Medizinische Missverständnisse:Gefährliches Ärzte-Latein

Lesezeit: 2 min

Hyper- oder Hypoglykämie? Mediziner sollten sich um eine verständlichere Sprache bemühen. Denn falsch verstandene Fachbegriffe bringen Patienten in Gefahr.

Werner Bartens

Früher haben die Ärzte Latein und Griechisch gesprochen, heute sprechen sie Fachchinesisch oder Englisch. Wichtiger wäre es allerdings, dass sie die Sprache der Patienten benutzen. Begriffe zu wählen, die auch von den Kranken verstanden werden, ist nicht nur für eine gelungene Kommunikation wichtig. Es kann auch lebensrettend sein.

Ärzte sollten die Sprache der Patienten benutzen. (Foto: Foto: Robert Haas)

Melinda Lyons von der Universität Cambridge beschreibt im Fachmagazin Lancet vom heutigen Freitag, wie medizinische Fachterminologie Patienten in Gefahr bringen kann (Bd.371, S.1321, 2008).

Im Luftverkehr habe man sich längst um Termini bemüht, die kaum verwechselt werden können. So seien statt der ähnlich klingenden Buchstaben S und F die Begriffe Sierra und Foxtrott eingeführt worden. "Das medizinische Ausbildungssystem leidet darunter, immer mehr in kürzerer Zeit ausdrücken zu wollen", sagt Lyons. "Der medizinische Jargon wird aber nicht vereinfacht."

Besonders gefährlich seien ähnlich klingende Präfixe. Hyper- und Hypoglykämie würden sich fast gleich anhören, aber das Gegenteil - Über- und Unterzuckerung - bedeuten. Das gleiche gilt für Hyper- und Hypotonie, hohen und niedrigen Blutdruck. Auch Wortbildungen mit inter (dazwischen) oder intra (innerhalb), ante (davor) oder anti (dagegen), super (oberhalb) oder sub (unterhalb) sind in der Medizin häufig.

"Gerade in hektischer, lauter Umgebung können die Begriffe von Ärzten wie Patienten falsch verstanden werden und zu folgenschweren Behandlungsfehlern führen", sagt Lyons. Ein weiteres Risiko seien gleiche Abkürzungen in unterschiedlichen Disziplinen - TOF steht für den Herzfehler Tetralogie of Fallot wie für die Tracheo-Oesophageale Fistel, eine Verbindung von Luft- und Speiseröhre.

Gefährliche Verwechslungen

Das Institute for Safe Medication Practices nahe Philadelphia hat eine engbedruckte achtseitige Liste mit Medikamentennamen zusammengestellt, die leicht zu verwechseln sind. Die Dunkelziffer ist jedoch vermutlich weitaus höher. "Das sind nur die Namen der Mittel, deren Verwechslung bereits zu Behandlungsfehlern geführt hat", schreiben die Mediziner.

Eine andere Liste mit Abkürzungen und Dosierungen, die häufig Verwirrung stiften, ist zwei Seiten lang. Sie sollten "niemals" in der medizinischen Kommunikation benutzt werden, warnen die Mediziner. "Denn diese Begriffe wurden oft verwechselt und haben nachweislich zu schweren Fehlern geführt."

Das Kürzel IU steht auch im deutschen Medizingebrauch als Maß hinter vielen Arzneimitteln und bedeutet "International Unit". Immer wieder wurde es in handschriftlichen Verordnungen als "IV" (intravenös) oder gar als die Zahl 10 fehlgedeutet. "IN" (intranasal) wurde als "IM" (intramuskulär) gelesen oder verstanden und das Präparat von Pflegenden oder Ärzten falsch verabreicht. In der Wendung "per os" (über den Mund) wurde das "os" gelegentlich nicht als Mund, sondern linkes Auge (oculus sinister) falsch interpretiert.

Die Abkürzung "OD" steht für "once daily" - einmal täglich -, wurde aber schon als rechtes Auge (oculus dexter) missverstanden.

Anstatt die Gefahren zu sehen, sind einige Ärzte stolz darauf, mit ihrer Terminologie eine Art Geheimsprache zu beherrschen, die von vielen Patienten nicht verstanden wird. "Bei intravenös bin ich extranervös", ist ein harmloses Wortspiel. Manchmal werden aber auch größte Gemeinheiten in Fachbegriffen verklausuliert. "Äthylismus" und "C-2-Abusus" stehen für Alkoholmissbrauch.

"C.p." ist vom Lateinischen caput piger abgeleitet und bedeutet fauler Kopf, Drückeberger. "O.S." ist die Abkürzung für Oralsau - soll heißen, dass es der Patient mit der Mundhygiene nicht so genau nimmt.

Wenn Ärzte "externes Pigment" erwähnen, bei dem eine "Balneotherapie" angeraten sei, heißt das schlicht, der Patient ist dreckig und sollte mal wieder baden.

© SZ vom 18.04.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: