Palästina:"Nur ein eigener Staat hilft"

Lesezeit: 2 min

Die Gesundheitsversorgung der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten ist katastrophal, warnt die WHO - und empfiehlt einen eigenen, souveränen Staat .

Wiebke Rögener

Einen eigenen, souveränen Staat - so etwas schreiben Ärzte nicht auf ein Rezeptblatt, um die Gesundheit von Patienten zu verbessern. Genau dies aber empfehlen Gesundheitswissenschaftler den von Israel besetzten Palästinensergebieten.

In den Krankenhäusern von Gaza fehlt wie in den gesamten Palästinensergebieten medizinisches Pflegepersonal. (Foto: Foto: AFP)

Zwei Jahre lang untersuchte eine Gruppe palästinensischer Forscher mit Kollegen der Weltgesundheitsorganisation sowie aus den USA, Frankreich, Großbritannien und Norwegen die medizinische Situation der knapp 3,8 Millionen Menschen in der West Bank und im Gaza-Streifen. Ihr Bericht erscheint als Artikelserie im Fachblatt The Lancet und wurde am Mittwoch in London der Öffentlichkeit vorgestellt.

Hohe Säuglingssterblichkeit

Die Untersuchung zeigt, dass die Besetzung, militärische Angriffe und eine prekäre Lebenssituation die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen. Mehr als die Hälfte der Familien lebt unter der Armutsgrenze und verfügt pro Person über weniger als 3,18 Dollar täglich. Die Säuglingssterblichkeit ist seit 20 Jahren nicht gesunken und etwa siebenmal so hoch wie in Israel. Jedes zehnte Kind ist für sein Alter deutlich zu klein.

Schwangere Frauen leiden besonders unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. In den Jahren von 2000 bis 2006 wurde etwa jede zehnte von ihnen auf dem Weg zur Geburtsklinik durch Straßenblockaden stundenlang aufgehalten. 69 Mütter brachten ihr Kind an israelischen Kontrollpunkten zu Welt.

Weitere Faktoren, die Frauen und Kinder gefährden, sind das jugendliche Alter vieler Mütter und die hohe Zahl von rasch aufeinander folgenden Geburten sowie die Häufigkeit von Eheschließungen unter engen Verwandten. 28 Prozent aller palästinensischen Ehefrauen sind mit einem Cousin ersten Grades verheiratet.

Infektionen gehen hingegen zurück, auch deshalb, weil die meisten palästinensischen Kinder umfassend geimpft sind. Jedoch leiden immer mehr Palästinenser unter Herzkreislauferkrankungen, Diabetes oder Krebs; Herzkrankheiten sind die häufigste Todesursache. Krebs wird meist erst in späten Stadien diagnostiziert. Im Gaza-Streifen gibt es keine Möglichkeit zur Strahlentherapie.

Schlaflosigkeit, Angstzustände, Erschöpfung und Depressionen

Laut einer WHO-Studie zählt die Lebensqualität in den Palästinensergebieten zu den niedrigsten in allen untersuchten Ländern. Militärschläge fordern zum einen unmittelbar Tote und Verwundete, zum anderen führen die Bombardierungen auch zu großen psychischen Belastungen. Folgen sind Schlaflosigkeit, Angstzustände, Erschöpfung und Depressionen, bei Kinder oft Bettnässen und unkontrollierbare Schreianfälle.

Es fehlt in den besetzten Gebieten nicht so sehr an Ärzten - zahlenmäßig ist die Versorgung ähnlich wie in Großbritannien. Jedoch gibt es zu wenige Krankenschwestern und Hebammen, so dass Ärzte oft deren Aufgaben übernehmen. Für komplizierte Eingriffe müssen Patienten oft ins Ausland überwiesen werden. Jedoch behindert die Besatzung den Krankentransport. Allein zwischen Oktober 2007 und März 2008 starben einem UN-Bericht zufolge 32 Patienten, nachdem Israel eine Behandlung außerhalb des Gaza-Streifens verhinderte.

Vor allem aber fehlt den besetzten Gebieten ein gut koordiniertes Gesundheitswesen. Behandlungszentren und Kliniken der palästinensischen Behörden existieren neben Einrichtungen der Vereinten Nationen, dem privaten Gesundheitssektor und schlecht abgestimmten Projekten von Nichtregierungsorganisationen - all das verteilt auf zwei Territorien, zwischen denen es keinen freien Austausch von Waren und Menschen gibt.

Die Fragmentierung könne die schwache Palästinenserbehörde nicht überwinden, so die Verfasser des Berichts. Auch habe die Behörde keine Kontrolle über Gesundheitsfaktoren wie Trinkwasser oder Abfallbeseitigung. So kommen die Autoren zu ihrem ungewöhnlich politischen Rezept: Die gesundheitliche Situation könne sich nur durch den Aufbau stabiler palästinensischer Institutionen und das Ende der israelischen Besatzung bessern.

© SZ vom 06.03.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: