Power-Napping:"Ein kurzer Mittagsschlaf fördert unsere Gesundheit!"

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Jeder kennt es: Mittags geht's bergab mit der Aufmerksamkeit, manchmal kommt gar eine Schlafattacke. Schlafforscher Jürgen Zulley erklärt, warum man ihr nachgeben sollte und plädiert für eine neuen Pausenkultur in Deutschland.

Jürgen Zulley ist Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Universitäts- und Bezirksklinikum Regensburg. Er hat zahlreiche Publikationen auf dem Gebiet der Schlafforschung und Chronobiologie veröffentlicht und zählt zu den bekanntesten Schlafforschern Deutschlands.

Prof. Jürgen Zulley (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Warum wird der Mensch mittags müde?

Zulley: Eingebettet in unseren 24-Stunden-Rhythmus gibt es noch einen 12-Stunden-Rhythmus, der zwar schwächer ausgeprägt ist, aber offensichtlich existiert. Da fahren viele Funktionen, die Leistung betreffen, messbar herunter: Reaktionsschnelligkeit, Daueraufmerksamkeit, Stimmung, Motivation und Körperkerntemperatur sinken, bei der Arbeit steigt die Fehlerzahl an.

sueddeutsche.de: Was bringt ein Nickerchen zur Mittagszeit?

Zulley: Zum einen überbrückt es ein Leistungstief, das wir haben, egal, ob wir durcharbeiten oder Pause machen. Bei jedem zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, aber es ist vorhanden. Zum anderen sind wir anschließend leistungsfähiger, erholter und besserer Stimmung.

sueddeutsche.de: Wie das?

Zulley: Das können wir gar nicht so genau erklären. Wir sind eben keine Maschinen, die durchwegs leisten können, sondern wir brauchen Regeneration und dazu brauchen wir Pausen. Um die Mittagszeit ist ein kurzer Mittagsschlaf wichtig.

sueddeutsche.de: Wie lange ist kurz?

Zulley: Zwischen zehn und 30 Minuten, auf keinen Fall länger. Offenbar reichen schon zehn Minuten aus, um anschließend leistungsfähiger und fitter zu sein. In diesen zehn Minuten können wir nicht richtig schlafen. Meine Vermutung ist, dass es offenbar nur das Abschalten und Entspannen ist. Wer zu lange schläft, ist anschließend müder und tut sich schwerer, wieder in die Gänge zu kommen.

sueddeutsche.de: Soll man nun richtig schlafen oder nur abschalten?

Zulley: Ob man schläft oder nicht, ist ziemlich unwichtig. Wichtig ist, die Augen zu schließen, vor allen Dingen den Kopf irgendwo anzulehnen, um die Muskulatur etwas zu entspannen. Dann kann man abschalten und zur Ruhe kommen.

sueddeutsche.de: Wie ist der Erholungswert im Vergleich zum Tiefschlaf in der Nacht?

Zulley: In der Nacht brauchen wir dringend den Tiefschlaf, sonst sind wir nicht ausgeschlafen. Am Tag bei einem Nickerchen darf man nicht in den Tiefschlaf fallen, weil man sonst anschließend in den Zustand der Schlaftrunkenheit gerät. Dann tun wir uns sehr schwer, wach und fit zu werden. Deswegen auch die Begrenzung auf 30 Minuten. Mittags bitte kein Tiefschlaf, nachts unbedingt.

sueddeutsche.de: Gilt das wirklich für jeden?

Zulley: Wir sind nicht nach einer bestimmten Seriennummer gebaut. Es gibt Unterschiede. Das Mittagstief kommt aber immer zwischen 13 und 14 Uhr. Es schwankt weniger der Zeitpunkt als die Ausprägung. Es gibt natürlich Menschen, die können mittags nicht schlafen, egal ob sie sich langweilen oder nicht. Andere brauchen ihn unbedingt. Die Mehrzahl kann es, manche müssen üben.

sueddeutsche.de: Macht es einen Unterschied, ob man das zuhause oder im Büro macht?

Zulley: Eigentlich nicht. Ideal wäre es, bestimmte Vorkehrungen nicht zu treffen. Es muss nicht dunkel sein, es muss nicht leise sein, man soll nicht auf dem Bett liegen. Das sind alles Bedingungen, wo die Gefahr besteht, zu lange zu schlafen. Man kann im Stuhl schlafen, so lange es eine Kopflehne gibt.

sueddeutsche.de: Warum ist der Mittagsschlaf im Büro noch so wenig verbreitet?

Zulley: Weil in unserer Kultur der Tagschlaf als Arbeitsverweigerungshaltung und als Zeichen der Schwäche gesehen wird. Wenn wir jemanden am Tag schlafend vorfinden, ist er entweder ein Kind, alt oder krank. Bei uns herrscht die Auffassung, dass ein leistungsfähiger Mensch so etwas nicht braucht. Das ist falsch. Es ist sogar umgekehrt: Um leistungsfähgig zu sein, müssen wir ausgeschlafen sein. Es gibt sogar Menschen, die damit angeben, mit wie wenig Schlaf sie auskommen: eine dumme Einstellung!

sueddeutsche.de: Brauchen wir eine neue Pausen- und Schlafkultur in Deutschland?

Zulley: Ja. Diejenigen, die mittags kurz schlafen können, tun es ohnehin. Politiker, Manager, die meisten geben es wegen der rufschädigenden Wirkung nur nicht zu. Ich finde, damit sollte man an die Öffentlichkeit gehen und klarmachen: Ein kurzer Mittagsschlaf fördert unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit.

sueddeutsche.de: Woher kommt der Begriff Power-Napping?

Zulley: Dieser Begriff wurde von den Amerikanern entworfen, um das Wort Nickerchen, also Napping, positiv zu besetzen und darauf hinzuweisen, dass ein kurzer Schlaf mehr Leistung bringt. Insofern ist es ein Kunstwort.

sueddeutsche.de: Ein treffendes deutsches Wort gibt es aber nicht.

Zulley: Was sollen wir im Deutschen sagen? Mittagsschlaf klingt blöd. Es geht ja grundsätzlich um Tagschlaf. Wir Wissenschaftler verwenden Begriffe wie Kurzschlafepisode und kontrolliertes Nickerchen.

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