Pharmaforschung:Doping fürs Gehirn

Lesezeit: 4 min

Medikamente zur Therapie neurologischer Leiden verbessern auch die Denk- und Gedächtnisleistung Gesunder.

Wiebke Rögener

Gedächtnis-Pillen statt Ganztagsschulen? Konzentrationssteigernde Drogen statt kleiner Klassen? Die Pharmaforschung, so scheint es, hält neue Rezepte gegen die Bildungsmisere bereit. Denn viele Medikamente, die Erkrankungen des Gehirns lindern, wirken auch bei Gesunden und können Stimmung und Leistungsfähigkeit steigern.

Mit neuen Medikamenten kann die Denkleistung gesteigert werden. (Foto: Foto: dpa)

"Neuro-Enhancement" nennen Fachleute das Doping fürs Denkorgan. Anfang der Woche trafen sich Neurowissenschaftler, Philosophen und Medizinethiker im Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst und diskutierten, was von Verbesserungen am Gehirn zu halten sei.

Viel davon ist Zukunftsmusik, manches aber schon im Gebrauch. So nehmen in den USA angeblich 16 Prozent aller Studenten vor Prüfungen Ritalin, ein Medikament für Kinder mit schweren Aufmerksamkeitsstörungen. Medikamente gegen Depressionen - Serotonin-Wiederaufnahmehemmer - verhelfen längst auch Gesunden zu besserer Stimmung. Das Medikament Modafinil bewahrt nicht nur Narkolepsie-Patienten davor, am Tag einzuschlafen, sondern reduziert auch das Schlafbedürfnis und hält Workaholics munter. Auch soll es helfen, sich Zahlenreihen zu merken.

Lernen im Gehirn verankern

All das sind Vorboten des Trends zum gedopten Gehirn. Noch sind die Pillen für ein besseres Gedächtnis nicht auf dem Markt, an denen etwa Nobelpreisträger Eric Kandel mit seiner Firma Memory Pharmaceuticals in New Jersey arbeitet - zunächst für Alzheimer-Patienten.

Doch die Unterstützung, die solche Unternehmen von großen Pharmakonzernen erhalten "weist darauf hin, dass der profitable Markt der gesunden Unzufriedenen erschlossen werden soll", erklärt Thorsten Galert von der Europäischen Akademie zur Technikfolgenabschätzung in Bad Neuenahr.

Dagegen seien Neuroprothesen, die Vokabeln oder mathematische Formeln ohne langwieriges Lernen im Gehirn verankern, vorerst nicht in Sicht. "Gedächtnis-Chips zur Erhöhung der natürlichen Speicherkapazität des Gehirns sind noch Science-Fiction", so Galert.

Nicht so utopisch erscheint die Möglichkeit, mit Elektroden im Gehirn das Denken zu beeinflussen. Heute stellen solche Hirnschrittmacher das Zittern Parkinson-Kranker ab. Auch können sie Patienten von Zwangsvorstellungen befreien, etwa der krankhaften Angst vor Bakterien. Erwogen wird der Einsatz gegen Drogen- oder Fresssucht (Nature, Bd.436, S.18, 2005).

Ethische Probleme

Vor solchen Eingriffen mögen die meisten Menschen zurückschrecken, wenn es nicht schwere Leiden zu kurieren gilt. Weniger drastisch erscheint es, Hirnzellen durch kurzzeitig wirksame Magnetfelder zu beeinflussen. Transkranielle Magnetstimulation (TMS) heißt das Verfahren, das ohne Operation durch die Schädeldecke wirkt und manchen Patienten mit Depressionen hilft (British Journal of Psychiatry, Bd.186, S.410, 2005). Für Achim Stephan von der Universität Oldenburg sind in Zukunft "TMS-Parties vorstellbar, auf denen man per Magnetkraft für einige Zeit in positive Stimmung versetzt wird".

"Die Entwicklung ist beim Neuro-Enhancement erst am Anfang. Wir können - anders als in der Gentechnik-Diskussion - ethische Probleme im Vorfeld diskutieren", sagt die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert. Der Nationale Ethikrat, dem sie angehört, habe das Thema bereits auf der Agenda. "Falls es ihn in drei Monaten noch gibt", sagt Schöne-Seifert angesichts der politischen Lage.

Ob beim Doping fürs Hirn Chancen oder Risiken überwiegen? Nebenwirkungen sind zu erwarten. Was aber bei der Therapie einer Krankheit vertretbar ist, muss bei Pillen für Gesunde nicht akzeptabel sein. Vor allem wirft Neuro-Enhancement die Frage auf: Wer gute Laune per Magnetkraft erlangt, seinen Intelligenzquotienten steigert und mit Neuro-Pillen zum Gedächtnisgenie wird - ist der noch derselbe wie zuvor?

"Solche Medikamente beeinflussen, wie wir denken, wie wir fühlen, wie wir sind", sagt der Philosoph Joel Anderson von der Universität Utrecht. "Allerdings geht es manchen Menschen damit viel besser." Versuche, mit chemischen Substanzen Befinden und Denkvermögen zu beeinflussen seien nicht neu, sagt Matthis Synofzik vom Institut für Geschichte der Medizin in Tübingen - man denke an Alkohol, Nikotin und andere Drogen.

Kluge Köpfe aus der Apotheke

Bettina Schöne-Seifert vergleicht die Korrekturen im Kopf mit Schönheitsoperationen oder Viagra - geht es doch darum, die natürliche Ausstattung des Menschen zu verbessern. Auch über Lifting und Fettabsaugen dürfe jeder selbst entscheiden. Allerdings bleibt die Wirkung nicht auf das Individuum beschränkt: "So wie sich durch die Schönheitschirurgie unsere Vorstellung von 'normalem' Aussehen wandelt, könnte Neuro-Enhancement Normen verändern", sagt sie.

Unter Arbeitskollegen, die durch solche Mittel pausenlos gut gelaunt sind, oder in einer Klasse, in der Schüler mit Pharma-Unterstützung lernen, wären diejenigen, die heute als durchschnittlich gelten, vielleicht bald Miesepeter oder versetzungsgefährdet. So frei ist die Entscheidung für oder gegen das Hirn-Viagra damit nicht. Auch wird es Pillen für das schöne neue Denken wohl kaum auf Krankenschein geben - nicht jeder wird sich einen klügeren Kopf leisten können.

Doch solche Bedenken dürfen nicht verhindern, das Medikamente für Menschen entwickelt werden, deren Gedächtnis nach Schlaganfall oder Demenz beeinträchtigt ist, sagt der Neurologe Stefan Knecht von der Universität Münster. Sein Team prüft, ob sich die Erinnerung bei Schlaganfallpatienten durch erhöhte Dopamin-Konzentrationen verbessert. Dopamin ist Teil des Belohnungssystems im Gehirn, beeinflusst die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis und trägt dazu bei, dass neue Nerven wachsen. Vorstudien zeigten, dass der Stoff zumindest bei gesunden jungen Männern das Lernvermögen steigert.

Pharmazeutische Nachhilfe

Knecht ließ Probanden Vokabeln einer künstlichen Sprache lernen. Zuvor erhielten sie Levodopa - eine Vorstufe von Dopamin, die in der Parkinsontherapie eingesetzt wird. Die Testpersonen lernten die Kunstwörter schneller und erinnerten sich auch nach einem Monat besser als die Placebogruppe.

"Der Lernerfolg war um ein Fünftel besser - obwohl das Mittel nach dem Pauken abgesetzt wurde", freut sich Knecht. Doch er stellt klar: "Uns geht es ausschließlich um Hilfe für Kranke, nicht um Pillen für lernschwache Schüler." Allerdings räumt er ein: Dass Ärzte die chemische Gedächtnisstütze auch Gesunden verschreiben, sei nicht auszuschließen.

Auch könne man nicht verhindern, dass Menschen sich Lernpillen illegal beschaffen, ehrgeizige Eltern etwa, die dem Erfolg ihrer Sprösslinge nachhelfen wollen. Knecht hält das für einen Irrweg: "Die Schwächen, die sich in den Pisa-Studien zeigen, sind ein soziales Problem, sie beruhen nicht auf Dopaminmangel im Gehirn."

© SZ vom 30.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: