Out-of-Body-Erfahrungen:Völlig neben sich

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An der Schwelle des Todes oder unter Drogen kommt es manchmal zu außerkörperlichen Erlebnissen. Forscher haben diese Wahrnehmung nun künstlich erzeugt. Mit Video.

Hanno Charisius

Mit einer Rolle rückwärts erhob sich die Seele aus dem Leib des Sterbenden. Nach dem Purzelbaum habe er mit den Füßen am Kopf seiner irdischen Hülle gestanden und sie betrachtet. So beschrieb ein sterbenskranker Patient dem Schweizer Biochemiker Ernst Waelti einmal seine Erlebnisse beim Grenzgang zwischen Leben und Tod.

Von solchen außerkörperlichen Erfahrungen können etwa Menschen berichten, die während einer schweren Krankheit an der Schwelle zum Tod standen. Oft werden diese Erfahrungen von der Vision begleitet, in einem Tunnel zu sein, an dessen Ende ein Licht schimmert.

Auch Drogen, tiefe Meditation und manche Hirnerkrankungen können solche scheinbaren Ausflüge aus dem Körper ermöglichen. Zwei Forschergruppen haben nun unabhängig voneinander durch optische Täuschungen die Selbstwahrnehmung gesunder Probanden so verändert, dass auch diese das Gefühl bekamen, plötzlich ihren Körper zu verlassen.

Beide Gruppen benutzten Videobrillen, um den Versuchsteilnehmern dreidimensionale Bilder ihrer eigenen Körper vorzuspielen. Als die Forscher sowohl den echten Menschen als auch ihren digitalen Abbildern gleichzeitig Berührungsreize gaben, etwa durch Streichen über den Rücken, glaubten einige der Probanden, nicht mehr vollständig in ihrem eigenen Körper zu sein. Nach zwei Minuten dieser Stimulation berichteten sie, sie hätten das Gefühl, hinter ihrem physischen Körper zu sitzen und sich aus dieser Position zu beobachten.

Die Versuche könnten einen neuen Ansatz zur Erforschung außerkörperlicher Erfahrungen liefern, die oft als Produkt der Einbildung abgetan werden, schreiben die Forscher im Fachjournal Science (Bd. 317, S. 1048, S. 1096, 2007). Die neurobiologischen Grundlagen der außerkörperlichen Erfahrung verstehen Forscher bisher kaum.

Mit ihrem Versuch hätten sie ein Werkzeug geschaffen, um das Phänomen besser zu erforschen, sagt der an einer Studie beteiligte Mainzer Philosoph Thomas Metzinger. Die Ergebnisse zeigen, dass die Koordination zwischen optischen Sinneseindrücken und Tastreizen im Gehirn wichtig ist für das Gefühl, in seinem eigenen Körper zu stecken.

Nicht jeder ist für die Manipulation empfänglich

Das deutsch-schweizerische Team um Olaf Blanke vom Polytechnikum Lausanne und Thomas Metzinger führten ihre Probanden nach der Stimulation einige Schritte vom Ort des Experiments weg und baten sie anschließend, sich wieder an ihren ursprünglichen Platz zu begeben. Die Probanden bewegten sich daraufhin in Richtung des virtuellen Körpers. Blanke bezeichnet das als "teilweise Entkörperung".

Doch nicht jeder Mensch ist empfänglich für die Manipulation. Im Selbstversuch etwa konnte Blanke dieses Gefühl bei sich selbst nicht hervorrufen. Anders erging es Thomas Metzinger. Vor mehr als zwei Jahrzehnten hätte er gelegentlich spontan außerkörperliche Erlebnisse gehabt, berichtet der Philosoph. Damit sei die im Labor hervorgerufene Täuschung jedoch nur bedingt zu vergleichen: "Man schreit nicht sofort, dass man aus seinem Körper herausgefahren ist", es sei eher "eine Verschiebung des Selbstgefühls".

Neurowissenschaftler Henrik Ehrsson vom Karolinska-Institut in Stockholm verstärkte in seinen Experimenten die Illusion, indem er begann, das Videoabbild der Probanden mit einem Hammer zu schlagen. Die Versuchsteilnehmer reagierten auf die virtuelle Attacke mit einer messbaren körperlichen Stressreaktion, berichtet Ehrsson.

Für die Selbstwahrnehmung sei besonders wichtig, was die Augen sehen, folgert Ehrsson. "Der visuelle Reiz dominiert den gefühlten Reiz", sagt Blanke. Das Gehirn gibt demnach optischen Sinneseindrücken mehr Gewicht als etwa Tastreizen oder akustischen Signalen.

Das kenne jeder, der schon einmal im Zug darauf gewartet hat, dass die Reise endlich losgeht, sagt Metzinger. Wenn das Auge draußen eine Bewegung wahrnimmt, meint man schon, das Anfahren körperlich zu spüren. Bis man merkt, dass doch nur der Zug am Nachbargleis abgefahren ist.

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass das Gehirn auch eine Gummihand als die eigene empfinden kann, wenn sie anstelle der realen vor einem Probanden auf einem Tisch liegt. Streicht man synchron sowohl über die Finger der echten als auch der unechten Hand, bekommt man bald den Eindruck, dass die eigene Hand auf dem Tisch liegt. Auch beginnt die verborgene Hand zu schwitzen, wenn der Gummihand ein Finger verbogen wird.

Durch die Videotechnik sei es möglich, diese verschobene Selbstwahrnehmung für den gesamten Körper zu erzeugen, sagen Blanke und Metzinger. Sie bezweifeln nicht, dass sich durch die Techniken der virtuellen Realität außerkörperliche Empfindungen weiter verstärken lassen. Dabei simuliert der Computer eine künstliche Umgebung, in der sich der Benutzer bewegt.

Die Forscher wollen nun untersuchen, was im Gehirn von Menschen mit einer technisch veränderten Selbstwahrnehmung vor sich geht und verstehen, wie sich das Gehirn ein Konzept vom eigenen Ich konstruiert. Sie vermuten, dass die Sinneswahrnehmungen vielleicht eine einfache Art des Selbst-Bewusstseins bilden.

© SZ vom 24.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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