebe im Alter beeinträchtigen, gehören laut Riehl-Emde Krankheiten, nicht verwundene Kränkungen und die Unfähigkeit der Partner, Wünsche auszudrücken. Auch Ängste vor Impotenz bei Männern oder nachlassender Attraktivität bei Frauen stören das Liebesleben.

Jeder zweite Mann klagt über Impotenz

Sicher scheint, dass Sexualität mit dem Älterwerden nicht verschwindet, sich aber verändert. Trotz des hohen Interesses, das die Alten am Sex äußern, wird der Wunsch nach Geschlechtsverkehr weniger dringlich. Während mehr als 60 Prozent der Männer unter 40 angeben, sie hätten im letzten Monat häufig starkes Verlangen gehabt, sind es bei den über 70-Jährigen weniger als 10 Prozent.

Dazu trägt auch bei, dass etwa jeder zweite Mann über 60 einräumt, gelegentlich oder häufig an Impotenz zu leiden. Doch wo der Beischlaf seltener wird, nehmen Zärtlichkeiten zu. Offenbar zum Wohle der Partnerschaft - die Zufriedenheit in der Paarbeziehung steigt mit dem Alter. "Liebe im Alter wird nicht mehr so stark von biologischen Faktoren unterstützt", erklärt Astrid Riehl-Emde. "Gerade darum ist sie sogar noch großartiger als in jungen Jahren."

© SZ vom 15.Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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