Mint-Fächer im Fokus:Die Talentspäher

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Unternehmen suchen den Kontakt zum Nachwuchs bereits an den Schulen. Vor allem interessieren sie naturwissenschaftlich Begabte.

Von Christine Demmer

Ein "Weltmarktführer-Forum" veranstaltete die Stiftung Louisenlund dieses Jahr im schleswig-holsteinischen Güby: Dort trafen mehr als ein Dutzend Führungskräfte von international führenden Unternehmen aus dem nördlichsten Bundesland, sogenannte Hidden Champions, auf etwa 250 Schülerinnen und Schüler im Alter von etwa zehn bis 19 Jahren. Sie erhalten an der Internatsschule Louisenlund besonders intensiven Unterricht in den Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Und könnten deshalb, so das Kalkül der Beobachter aus der Wirtschaft, eines Tages hochwillkommene Mitarbeiter sein.

Die Unternehmensvertreter zeigten sich sehr angetan von der Begegnung mit den jugendlichen Nachwuchstalenten. "Die Schüler haben auf uns sehr interessiert gewirkt", sagt Britta Blömke, Geschäftsführerin der Softwareschmiede FLS in Heikendorf. Sie setzt noch ein Extralob obendrauf: "In dieser Detailtiefe haben wir das nicht erwartet." Ebenso begeistert äußert sich Frederike Yilmaz von der Punker GmbH in Eckernförde, die Ventilatorlaufräder und andere lufttechnische Produkte herstellt: "Wir erlebten aufgeweckte, neugierige junge Menschen, die an ihrer Umwelt und an dem, was vor ihrer Haustür passiert, interessiert sind." Nicht alle hätten schon genau gewusst, welchen Beruf sie später ergreifen wollten. "Das ist auch in Ordnung", drückt Yilmaz ihr Verständnis für die Zehn- bis Zwölfjährigen aus. "Sie müssen probieren und lernen." Mit Messen wie dieser in Louisenlund, aber auch mit Praktika und Bewerbungstrainings könnten Unternehmen jenen jungen Menschen einen Marktplatz zum Ausprobieren und Reifen bieten: "Mit dem Ziel der sozialen Verantwortung, aber auch mit dem Ziel der Sicherung des späteren Fachkräftebedarfs."

Gerade erfolgreiche, nicht sehr bekannte Firmen zieht es in die Internate

Von der frühzeitigen Kontaktaufnahme mit den Schülerinnen und Schülern erhoffen sich die norddeutschen Firmen, einen Wettbewerbsnachteil auf dem Arbeitsmarkt ausgleichen zu können. Denn den Kindern und Jugendlichen sind die kleinen Erfolgsunternehmen vom nördlichsten Zipfel Deutschlands längst nicht so bekannt wie Konzerne, auf deren Erzeugnissen sie herumtippen und die sie am Körper tragen. "Viele kennen unser Unternehmen nicht", klagt Marketingfrau Frederike Yilmaz, "weil wir nicht an Endverbraucher verkaufen. Dennoch sind unsere Produkte aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken - weder aus der Waschmaschine und aus der Dunstabzugshaube noch aus dem Gasbrenner in der Heizungsanlage oder aus dem Bahnverkehr." Es sei schade, dass man so im Verborgenen bleibe. "Das wollen wir ändern", sagt Yilmaz entschlossen.

Der Weg zum Nachwuchs ist für die Unternehmen förmlich im Schultafel-Format ausgeschildert. Manche bleiben in Kontakt mit begabten jungen Leuten, die sie bei einer Veranstaltung kennengelernt haben, bis die Zeit reif ist für ein Praktikum oder sogar für einen Arbeitsvertrag. Konzerne sowie Mittelständler treten gern an Schulen heran und bieten ihre Unterstützung an. Ob in Form von kostenlosen Lehrmaterialien, zum Beispiel von Google und vom Institut der Deutschen Wirtschaft, oder Bewerbungstrainings, beispielsweise durchgeführt von den im "Goinger Kreis" zusammengeschlossenen Unternehmen, oder in Form von Schulpartnerschaften oder Vorträgen zu wirtschaftsnahen Themen - Ansatzpunkte gibt es genug, zumal da die Schulen von vielen Seiten aufgefordert werden, Jungen und Mädchen frühzeitig mit dem Arbeits- und Berufslebens vertraut zu machen.

Die Aktivitäten der Firmen sehen einige kritisch

Und es stimmt ja wirklich: Ein Chemiker aus der Forschungsabteilung eines Lebensmittelkonzerns hat in der Regel Spannenderes zu erzählen als der Fachlehrer, der die Praxis nur aus der Ferne kennt. Darf man, muss man dabei an der guten Absicht der Wirtschaft zweifeln? Marianne Demmer, gelernte Lehrerin und bis 2013 stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), steht den Absichten der Firmen kritisch gegenüber und meint: "Es hat zumindest ein G'schmäckle." Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Kammern und das Institut der Deutschen Wirtschaft hätten größtes Interesse, in die Schulen hineinzukommen, sagt sie, vor allem auch, um Einfluss auf Lehrpläne und Unterrichtsinhalte zu bekommen. Das wollen die Pädagogen verständlicherweise nicht. Aber auf Mangelberufe aufmerksam zu machen, in denen viele Arbeitsplätze warten: Das ist doch statthaft? "Für eine langfristige Planung taugt das nicht. Ebenso wie die Politik denkt die Wirtschaft in kurzfristigen Zyklen von vielleicht fünf Jahren", wendet Marianne Demmer ein. Pädagogen gingen anders vor und fragten sich: "Was könnte in 20 Jahren das Interesse von Wirtschaft und Gesellschaft sein? Und wie versetzen wir die jungen Menschen in die Lage, diese Entwicklungen zu erkennen und sich darauf vorzubereiten?"

Manche Schüler brauchen keine Anstupser, damit sie sich für bestimmte Firmen interessieren. Von einem echten Aha-Erlebnis auf dem "Weltmarktführer-Forum" berichtet Farina Krancher vom Elektronikhersteller Timm aus Glinde: "Zwei Schüler sind mir ganz besonders im Gedächtnis geblieben", erzählt sie. "Ein junger Schüler, der sich ganz interessiert mit unserem Gerät vor Ort auseinandergesetzt hat, mich mit technischen Fragen gelöchert und auch gleich Ideen zur Produktverbesserung eingebracht hat." Mit einem anderen Schüler hatte sie ein intensives Gespräch über die Vorteile von Mittelständlern gegenüber Konzernen und über die unterschiedliche Auslegung des Begriffs Karriere. Für sich hat sie daraus mitgenommen: "Die Schüler wollen verstehen, was die Firmen machen, und einen Mehrwert für sich hinter der Unternehmenstätigkeit sehen." Bis sie erwachsen sind, wird sich das gewiss nicht geändert haben.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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