Risiko Rinderwahn:Chronik einer Seuche

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Januar 2000 bis 23. November 2000

2000

Im Schlachthaus (Foto: AP)

Im Januar 2000 reicht die EU-Kommission eine Klage gegen Frankreich ein, da dort das Einfuhrverbot britischen Rindfleisches nicht aufgehoben wurde.

Im Februar 2000 droht die Kommission auch Deutschland mit juristischen Schritten, wenn das Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch nicht aufgehoben wird.

28. Februar 2000: Die dänischen Medien berichten von einem einheimischen Rind , das an BSE erkrankt ist. Dänemark hatte für sich beansprucht, BSE-frei zu sein, ebenso wie Deutschland oder Spanien. Nun planen die Dänen, gemäß den Vorschlägen der Kommission Risikomaterial aus Rinderschlachtkörpern zu entfernen. Etliche andere Mitgliedsstaaten handeln noch immer nicht so.

Im März hebt Deutschland das Importverbot auf - einige Bundesländer sind jedoch noch immer gegen die Einfuhr von britischem Rindfleisch.

Seit dem 17. März 2000 darf britisches Rindfleisch in Deutschland wieder verkauft werden, nachdem der Bundesrat einer Verordnung der Bundesregierung zugestimmt hat - gegen den Widerstand einiger Bundesländer. Das Fleisch muss mit einem XEL-Stempel versehen sein.

Ab April gibt es wieder britisches Rindfleisch in Deutschland. Die Kennzeichnung von Rindfleisch erfolgt durch die Importeure, und wird durch Länderbehörden überwacht. Deutsche Politiker zweifeln daran, dass die Kennzeichnung immer korrekt durchgeführt wird.

Im April 2000 entscheidet die EU-Kommission, dass ab 1. Januar 2001 Schnelltests durchgeführt werden. Die Mitgliedsstaaten sollen in einem jährlichen Überwachungsprogramm gezielte Stichproben bei Tieren durchführen, die verendet sind, notgeschlachtet wurde oder Symptome zeigen. Die Durchführung der Tests liegt in Händen der Staaten selbst. David Byrne ruft alle Mitgliedstaaten dringend auf, die Tests einzuführen.

Außerdem sollen sie endlich die Maßnahmen zur Entfernung von Risikomaterial durchführen. Einige Mitgliedstaaten zögern noch. Lediglich acht haben bereits nationale Vorschriften in Kraft gesetzt.

Am 19. Juni wird auf der Ratstagung der Landwirtschaftsminister der EU entschieden, Risikomaterial aus geschlachteten Rindern zu entfernen. Jetzt kann die Europäische Kommission die Entfernung von Risikomaterial am 1. Oktober endlich einführen.

In allen Mitgliedstaaten - auch jenen ohne BSE bisher - soll nun das Gewebe entfernt werden, in dem die Wahrscheinlichkeit von BSE-Erregern am höchsten ist.

Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der Kommission hatte wiederholt die Entfernung gefordert. Es gibt zwei Listen mit zu entfernenden Risiko-Organen: Eine Kurze Liste: Schädel mit Gehirn und Augen, Mandeln, Rückenmark und Krummdarm bei Rindern über zwölf Monate, das gleiche gilt für Schafe und Ziegen, darüber hinaus noch die Milz bei Schafen und Ziegen allen Alters.

In Großbritannien und Portugal dagegen gilt die Lange Liste: Bei Rindern betrifft sie den gesamten Kopf außer der Zunge, den Thymus, die Milz, den Darm und das Rückenmark bei Tieren über sechs Monaten, sowie die Wirbelsäule bei Rindern über 30 Monaten.

Die kurze Liste gilt vom 1. April 2001 an auch für Drittländer, wenn ihr BSE-frei-Status nicht durch wissenschaftliche Risiko-Einschätzung belegt ist.

Ab 31. Dezember soll darüber hinaus ein Verbot für bestimmte Schlachttechniken gelten, bei denen ein Risiko besteht, dass Blut des Tieres den Körper kontaminiert, nachdem BSE-infiziertes Gewebe in den Blutstrom gelangt ist.

Am 1. August 2000 veröffentlichen die Mitglieder des Wissenschaftlichen Lenkungsausschuss der EU eine Einschätzung des geographischen Risikos der Mitgliedsstaaten. Deutschland wird in die Risikostufe III eingeteilt, also mit hohem BSE-Risiko, trotzdem noch keine einheimischen BSE-Fälle aufgetreten sind.

Am 1. September 2000 wird in der Europäischen Union ein Etikettierungssystem eingeführt. Kunden können nun feststellen, wo ein Tier geschlachtet und zerlegt wurde. Woher das Tier stammt, ist für den Verbraucher jedoch weiterhin nicht ersichtlich - lediglich eine Referenznummer weist auf die Herkunft.

Britisches Fleisch könnte demnach in ein zweites EU-Land gebracht und dort verarbeitet werden. In einem dritten Staat wäre die Herkunft aus dem Vereinigten Königreich nicht mehr nachzuvollziehen. Deutschland besteht auf einer eigenen, zusätzlichen XEL-Etikettierung, nach der erkennbar ist, dass Fleisch aus Großbritannien stammt. Wo ein Tier geboren und gemästet wurde, und wo es gelebt hat, ist jedoch nicht erkennbar. Diese Kennzeichnung hatte der Bundesrat abgelehnt.

Für die EU ist ein solches weitgehendes System ab 2002 geplant. Für Hackfleisch jedoch wird voraussichtlich weiterhin nur der Ort der Schlachtung und Verarbeitung angegeben.

Am zweiten Oktober 2000 übergibt Lord Phillips of Worth Matravers den Abschlussbericht der BSE-Untersuchung an den britischen Landwirtschaftsminister Nick Brown und den Gesundheitssekretär Alan Milburn. In dem Bericht werden der früheren britischen Regierung schwerer Verfehlungen im Umgang mit der Rinderseuche und der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit vorgeworfen.

Am 23. Oktober geht die Deutsche Wissenschaftlerin Kerstin Dressel mit einer Untersuchung an die Öffentlichkeit, die belegt, dass die britische Regierung ihre eigenen Wissenschaftler mit Drohungen und Zensur daran hinderte, die Rinderseuche angemessen zu untersuchen und Forschungsergebnisse zu veröffentlichen.

Stattdessen versuchten Margaret Thatcher und ihr Kabinett, die Öffentlichkeit zu täuschen, indem sie das BSE-Risiko herunterspielte. Es wurde der Industrie überlassen, selbst Maßnahmen zu ergreifen.

Bald darauf wird bekannt, dass in Frankreich BSE-verseuchtes Rindfleisch in den Handel gekommen zu sein scheint.

Ende Oktober melden die Nachrichtenagenturen, dass schon letztes Jahr ein schon 74jähriger Mann an vCJK gestorben war. Die Krankheit wird jedoch erst jetzt nachgewiesen. Bisher trat die Krankheit bei jüngeren Menschen auf - nun wird befürchtet, dass etliche Fälle übersehen worden sein könnten.

Anfang November steigt die Angst, dass die Maßnahmen, mit denen die BSE-Epidemie eingedämmt werden soll, nicht ausreichen. Zwei Schweizer Kühe, die lange nach dem Verbot, Tiermehl zu verfüttern, geboren würden, sind an der Rinderseuche gestorben.

Seit Oktober mehren sich die Berichte von BSE-Fällen in Frankreich. Die in größerem Umfang eingesetzten Prionen-Schnelltests zeigen, dass auch Tiere infiziert sind, die noch keine Symptome zeigen.

Für das Jahr 2000 liegt die Zahl erkrankter französischer Rinder im November bei knapp einhundert Tieren - mehr als in den neunziger Jahren insgesamt. Die Französische Regierung reagiert mit einem generellen Stopp der Tiermehl-Fütterung - auch für Geflügel und Schweine - und einem Verbot von T-Bone-Steaks.

Mitte November kündigt Deutschland an, die Zahl von BSE-Tests zu erhöhen.

Am 21. November beschliessen die europäischen Landwirtschaftsminister flächendeckende BSE-Tests für notgeschlachtete oder verendete Rinder im Alter von 30 Monaten ab 2001. Später im Jahr sollen dann alle geschlachteten Rinder diesen Alters getestet werden.

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