Olfaktorische Forschung:Explosion der Düfte

Lesezeit: 2 min

Rund 270 Bestandteile wirken im Rosenduft zusammen (Foto: iStockphoto)

Die menschliche Nase kann weit mehr Düfte auseinanderhalten als gedacht. Deutlich schwieriger wird es jedoch, sie richtig zu beschreiben.

Von Katrin Blawat

Wer Jahai spricht, ist erst einmal fein heraus. Zumindest muss er nicht passen, wird er zum Beispiel nach einem Begriff für jene Geruchskomponente gefragt, die typisch ist für Benzin, Fledermauskot und das Holz von Mangobäumen. "Cŋes" würde ein Kenner des Jahai antworten. Diese Sprache einer nomadisch lebenden Jäger- und Sammlergruppe in Malaysia kennt als eine der wenigen eigene Begriffe für Gerüche. Das Deutsche und die meisten anderen Sprachen hingegen müssen sich mit Vergleichen wie "blumig" oder "faulig" behelfen.

Auch deshalb fällt es vielen Menschen in Blindtests extrem schwer, selbst alltägliche Duftnoten wie die von Schokolade oder Kaffee zu benennen: In etwa der Hälfte der Fälle liegen sie dabei falsch. "Wenn jemand ähnliche Ergebnisse für optisch dargebotene Gegenstände lieferte, würde man ihn zum Arzt schicken", schreiben die Psycholinguisten Asifa Majid und Niclas Burenhult in der Fachzeitschrift Cognition.

In einem Rosenduft wirken 270 Bestandteile

Doch ehe nun Neid auf die gut 1000 Kenner des Jahai aufkommt: Dazu besteht kein Grund. Sie mögen sich problemlos über den Geruch von Fledermauskot und Mangobäumen austauschen - doch was bedeutet das schon angesichts der schier unvorstellbaren Fülle an Gerüchen, die der Mensch unterscheiden kann? Darin nämlich liegt eines der bislang verkannten Talente des Homo sapiens, zeigt nun eine Studie im Fachmagazin Science. Ihr zufolge kann der durchschnittlich riechbegabte Mensch unerwartet viele verschiedene Duftnoten auseinanderhalten. Bisher galten lediglich 10 000 unterschiedliche Varianten als die Grenze der Unterscheidbarkeit. Laut den Forschern um Andreas Keller von der Rockefeller University dürfte die Zahl jedoch um einige Zehnerpotenzen höher liegen. Was macht es da noch, wenn man nicht einmal 100 Geruchsnoten eindeutig benennen kann?

Als Grundlage für die neue Schätzung dienten Experimente, in denen Probanden verschieden kombinierte Mischungen aus bis zu 30 Einzeldüften auseinanderhalten sollten. Verglichen mit natürlicherweise vorkommenden Gerüchen sind solche Mixturen noch sehr simpel - der typische Rosenduft etwa entsteht immerhin durch das Zusammenspiel von mehr als 270 Bestandteilen. Mischt man exakt die gleichen Komponenten in einem anderen Verhältnis, hat das Ergebnis so gut wie nichts mehr mit Rosenduft zu tun. Im Durchschnitt, so schreiben Keller und seine Kollegen, konnten ihre Probanden Mischungen differenzieren, sobald sich diese in etwa der Hälfte ihrer Bestandteile unterschieden. Zudem lassen sich ja nicht nur Gerüche verschiedener Qualitäten auseinanderhalten, sondern auch unterschiedlicher Intensitäten.

Offenbar verfügt der Mensch also über eine olfaktorische Begabung, derer er sich kaum bewusst ist - und die er so gering schätzt, dass er in den meisten Kulturen nicht einmal eigene Wörter zur Beschreibung von Düften eingeführt hat. Den Preis dafür zahlt zum Beispiel Patrick Süskinds Protagonist Grenouille. Einen Vergleich nach dem anderen muss er bemühen, um die Düfte seiner Opfer zu beschreiben. Hätte Süskind auf Jahai geschrieben, wäre "Das Parfum" wohl dünner ausgefallen.

© SZ vom 21.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: