Ozeanographie:Entwarnung für den Golfstrom

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Europas ozeanische Fernheizung, der Nordatlantikstrom, habe nachgelassen, hieß es vor einiger Zeit. Doch die Meldung war offenbar ein Fehlalarm.

Axel Bojanowski

Die Nachricht klang beängstigend, und sie schien wissenschaftlich gut belegt zu sein. Immerhin veröffentlichte sogar das einflussreiche Fachmagazin Nature im Dezember 2005 den dramatischen Befund: Europas ozeanische Fernheizung, der Nordatlantikstrom, habe nachgelassen.

(Foto: Grafik: Baka/SZ)

Die warme Strömung aus dem Süden transportiere ein Drittel weniger Wasser als 48 Jahre zuvor, berichteten Forscher um Harry Bryden vom Nationalen Zentrum für Ozeanographie in Southampton. Ein vollständiger Abbruch des Golfstrom-Ausläufers würde in Europa vermutlich zu einer deutlichen Abkühlung führen. Dieses Szenario wurde durch den Kinofilm "The Day After Tomorrow" auch außerhalb der Fachkreise bekannt.

Vorbereitungen auf die Eiszeit

Bryden verschärfte seine Warnung wenig später sogar noch. Er gab bekannt, dass die atlantische Meeresströmung, die zu dem vergleichsweise milden Klima in Westeuropa führt, im November 2004 für zehn Tage gänzlich zum Erliegen gekommen war. Daraufhin diskutierten einige Wissenschaftler, wann der geeignete Zeitpunkt sei, den Regierungen zu empfehlen, Energievorräte anzulegen, um auf eine drohende Kaltzeit ausreichend vorbereitet zu sein.

Doch nun zeigt sich, dass Brydens Warnung ein Fehlalarm war. Genauere Messungen belegen, dass der Golfstrom und seine nördlichen Ausläufer keineswegs nachgelassen haben. Bryden und seine Kollegen haben ihre Analyse schlicht auf einem zu dünnen Datensatz gegründet: auf Daten, die von lediglich fünf Schiffsexpeditionen aus den Jahren 1957, 1981, 1992, 1998 und 2004 stammen.

Jetzt liegen erstmals Daten für ein gesamtes Jahr vor. Fest installierte Sonden haben die Nordatlantik-Strömung kontinuierlich vermessen. Die Daten, die im Wissenschaftsblatt Science vor kurzem veröffentlicht worden sind (Bd. 317, S.935, 2007), zeigen, dass die nordwärts fließende Wassermenge stark schwankt. Durchschnittlich transportieren der Golfstrom und seine Ausläufer jede Sekunde etwa 19 Milliarden Liter Wasser.

An manchen Tagen sind es allerdings auch 35 Milliarden, an anderen nur vier Milliarden Liter pro Sekunde. Der nordatlantische Strom befördert damit durchschnittlich 200-mal mehr Wasser als der Amazonas.

Brydens Ergebnis - er hatte zwölf Milliarden Liter pro Sekunde ermittelt - lag also im Bereich der natürlichen Schwankungen. "Er hat zufälligerweise zu einem Zeitpunkt gemessen, als die Strömung recht schwach war", sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI) und Initiator der neuen Messkampagne.

Auch die Meldung von einem vermeintlich zehntägigen Abbruch der nordatlantischen Strömung, die vor drei Jahren kursierte, wird nun zurückgenommen: Der Stopp des Meeresflusses habe lediglich die Tiefenregionen des Atlantiks betroffen, berichten Stuart Cunningham und Torsten Kanzow vom Nationalen Ozeanographie-Zentrum in Southampton, die Hauptautoren der Studie. In höheren Schichten sei dafür umso mehr Wasser geflossen, das den Verlust kompensiert habe.

Die jüngsten Daten stammen aus einem aufwändigen System von Messgeräten, das 2004 auf dem 26. Breitengrad im Atlantik installiert worden ist. Vor der West- und der Ostküste des Ozeans misst eine Stafette von Sonden Temperatur und Salzgehalt des Wassers in unterschiedlicher Tiefe:

Südlich der Kanarischen Inseln und vor den Bahamas schwimmen 20 Seile aufrecht im Wasser, an jedem hängen 24 Sonden. Ausrangierte Eisenbahnräder und Stahlketten - jedes Teil schwerer als eine Tonne - verankern die kilometerlangen Seile auf dem Meeresgrund, Bojen sorgen für Auftrieb und straffen das Seil.

Aus den Daten ermittelten die Forscher um Cunningham und Kanzow den Wasserfluss, der den Atlantik quert. Den Ozean auf der gesamten Breite mit Sonden zu bestücken, ist unnötig. Denn aus der Dichte des Wassers - also seines Gewichtes in einem bestimmten Rauminhalt - lässt sich die Strömung ermitteln: Je größer der Dichte-Gegensatz an beiden Seiten des Atlantiks, desto mehr Wasser wird zurzeit dazwischen transportiert. Drucksensoren am Meeresboden erlauben es, die Daten zu überprüfen: Sie registrieren, wenn sich die Strömungen verlagern.

Auch wenn Cunningham und seine Kollegen sich überrascht zeigen über das Ergebnis - Anzeichen für die hohe Variabilität der ozeanischen Fernheizung gab es schon länger. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel vermessen seit den 1970er Jahren die Atlantikströmungen vor Kanada und nahe der Karibik. Sie hatten ermittelt, dass die Strömungen in beiden Gebieten von Woche zu Woche erheblich schwanken.

Die neuen Daten liefern nun erstmals einen Überblick über den gesamten Atlantik. In den kommenden Jahren sollen Computermodelle, die Veränderungen der Strömungen simulieren, mit den neuen Ergebnissen programmiert werden. Die Modelle prophezeien bislang, dass selbst bei einer deutlichen Klimaerwärmung die nordatlantischen Strömungen bestehen bleiben.

Atlantisches Frühwarnsystem

Das beruhigende Ergebnis war nicht unbedingt erwartet worden, denn schmelzende Gletscher in Grönland sorgten vor Jahrtausenden offenbar schon mehrfach für einen Abbruch der Strömungen.

Das Schmelzwasser hatte seinerzeit den Antriebsmechanismus der Wärmepumpe unterbunden: In der Arktis gelangt das schwere Salzwasser der nordatlantischen Strömung normalerweise auf bislang ungeklärte Weise in große Tiefen und fließt dort nach Süden. Wird das Meer allerdings zu sehr mit leichterem Schmelzwasser verdünnt - so die Theorie - erlahmt diese Umwälzbewegung, und die Strömung versiegt.

Bislang gibt es keine Anzeichen für ein Nachlassen der Warmwasserzufuhr. Computerberechnungen von Kieler Meeresforschern ergaben sogar, dass in den vergangenen 30 Jahren mehr Wasser im Atlantik nach Norden geströmt ist. Mit dem neuen Messnetz sollen die Simulationen in den nächsten Jahren kontinuierlich überprüft werden.

Doch die Sondenstafette soll auch als eine Art Frühwarnsystem dienen: Änderungen der atlantischen Meeresströmung werden künftig exakt nachweisbar sein, hoffen die Experten. Eine drastische Verlangsamung der Strömung tauge allerdings aufgrund der großen Strömungsschwankungen nicht unbedingt als Warnsignal, betont MPI-Direktor Jochem Marotzke. Erst ein längeres Ausbleiben der Warmwasser-Zufuhr wäre bedenklich.

© SZ vom 24.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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