Placebo-Effekt:Teuer wirkt besser

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Wenn Patienten meinen, ihre Behandlung sei kostspielig, sprechen sie besser darauf an. Das klappt sogar, wenn eine Therapie nur mit Scheinmedikamenten vorgegaukelt wird.

Werner Bartens

Patienten wollen ihrem Arzt nicht nur lieb, sondern auch teuer sein. Zumindest legen sie offenbar viel Wert auf den Preis ihrer Behandlung, denn sie reagieren unterschiedlich - je nachdem, für wie kostspielig sie das halten, was der Arzt mit ihnen anstellt.

Es muss nicht unbedingt ein Wirkstoff enthalten sein, damit eine Pille hilft. (Foto: Foto: digitalstock)

Dies gilt auch dann, wenn die Therapie gar nicht auf Arzneimitteln beruht, sondern nur mit Scheinmedikamenten vorgegaukelt wird.

Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Fachmagazin Journal of the American Medical Association vom heutigen Mittwoch (Bd. 299, S. 1016, 2008). Sie haben festgestellt, dass teure Placebos deutlich besser den Schmerz lindern können als billigere.

Die Forscher um Dan Ariely warben freiwillige Probanden für ihre verblüffende Placebo-Studie an. Die Teilnehmer bekamen immer stärkere Stromreize in Fünf-Volt-Intervallen am Handgelenk verabreicht, bis der Schmerz unerträglich und der Versuch abgebrochen wurde. Zumeist war dies im Bereich von etwa 80 Volt der Fall.

Jeder Stromschlag wurde zweimal gesetzt - einmal vor der Gabe des angeblichen Medikaments, einmal nachdem die Probanden die Pille geschluckt hatten. Ihnen wurde gesagt, dass es sich bei der Tablette um ein neuartiges Schmerzmittel auf Opioid-Basis handele, das die US-Medikamentenbehörde FDA gerade zugelassen habe, weil die Wirkung schneller einsetze.

Teure und billige Zuckerpillen

Tatsächlich wurde allen Teilnehmern jedoch eine Zuckerpille gegeben, allerdings in zwei verschiedenen Gruppen, die unterschiedliche Informationen erhielten. Die Hälfte der Probanden bekam in einer Broschüre erklärt, dass die vermeintlichen Schmerzkiller 2,50 Dollar pro Stück kosten würden.

In der Broschüre, die an die anderen Teilnehmer verteilt wurde, hieß es ohne Angabe von Gründen, dass die neuen Tabletten auf zehn Cent reduziert worden seien. Weder Ärzte noch Patienten wussten, wer nach dem Zufallsprinzip welcher Placebo-Therapie zugeteilt wurde.

Der Unterschied zwischen beiden Versuchs-Gruppen war auffallend groß. Während 85 Prozent der Teilnehmer, die das angeblich teurere Medikament bekamen, von nachlassenden Schmerzen berichteten, waren es in der Gruppe mit den vermeintlich im Preis herabgesetzten Mitteln nur 61 Prozent.

Wurden nur die Reaktionen auf die schmerzhaftesten Stromschläge ausgewertet, war der Effekt mit 81 zu 56 Prozent ähnlich stark ausgeprägt. "Ärzte glauben gerne, dass es die Arznei an sich ist und nicht ihre Begeisterung für ein bestimmtes Medikament, die eine Therapie wirksam sein lässt", sagt Dan Ariely. "Dabei sollten wir uns wirklich Gedanken über die Feinheiten der Interaktion zwischen Arzt und Patient machen."

Der Geschmack teurer Weine

Manfred Schedlowski, Placebo-Forscher an der Universität Essen fordert ebenfalls, die unterschiedliche Wertschätzung einer Behandlung stärker zu nutzen. So bevorzugen Patienten rezeptpflichtige teure Schmerzmittel gegenüber rezeptfreien und billigeren.

Viele Patienten klagen auch darüber, dass preisgünstigere Generika bei ihnen nicht so wirken wie das teure Original - obwohl das Nachahmermittel chemisch identisch mit dem Ursprungspräparat ist.

"Die Lösung kann ja nicht darin bestehen, Generika wieder teurer zu machen - in der Arzt-Patienten-Beziehung muss sich etwas ändern", sagt Schedlowski. "Ärzte sollten sich mehr Zeit nehmen und Patienten die Wirkungsweise der Mittel besser erklären, statt ihnen nur zu sagen: Die Krankenkasse bezahlt die anderen nicht mehr."

Sein Kollege Fabrizio Benedetti aus Turin hat in verschiedenen Versuchen gezeigt, wie die Erwartung der Patienten die Leistung oder den Therapieerfolg steigert. "Placebos können so effektiv wirken wie Doping - aber sie sind legal", sagt Benedetti.

Forscher wissen aus vielen Bereichen, wie wichtig der Preis für die Wertschätzung eines Produktes ist. Im Januar 2008 hatten Wissenschaftler vom California Institute of Technology dies bei Freiwilligen gezeigt, die Wein verkosten durften.

Das einzige, was die Teilnehmer über den Wein erfuhren, war der angebliche Preis, der jedoch in den meisten Fällen nicht mit dem tatsächlichen übereinstimmte. Fast immer bewerteten Probanden denjenigen Wein als den besseren, der auch teurer war. So erhielt ein Wein, der eigentlich fünf Dollar kostete, eine viel höhere Wertschätzung, als er mit 45 Dollar etikettiert wurde. Umgekehrt wurde ein Wein, der 90 Dollar kostete, als mäßig eingestuft, nachdem er als Zehn-Dollar-Wein angekündigt wurde.

Ariely leitet daraus ab, Medikamente nicht mehr in uniformen braunen Fläschchen und Ampullen zu verpacken, sondern die preisabhängige Erwartungshaltung der Menschen mit dem Placebo-Effekt zu kombinieren. "Wir müssen billige Medikamente verabreichen können, ohne dass die Leute denken, die Mittel wirken schlechter", sagt Ariely. "Ärzte müssen ihren Enthusiasmus für bestimmte Medikamente als Teil der Behandlung sehen - da liegt großes Potential für eine effektivere Therapie."

Mediziner wissen, dass der Erfolg einer Behandlung davon abhängt, zu welchen Methoden mit welcher Symbolkraft sie greifen. So wirken Spritzen aus Sicht der Kranken stärker als Pillen - auch wenn es sich in beiden Fällen um Placebo handelt. Auch die Wirkung von Tabletten wird unterschiedlich wahrgenommen - Patienten trauen Kapseln und Dragees mehr zu als einfachen Tabletten; größere wirken stärker als kleine.

Selbst die Farbe spielt eine wichtige Rolle für die vermutete Wirkung: Rote, orange und gelbe Tabletten gelten als stimulierend, grüne oder blaue eher als dämpfend. "Die Erwartungshaltung bestimmt die Wirkung", sagt Schedlowski. "Diese psychologischen Faktoren, die wahrscheinlich über das Belohnungssystem und mittels Dopamin im Gehirn vermittelt werden, sollte die Medizin stärker ausnutzen."

Infusion aus dem Nebenraum

Auch Injektionen wirken in der Wahrnehmung Kranker nach einer klaren Hierarchie. Subkutanspritzen - Piekser unter die Haut - gelten als nicht so wirksam wie Injektionen, die tiefer gehen. Stärker wirksam sind in der Vorstellung der Patienten hingegen Spritzen in den Muskel oder direkt ins Blut.

Wie sehr auch bei intravenöser Therapie der Glaube die Heilwirkung beeinflusst, hat Placebo-Forscher Fabrizio Benedetti beschrieben. Er behandelte Freiwillige, die mit Schmerzreizen traktiert wurden, mit Infusionen. Kam der Arzt ins Zimmer und sagte, dass er jetzt eine schmerzstillende Substanz geben würde, ließ die gefühlte Pein nach, obwohl es sich bei der Flüssigkeit um Kochsalzlösung handelte.

Wurde hingegen über eine verdeckte Leitung tatsächlich ein starkes Schmerzmittel in die Infusion gegeben, musste das Opioid schon eine Weile fließen, bis die Teilnehmer endlich das erlösende Gefühl spürten, dass der Schmerz nachließ. "Aus Versuchen mit Freiwilligen kennen wir diese Wirkung", sagt Psychologe Schedlowski. "Das Problem ist, dass wir diesen Effekt noch nicht so standardisieren können, um ihn beispielsweise gezielt bei chronischen Schmerzpatienten einzusetzen."

© SZ vom 05.03.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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