Pestizid-Verbot:Giftige Reaktion der Giftmischer

Künftig sollen Pestizide verboten sein, die Krebs verursachen oder das Erbgut schädigen. Die Chemiekonzerne laufen Sturm.

M. Kotynek und M. Widmann

Wenn es ums Essen geht, fürchten die Konsumenten vor allem durch Chemikalien verunreinigte Nahrungsmittel. Deshalb wohl auch der Boom von Bio-Produkten. An diesem Dienstag könnte die Angst ein Ende haben: Das Europäische Parlament will die schärfste Pestizidverordnung der Welt verabschieden, mit der Folge, dass viele Pflanzenschutzmittel vom Markt genommen werden müssten. Für die Verbraucher gut, für andere nicht. Chemiekonzerne fürchten um ihr Geschäft, und die Landwirte rechnen mit großen Ernteeinbrüchen.

Pestizid-Verbot: Chemikalien an Nahrungsmitteln sind die größte Sorge der Konsumenten, wenn es ums Essen geht.

Chemikalien an Nahrungsmitteln sind die größte Sorge der Konsumenten, wenn es ums Essen geht.

(Foto: Foto: Reuters)

Zuerst fallen Käfer in Scharen über die Felder her und vernichten den Großteil der Ernte. Was von den Feldfrüchten dann noch übrig geblieben ist, fällt Pilzen zum Opfer und verfault. Und am Schluss stehen Europas Landstriche öde und leer da, die Nahrungsmittelpreise steigen, die Landwirtschaft steht vor dem Kollaps, die Menschen hungern.

Das passiert, sagen Vertreter der Chemikalien-Industrie und der Landwirte, wenn das Europäische Parlament an diesem Dienstag für die neue, schärfere Pestizid-Verordnung stimmt. Pflanzenschutzmittel, die für den Menschen gesundheitsgefährlich sind, sollen dann nämlich zum Schutz der Verbraucher verboten werden.

Chemikalien an Nahrungsmitteln sind laut einer europaweiten Umfrage die größte Sorge der Konsumenten, wenn es ums Essen geht. Immer wieder finden Behörden und Umweltschützer hohe Mengen von Pestizid-Rückständen in Obst und Gemüse.

Erst im November ortete Greenpeace auf kernlosen Trauben aus der Türkei große Mengen des Pilzbekämpfungsmittels Procymidon, das in Tierversuchen die Hormonbildung von Säugetieren beeinflusst hat. Vor "akuten Gesundheitschäden" warnten die Umweltaktivisten.

Künftig sollen nach dem Wunsch von EU-Parlamentariern alle Substanzen verboten sein, die Krebs verursachen, das Erbgut schädigen oder die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen. Dasselbe soll für Gifte gelten, die Honigbienen gefährden. Im vergangenen Frühjahr waren in Süddeutschland etwa 330 Millionen Bienen in rund 11.500 Völkern an dem Pestizid Clothianidin verendet.

Giftige Reaktion der Giftmischer

Solche Gifte waren bisher erlaubt, wenn in Studien bewiesen wurde, dass sie auf dem Acker gefahrlos eingesetzt werden können. Mit der neuen Verordnung soll sich das ändern: Für die Zulassung ist dann nicht mehr das Risiko auf dem Feld, sondern die Gefahr des unverdünnten Gifts für den Menschen entscheidend, ein weltweit bislang einzigartiges System.

Dazu erstellt die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA eine Liste mit Substanzen, die für den Menschen als ungefährlich gelten. Produkte, die nur Wirkstoffe von dieser Liste enthalten, werden zugelassen, alle anderen müssen vom Markt verschwinden. Betroffen sind nicht zuletzt die deutschen Chemiekonzerne Bayer und BASF.

Die Vertreter der Chemie-Industrie sehen ihr Geschäft in Gefahr. Mehr als sechs Milliarden Euro setzen die Hersteller in der EU jährlich mit Pestiziden um. Seit drei Jahren machen sie Stimmung gegen die geplante Verordnung.

"Die Auseinandersetzungen waren heftig und von überaus starkem Lobbyismus gekennzeichnet", sagt Erna Hennicot-Schoepges, Berichterstatterin der konservativen Europäischen Volkspartei im EU-Parlament. "Große Interessen müssen hier im Spiel sein, sonst wäre der Widerstand gegen ein Verbot gesundheitsschädigender Stoffe wohl nicht so groß."

So warnte die Europäische Pflanzenschutzvereinigung ECPA lange Zeit, dass durch die Verordnung 80 Prozent aller Insektenvernichtungsmittel und 70 Prozent aller Pilzmittel wegfallen würden. Dadurch würden die Ernteerträge sinken und einer Studie von Euro-Care zufolge die Getreidepreise um bis zu 73 Prozent, die Preise für Gemüse um 104 Prozent steigen. Klaus Welsch, Chef der europäischen Pflanzenschutzsparte von BASF, verkündete unlängst gar: "Auf Druck der grünen Lobby wird hier die Landwirtschaft zugrundegerichtet."

Giftige Reaktion der Giftmischer

Die grüne EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer, die als Berichterstatterin für die neue Verordnung fungiert, nennt solche Aussagen "Panikmache". Schätzungen der staatlichen schwedischen Chemikalien-Aufsichtsbehörde zufolge sollen nur 23 der etwa 400 heute erlaubten Substanzen vom Markt genommen werden. Auch der europäische Ministerrat rechnet mit dieser Zahl.

Der Druck der Lobbyisten blieb jedoch nicht folgenlos. "Vor allem aus Deutschland kamen viele Änderungswünsche", sagt Breyer. So sind einige weitreichende Forderungen der Parlamentarier aus dem Entwurf verschwunden. Zum Beispiel das Ziel, den Einsatz von Pestiziden in den kommenden Jahren zu halbieren.

Dafür hielt eine Ausnahmeregelung Einzug: Substanzen, die dringend nötig sind, um "eine ernste Gefahr" für die Pflanzengesundheit abzuwenden, dürfen auch künftig für fünf weitere Jahre zugelassen werden. Erst kurz vor der Abstimmung entscheidet sich, ob auch Wirkstoffe verboten werden, welche beim Menschen die Entwicklung des Immun- oder Nervensystems schädigen oder in das Hormonsystem eingreifen, wie es der Entwurf vorsieht. Einige Abgeordnete wollen die Verordnung in diesem Punkt noch abschwächen.

Stimmen die EU-Abgeordneten dem Gesetz zu, so ändert sich für die Konsumenten frühestens im Jahr 2015 etwas. Erst dann laufen die ersten Zulassungen jener Pestizide ab, die künftig verboten werden sollen. Vorher aus dem Verkehr ziehen will sie Brüssel nicht.

"Warum man sich so viel Zeit lässt, ist nicht nachvollziehbar", sagt Jutta Jaksche, Agrarreferentin beim Bundesverband der deutschen Verbraucherzentralen. Auch die Ausnahmen lehnt sie ab. Unterm Strich allerdings, sagt Jaksche, könnten sich die Verbraucher über die Reform freuen. "Es war höchste Eisenbahn für ein klares Verbot von gefährlichen Pestiziden."

In einem zweiten Gesetzesvorschlag werden die Abgeordneten wohl auch das Versprühen von Pestiziden aus Hubschraubern oder Flugzeugen verbieten. Für Hiltrud Breyer sind deshalb nicht nur die Konsumenten die Gewinner. "Nutznießer werden zuallererst die Landwirte und ihre Familien sein, weil sie den schädlichen Wirkungen von Pestiziden besonders stark ausgesetzt sind."

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