Roboter:Krabbelwesen aus Draht und Silizium

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Insekten, Spinnen- oder Krustentieren dienen als Vorbilder moderner Laufmaschinen. Doch nicht jede Kopie ist sinnvoll.

Philipp Berens

Ungelenke Stahlkolosse, scheinbar Nashörnern oder Elefanten nachempfunden, stampften in den 1960er-Jahren durch die Laborhallen der Robotiker.

Wie ein Käfer marschiert ein Nasa-Prototyp durch den Sand. (Foto: Foto: dpa)

Die modernen Kollegen der Laufmaschinen von einst sind dagegen ungleich feingliedriger.

Tatsächlich dienen Insekten, Spinnen- oder Krustentieren als Vorbilder, von denen sich Forscher beim Entwurf leiten lassen.

Als besonders robust und wendig gelten diese sogenannten biomimetischen Roboter, denen die Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society A in diesem Monat eine Sonderausgabe ( Bd. 365, 2007) widmet.

"Zweibeiner fallen ständig um"

Da Tiere optimal an ihren Lebensraum angepasst sind, so die Idee der Forscher, genügt es, natürliche Vorbilder nachzubauen, um Maschinen zu konstruieren, die selbst in schwierigstem Terrain zurechtkommen. Doch der bestechende Gedanke ist womöglich zu einfach.

Sechs oder mehr Beine garantieren größere Standfestigkeit und Wendigkeit als zwei oder vier.

"Zweibeiner fallen ja praktisch ständig um", sagt der Bielefelder Kybernetiker Holk Cruse. Insekten und anderen Vielbeinern dagegen, wie der gelenkigen Stabheuschrecke, kann das kaum passieren: Sie haben immer mindestens drei Beine fest auf dem Boden.

Wie ein Stativ halten diese den Insektenkörper aufrecht. Die anderen drei bewegen sich gemeinsam: auf einer Seite das vordere und das hintere Bein, auf der anderen das mittlere.

Gerade in schwierigem Gelände ist diese Fortbewegungsart zweibeinigem Gehen oder Rollen auf Rädern und Ketten überlegen.

Doch nicht nur ihr sicherer Stand hat die Robotiker für Insekten eingenommen.

"Wir wissen über das Motorsystem bei Insekten einfach viel mehr als bei Wirbeltieren, von der Physiologie bis zum Verhalten", sagt Cruse. Und das hilft, hoffen die Forscher, gute Maschinen zu bauen. Wie entwirft man zum Beispiel einen Roboter, der im schwierigen Terrain unter Wasser zurechtkommt?

Am Meeresgrund gibt es nicht nur unterschiedlichstes Terrain wie Felsen, Sand oder Algenfelder, zudem zerren auch ständig wechselnde Strömungen am Körper.

Die Biologen Joseph Ayers und Jan Witting von der Northeastern University nahmen sich daher den Amerikanischen Hummer zum Vorbild. Körperbau und Verhaltensrepertoire des Meerestiers sind perfekt an turbulente Bedingungen unter Wasser angepasst.

Die Forscher bauten einen Roboter mit acht Beinen, zwei stählernen Zangen und einem breiten Schwanz - der mechanische wie der biologische Hummer können so wechselnde Strömung ausgleichen.

Ayers und Witting konstruierten sogar künstliche Muskeln aus Drähten mit Titanium-Nickel-Legierung. Das Material zieht sich blitzartig zusammen, wenn elektrischer Strom angelegt wird. In Paaren angeordnet können die Drähte Robotergliedmaßen steuern: Wie bei natürlichen Muskeln dehnt sich einer, wenn sich sein Gegenspieler kontrahiert.

Der Hummer-Roboter ist so wendiger und stärker als mit Elektromotoren. Beim Hummer kontrollieren verteilte Nervenzentren die Beinbewegungen - nachempfunden in kleinen, dezentralen Steuereinheiten für Beine des Roboters. Ein Zentralcomputer gibt nur die Gangart vor.

"So ein System ist wesentlich robuster und weniger störanfällig", sagt Holk Cruse. Da sie weitgehend unabhängig gesteuert werden, kommt der Roboter selbst mit dem Verlust einiger Beine zu Recht. "Bis zur Hälfte der Beine können ausfallen, und so ein Roboter funktioniert immer noch", sagt der Bremer Robotiker Frank Kirchner. Auf diese Weise nähern sich die Bio-Ingenieure auf der Suche nach perfekten technischen Systemen immer weiter dem natürlichen Vorbild an.

Die Natur ist nicht perfekt

Doch nicht alle Forscher teilen die Begeisterung für diese Art der Ingenieurskunst. "Die Natur eins zu eins zu kopieren, hat noch nie funktioniert", sagt der Evolutionsbiologe Martin Fischer von der Universität Jena. Er bezweifelt auch den Sinn des Vorhabens.

Denn die Natur sei mitnichten optimal aufgebaut. In der Evolution sei es schließlich nie darum gegangen, sich einem Lebensraum perfekt anzupassen, sagt Fischer.

"Die Tiere mussten nur gut genug sein, um zu überleben." Im Gegenteil ist es für Lebewesen häufig ein Vorteil, nicht optimal auf nur eine ökologische Nische ausgerichtet zu sein. Je besser ein Tier nämlich an eine bestimmte Nische angepasst ist, desto spezialisierter ist es. Umweltveränderungen bereiten ihm dann aber große Schwierigkeiten.

Wer die Natur einfach kopiert, so der Schluss des Biologen, kann also nicht damit rechnen, perfekte Maschinen zu konstruieren.

Doch als Inspirationsquelle, da sind sich die Forscher einig, ist die Natur sehr ergiebig. "Wir können versuchen, allgemeine Prinzipien der Bewegung zu verstehen und die dann in Maschinen umsetzen", erklärt Fischer.

Wer mit den Methoden der klassischen Robotik versucht, acht Beine gleichzeitig zu steuern, stößt schnell an seine Grenzen: Die mathematischen Gleichungen, die gelöst werden müssen, werden sehr komplex; Fehler in den schwierigen Berechnungen sind unvermeidlich.

Holk Cruse ist überzeugt, dass die Natur das Problem auf ihre Weise viel einfacher löst. Um zu verstehen, wie sich Beine auch mit einem simplen Nervensystem ohne schwierige Berechnungen steuern lassen, hat er beobachtet, wie Stabheuschrecken ihren Stand stabilisieren.

Denn selbst im Stand müssen kleine Änderungen in der Stellung eines Gelenks von den anderen ausgeglichen werden, damit das Tier nicht umfällt. Für die klassische Robotik ist bereits das ein großes Problem, dessen Lösung viel Rechenleistung erfordert.

Insekten machen es sich einfacher: Statt aktiv für jedes Gelenk ein Bewegungsmuster zu erstellen, bewegen die Insekten nur eines - und beobachten genau, wie die anderen rein mechanisch auf die Veränderung des Schwerpunkts reagieren.

Bei einem Zweibeiner ist es ähnlich: Fällt er nach vorn, dann kann ein Bein durch die Schwerkraft nach vorn schwingen. Genau diese Bewegung verstärken Menschen, um sich abzufangen. Die rechnen sozusagen mit ihrem Körper, sagt Cruse.

Ein Roboterbein können seine Mitarbeiter so schon steuern, an einem Roboter mit mehreren arbeiten sie gerade. "Solche biologisch inspirierten Algorithmen können wir häufig in ganz wenige Zeilen Programmcode fassen", sagt Frank Kirchner. Und je knapper das Computerprogramm, das die Steuerung übernimmt, desto weniger Fehler passieren.

Cruse will aber die Grundlagen der Bewegung nicht nur verstehen, um bessere Roboter zu bauen. Dem Biologen geht es vor allem um Grundlagenwissen; Roboter dienen nur als Modellsystem. "Wenn wir ein biologisches System nachbauen, können wir testen, ob wir es verstanden haben", sagt Cruse.

Von einem genauen Modell sind die Robotiker aber noch weit entfernt. Denn Sinne und Beweglichkeit künstlicher Krabbeltiere sind ihren Vorbildern noch unterlegen. "In unseren Fingerkuppen haben wir mehr Sensoren, als alle jemals gebauten Roboter zusammen", sagt Frank Kirchner.

So bleiben die Ideen der Forscher noch lange Träume. Schließlich sollen künstliche Insekten eines Tages den Mars erkunden, auf dem Meeresgrund Proben nehmen und für Rettungsmissionen in eingestürzte Gebäude krabbeln. Bis das funktioniert, haben Cruse, Kirchner und ihre Kollegen viel zu tun.

© SZ vom 18.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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