Primatenforschung:Affen mit Gefühl

Trösten, täuschen, helfen: Menschenaffen haben offenbar die höchste Stufe der Empathie erklommen.

Katrin Blawat

Allein schafft sie es beim besten Willen nicht. Immer wieder blickt die Schimpansin zu dem Fenster hinauf, durch das sie so gerne einmal schauen würde.

Schimpansen Empathie

Schimpansen können sich in ihre Artgenossen einfühlen.

(Foto: Foto: AFP)

Doch zu zweit könnte es klappen, und Hilfe ist zum Glück nahe.

Die Kollegin reagiert sofort auf die einladende Handbewegung. Zusammen rollen die zwei Affen ein leeres Fass unter das Fenster und erklimmen es. Wenn jetzt die eine auf die Schultern der anderen stiege und beide dann ein wenig hochhüpften, dann könnte es klappen.

Aller gemeinsamen Anstrengung zum Trotz - ein paar Zentimeter fehlen noch. Die beiden Schimpansendamen bleiben unten im Gehege, während über ihnen, in dem für die Affen so interessanten Zimmer, Frans de Waal ihre Bemühungen beobachtet und protokolliert. "Sie versuchen öfter, dort hineinzuklettern", sagt er.

Für den Primatologen vom Yerkes National Primate Research Center in Atlanta ist dieses Verhalten weit mehr als ein Spiel. Es ist einer von vielen Beweisen, dass Schimpansen koordiniert zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Viele solcher Beispiele hat Frans de Waal am Dienstag in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung in München erörtert. Sie alle laufen auf eine Erkenntnis hinaus: Tiere, und ganz besonders Menschenaffen, können Empathie empfinden.

"Die meisten Tiere teilen die Gefühle ihrer Gruppenmitglieder. Das ist für mich Empathie", sagt de Waal, der seit 30 Jahren Affen in großen Freigehegen beobachtet.

Hilfe über die Artgrenze hinaus

Das Spektrum empathischen Verhaltens ist so groß, dass sich bei allen Säugetieren, vielleicht auch bei Vögeln, Ansätze davon beobachten lassen. Mäuse sind schmerzempfindlicher, wenn sie mitbekommen, dass andere, ihnen bekannte Mäuse, ebenfalls Schmerzen erleiden.

"Diese Gefühlsübertragung ist die älteste und einfachste Form der Empathie. Sie hat sich aus der Brutpflege entwickelt", erklärt de Waal.

Menschenaffen dagegen hätten auch die höchste Stufe der Empathie erklommen: "Sie können sich in andere hineinversetzen."

Während seiner Zeit im Arnheimer Burger's Zoo beobachtete de Waal einmal, wie ein Bonobo einen leicht verletzten Star im Gehege fand. Der Affe hob den Vogel auf, trug ihn zu der höchsten Stelle im Gehege, breitete ihm die Flügel aus und schubste ihn hinunter. Der Vogel flog davon.

Solche extremen Formen der Empathie treten wahrscheinlich nur in Gefangenschaft auf, wo es wenig Konkurrenz gibt. Doch sie zeigen, was alles im Affen steckt.

"Menschenaffen machen alles, man braucht nur die richtigen Experimente", sagt de Waal. So konnte der Verhaltensforscher zeigen, dass Primaten durch Zuschauen lernen können. Lange hielten Wissenschaftler das für unmöglich, "weil sie die falschen Modelle benutzten", sagt de Waal.

Ein Affe imitiert nicht unbedingt das, was sein menschlicher Pfleger ihm vormacht. Hat er jedoch Vorbilder unter seinesgleichen, zeigt er sich sogar konformistisch.

De Waal und seine Mitarbeiter versteckten Futter in einer Schachtel, die sich auf zwei Arten öffnen ließ. Aus zwei Schimpansengruppen wählten sie dann ein ranghohes Weibchen aus, denen die Forscher jeweils eine der Methoden beibrachten. Als die beiden Weibchen wieder in ihre Gruppen zurückgekehrt waren, guckten sich die anderen Schimpansen von ihnen ab, wie sie an das Futter gelangen konnten.

Einige Affen entdeckten durch Zufall auch den anderen Mechanismus. Sie probierten beide Möglichkeiten einige Male aus - und blieben dann bei dem, was die anderen Gruppenmitglieder anwendeten.

Wenn zwei sich streiten

Auch die Fähigkeit, den Kummer eines anderen zu spüren und Trost zu spenden, hat der Primatologe in den Katalog äffischen Verhaltens aufgenommen.

"Wenn sich zwei Affen streiten, läuft der Verlierer danach zu einem dritten Tier. Das legt ihm den Arm auf den Rücken", erzählt de Waal - und zeigt kurz darauf das Bild einer jungen Frau, die auf die gleiche Weise ihren Freund tröstet. Ohne die Fähigkeit, sich in den Artgenossen hineinzuversetzen, wäre ein solches Verhalten seiner Ansicht nach undenkbar.

Affen zeigen nicht nur die positiven Seiten empathischen Verhaltens. Wer spürt, was der andere empfindet, der hat auch alle Voraussetzungen, den anderen zu täuschen.

De Waal berichtet von einem rangniederen Schimpansen, der zwei unterschiedlich große Portionen Futter gezeigt bekommt. Seinen Kumpanen das Futter ganz zu verschweigen, ist riskant, so etwas dürfte nur der Boss.

Also führt der Affe die Gruppe mit großem Geschrei zu der kleinen Futterportion. Als alle fressen, macht sich der rangniedere Affe unbemerkt über die große Portion her.

Für Frans de Waal sind solche Beobachtungen der Schlüssel zu jeder sozialen Gemeinschaft: "Die Welt kann vielleicht ohne Öl überleben, aber nicht ohne Empathie."

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