Schutz der Ostsee:Das Meer stinkt vom Grund her

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Ein neues Abkommen zum Schutz der Baltischen See droht an den Einzelinteressen der Anliegerstaaten zu scheitern.

Gunnar Herrmann

"Die Ostsee stinkt nach Abfluss", titelte neulich die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter über einer Reportage. Solche Überschriften gehören längst zum Alltag am nordischen Binnenmeer, sie erscheinen jeden Sommer. Immer dann, wenn Schwedens und Finnlands Küsten von grünen Algenteppichen heimgesucht werden, die nicht nur eklig sind, sondern auch giftig.

Hunde, die während der Algenblüte baden, verenden manchmal jämmerlich. Solche Zwischenfälle sind eine Erinnerung an eine unangenehme Wahrheit, die sonst beim Anblick der endlosen Sandstrände und pittoresken Inseln des Binnenmeeres leicht vergessen wird: Die Ostsee ist krank. Ohne Hilfe stirbt sie.

Derzeit verhandeln die Anrainerstaaten wieder über einen Aktionsplan zur Rettung ihres Meeres. Im November soll das Papier von den Mitgliedstaaten der Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee (Helcom) unterzeichnet werden. Die Erwartungen der Umweltschützer sind groß, denn es sind eine Reihe drastischer Maßnahmen notwendig. Die Fischindustrie etwa müsste sich stark einschränken, um die Artenvielfalt der Ostsee zu bewahren. Gleichzeitig benötigt die Natur mehr Schutzgebiete.

Da mit dem Wirtschaftsboom des vergangenen Jahrzehnts der Verkehr zugenommen hat, sind weitere Themen die Belastung durch Dieselmotoren und Schiffsabwässer sowie die Gefahren, die der Umwelt bei einem Unglück auf See drohen. Das größte und wohl schwierigste Problem ist die Überdüngung. Wer die Ostsee retten und die alljährliche Algenblüte stoppen will, muss vor allem die Einleitung von Phosphaten und Stickstoffverbindungen vermindern.

Diese Stoffe wirken wie Dünger und lösen im Wasser ein unnatürlich starkes Wachstum aus. Als Folge sinken dann mehr abgestorbene Tier- und Pflanzenreste auf den Grund, wo sie von Bakterien zersetzt werden. Dabei wird Sauerstoff verbraucht - Fische und andere Lebenwesen ersticken. Seit Jahren beobachten Forscher, wie sich an den tiefen Stellen der Ostsee Gebiete ausbreiten, die so sauerstoffarm sind, dass man sie als tot bezeichnen muss.

Das Einzige was dort lebt, sind Fäulnisbakterien - deshalb stinkt das Tiefenwasser der Ostsee an machen Stellen tatsächlich nach Abfluss. Die Hauptquelle für Stickstoff und für Phosphat ist die Landwirtschaft. Ein beachtlicher Teil kommt allerdings auch aus der Luft, wohin der Stickstoff vor allem in Form von Motorenabgasen gelangt. Wer das Problem der Überdüngung lösen möchte, muss also nicht nur den Ackerbau reformieren, sondern zum Beispiel auch Autoabgase vermeiden.

Die Helcom-Staaten haben bei ihren Verhandlungen um den Ostseeschutz demzufolge nicht nur ein Problem zu lösen, sondern viele. Die Umweltschutzverbände warnen bereits davor, dass die Gespräche in Helsinki ins Stocken geraten. Uneinigkeit zwischen den Anrainern droht zu verhindern, dass konkrete Maßnahmen und kontrollierbare Grenzwerte etwa für die Stickstoffbelastung festgeschrieben werden. Dabei galten die Ostsee-Anrainer in Umweltfragen lange als Vorbilder. Sie gründeten die Helsinki-Kommission bereits 1974 und schufen damit das erste Meeresschutzabkommen der Welt.

Dass Länder aus Ost und West mitten im Kalten Krieg eine solche Vereinbarung trafen, zeugt davon, dass die Staaten schon damals um die Dringlichkeit der Probleme wussten. Diese Einsicht ist seitdem weiter gereift. "Es gibt heute kein Meer, das so gut erforscht ist wie die Ostsee", sagt Lasse Gustavsson, Generalsekretär beim schwedischen Verband der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF). Unter allen Experten herrsche Einigkeit, was zur Rettung des Gewässers unternommen werden muss. Alle wissen auch, dass die Ostsee ein besonders empfindliches Ökosystem ist. Sie ist flach und von den Weltmeeren isoliert, ihr Wasser erneuert sich nur sehr langsam.

Eine der reichsten Regionen

In den 33 Jahren seit der Helcom-Gründung wurden durchaus Fortschritte gemacht. Alle Länder haben schon ein bisschen was getan, und Deutschland etwa wurde kürzlich vom WWF mit einem Preis ausgezeichnet für seine Ostsee-Schutzgebiete. Wirkliche Verbesserungen aber sind nur zu erwarten, wenn alle Länder in allen Bereichen viel tun. Genau da liegt das Problem. Denn obwohl man sich über die Herausforderungen einig ist, hat jedes Land Interessengruppen, die es nur ungern verprellen möchte. Immer wieder versucht irgendwer, einzelne Fragen auszuklammern. Polen etwa modernisiert derzeit seine Landwirtschaft, möchte jedoch dabei nicht auf Düngemittel verzichten. Schweden hinkt bei der Ausweisung von Schutzgebieten hinter den gemeinsamen Zielen her. Und den Deutschen gelingt es nicht, die Abgase von Industrie und Transportbranche drastisch zu mindern.

Alle diese Dinge waren schon Gegenstand früherer Aktionspläne. Und man muss fragen, warum nun ein neues Abkommen vorbereitet wird, wo ältere zum Teil noch gar nicht umgesetzt sind. Vor allem hängt die neue Initiative wohl mit Veränderungen der Ostsee-Landkarte zusammen. Acht von neun Anrainerstaaten sind inzwischen EU-Mitglieder. Der neue Plan soll darauf zugeschnitten sein und gleich als regionale Umsetzung der Meeresschutzrichtlinie gelten können, die gerade von der EU-Kommission vorbereitet wird. Außerdem hofft man über den Helcom-Aktionsplan auch Russland auf neuere EU-Standards festlegen zu können.

Trotz aller Probleme ist WWF-Chef Gustavsson grundsätzlich zuversichtlich, was die Verhandlungen in Helsinki betrifft. Es gebe schlicht keinen Grund, die Ostsee nicht zu retten, sagt er. Schließlich wisse man, was zu tun sei. Und Geld sei auch kein Problem. "Die Region ist eine der reichsten der Erde", sagt er, "und die nötigen Maßnahmen würden nicht mehr kosten als etwa die EU-Subventionen, die derzeit in die Anrainerstaaten fließen." Er hätte auch weniger optimistisch formulieren können: Wenn es für die Ostsee keine Rettung gibt, sieht die Zukunft für andere Meere erst recht düster aus.

© SZ vom 3.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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