Risiko für Patienten:Falsche Diagnosen die größte Gefahr

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Die größte Bedrohung für Patienten sind nicht fehlerhafte Behandlungen. Gefährlicher ist es, wenn Ärzte die falsche Krankheit diagnostizieren.

W. Bartens

In Franken wurde einem Patienten das falsche Bein amputiert, in Hessen einer Frau der gesunde statt des kranken Lungenflügels entfernt. Bis zu 200-mal im Jahr wird in Deutschland das falsche Organ operiert. Tausende Patienten kommen jährlich zu Schaden, weil Medikamente verwechselt oder falsch dosiert werden.

Etwa 14 Prozent der Nebenwirkungen in Kliniken gehen auf Irrtümer in der Diagnostik zurück. (Foto: Foto: AP)

In Deutschland ziehen sich mindestens 500.000 Patienten jedes Jahr im Krankenhaus Infektionen zu. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit und andere Initiativen haben erreicht, dass immer häufiger über Behandlungsfehler diskutiert wird.

Mit einer einfachen Checkliste vor Operationen kann ein Drittel der Komplikationen vermieden werden. Trotz dieser Fortschritte schlagen Ärzte der Johns Hopkins University in Baltimore nun Alarm: Die größte Bedrohung für Patienten sei demnach nicht eine fehlerhafte Behandlung. Eine viel größere Gefahr für Patienten seien falsche Diagnosen, so die Mediziner.

Im Fachblatt Journal of the American Medical Association vom heutigen Mittwoch fordern die Ärzte neue Ansätze, um die Zahl übersehener, falscher oder verspäteter Diagnosen zu senken (Bd.301, S.1060, 2009). 40.000 bis 80.000 Menschen sterben demnach jedes Jahr in amerikanischen Kliniken aufgrund fehlerhafter Diagnosen.

Etwa 14 Prozent der Nebenwirkungen in Kliniken gehen auf Irrtümer in der Diagnostik zurück - neun Prozent auf Medikationsfehler. "Es geht nicht darum, einzelne Ärzte zu bezichtigen", sagt der Studienautor David Newman-Toker. "Das gesamte System muss optimiert werden und profitiert davon, wenn die diagnostische Genauigkeit verbessert wird."

Ein Problem in Notaufnahmen bestehe beispielsweise darin, neu aufgetretene Kopfschmerzen richtig zu deuten. Da dieses Symptom zumeist harmlos ist, schätzen Ärzte das Risiko solcher Patienten oft als niedrig ein und behandeln sie später als die vermeintlich akuteren Notfälle.

Ist jedoch eine Hirnblutung Ursache der Kopfschmerzen, kann die Verzögerung tödlich sein.Eine einfache Checkliste könnte helfen, bedrohliche von harmlosen Kopfschmerzen zu unterscheiden und damit auch die Zahl der jährlich mehr als 150.000 Schlaganfälle in Deutschland zu verringern. Ähnliche Checklisten haben bereits dazu beigetragen, dass Blutvergiftungen im Krankenhaus seltener auftreten.

Neben Checklisten fordern die Autoren, dass sich Ärzte und Ausbilder stärker auf klassische Untersuchungsmethoden wie Tasten, Sehen, Abhorchen und Abklopfen besinnen. Zudem müssten fehleranfällige Handlungsketten in der Klinik überprüft werden.

"Nicht immer bekommen die Patienten die Diagnostik, die sie brauchen", sagt Newman-Toker. Dass Technik allein nicht weiterhilft, ist mittlerweile belegt. So wertete eine Studie vor Jahren Fehldiagnosen in der Zeit um 1959, 1969, 1979 und 1989 aus. In diesem Zeitraum hatten Ultraschall, CT und Kernspin Einzug in den medizinischen Alltag gehalten. Trotz des technischen Fortschritts ging die Zahl der Fehldiagnosen nicht zurück. Zwischen 1959 und 1989 lag der Anteil nicht oder falsch erkannter Leiden konstant bei etwa zehn Prozent.

© SZ vom 11.03.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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