Selbstversuch:Orakel aus dem Labor

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Ein Gentest im Selbstversuch: Warum die Ergebnisse der Analytiker für den Betroffenen zurzeit noch eher verwirrend als hilfreich sind.

Sascha Karberg

Spucken oder schaben - die Reise in das genetische Ich beginnt reichlich unappetitlich: Vor mir liegen zwei Pakete der Firmen deCODEme und 23andMe. Darin Werkzeug und Instruktionen, wie ich ein paar Zellen sammeln kann für die Analyse meines Erbguts.

Für die einen schabe ich das Innere meiner Wange ab, bis genügend Zellen auf dem Spatel kleben. Die anderen wollen dass ich ein Plastikröhrchen mit Speichel fülle. Die beiden Unternehmen machen mit einer guten Handvoll weiterer Anbieter den Blick ins Erbgut bezahlbar. Ab 1000 Dollar bekommen Neugierige einen Blick ins eigene Genom. Versprochen werden Auskünfte über potentielle Krankheiten und ein Blick zurück zu den Ahnen.

Nach ein paar Wochen liegt die E-Mail von deCODEme im Postfach: "You have been genotyped!" Klingt wie: Sie sind ertappt. Ein Passwort öffnet die Internetseite mit meinem Genprofil. 29 Krankheiten, von Alzheimer bis Diabetes, sind dort aufgelistet und die Software zeigt an, ob mein Erbgut Genvarianten enthält, die das Risiko für eines der Leiden erhöhen oder reduzieren.

Meist liegt es auf Höhe des Durchschnitts. Nur bei der altersbedingten Makuladegeneration, einer Augenkrankheit, droht Gefahr. Diese Krankheit kann im Alter das Sehvermögen sehr stark beeinträchtigen. Acht von 100 Europäern bekommen diese Krankheit, aber 20 von 100 Menschen meines Genotyps erkranken daran. Unruhig klicke ich weiter. Bei Alzheimer liegt der Balken nur knapp über dem Durchschnittswert.

Doch in der Beschreibung wird das Risiko mit 74 Prozent beziffert. Mir wird heiß und kalt. Erst genauere Recherchen zeigen, dass diese Einschätzung nur auf der Untersuchung eines einzigen Gens basiert, genau genommen sogar nur auf der Veränderung in einem einzigen DNS-Baustein dieses Gens. Alle anderen Gene, die Alzheimer beeinflussen und die negativen Einflüsse dieser Variante möglicherweise wettmachen, bleiben unberücksichtigt.

Also sehgestört im Alter aber wahrscheinlich nicht verwirrt? Was bedeuten die Zahlen? Die Webseite erklärt es jedenfalls nicht. Gerade, als sich ein mulmiges Gefühl festsetzen will, wird es beim Klicken auf die Rubrik "Physische Erscheinung" lustig. Mein Y-Chromosom stamme aus Wikinger-Familien, steht da. Das passt halbwegs zum Namen.

Mit der Augenfarbe braun liegt die Genanalyse auch noch richtig, doch dann heißt es, ich sei mit 64 Prozent Wahrscheinlichkeit "rothaarig". Braun wäre richtig gewesen. Und nichts an meiner dürren Erscheinung spricht für eine Neigung zur Fettsucht. Oder für die prophezeite Glatze mit 40. Da müsste ich binnen eines Jahres schon sehr viele Haare verlieren.

Dass das Genorakel nicht viel besser als ein Blick in die Glaskugel ist, zeigt mir die 23andMe-Analyse, die ein paar Wochen später online abrufbar ist. Das kalifornische Institut attestiert ebenfalls rote Haare. Das Risiko für die Augenkrankheit stuft 23andMe aber niedriger ein. Interessanterweise sind sich beide Firmen nicht einig, wie viele Menschen europäischer Abstammung an der Augenkrankheit leiden. Ich nehme mir vor, keine Angst zu haben.

Warum sollte ein Unternehmen, das nicht einmal die Haarfarbe richtig aus den Genen lesen kann, beim Krankheitsrisiko besser liegen?

Alle paar Tage verknüpfen die Unternehmen nun die Ergebnisse neuer Studien mit meinen Gendaten. Neulich kam "Sjögren's Syndrom" dazu, eine Autoimmunerkrankung, von der ich noch nie gehört hatte. Aber jetzt kann ich mir endlich Sorgen machen, dass ich ein "leicht" erhöhtes Risiko habe, ab 40 trockene Augen und trockenen Mund zu bekommen, so wie angeblich vier Millionen Amerikaner.

Ob ich eine Genvariante habe, die mir hilft, mit all diesen Informationen umzugehen, verrät keine der Analysen. Aber ich kann warten. Ich habe nämlich auch ein Langlebigkeits-Gen, sagen sie.

© SZ vom 15.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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