Medizin:Die Wechseljahre des Mannes sind ein Mythos

Nachlassende Leistungsfähigkeit und Potenz bei älteren Männern liegt nicht am Testosteronmangel. Der unkritische Einsatz des Hormons birgt deshalb Risiken.

Werner Bartens

Kurt Tucholsky kannte die Männer gut. Seinen Geschlechtsgenossen stellte er die Diagnose: "Wenn ein Mann weiß, dass die Epoche seiner stärksten Potenz nicht die ausschlaggebendste der Weltgeschichte ist - das ist schon sehr viel."

Mann - Wechseljahre

Mann - Wechseljahre

(Foto: iStockphoto)

Weil es viele Männer aber nicht ertragen, dass mit den Jahren nicht nur die Potenz schwindet, sondern auch andere Kräfte nachlassen, suchen sie ärztliche Hilfe. Medizin und Pharmaindustrie haben darauf schon vor Jahren reagiert und die Wechseljahre für den Mann erfunden. Das ist zwar ziemlicher Unfug, aber die Nachfrage war geweckt.

Mit dem Slogan "Adam hat Padam" und anderen PR-Strategien sollte der vermeintlichen Krankheit ein wissenschaftlicher Anstrich gegeben werden - Padam steht für partielles Androgendefizit des Mannes, vulgo: Testosteronmangel. Andrologen, wie Männerärzte auch genannt werden, erließen Richtlinien, in denen eine Testosterontherapie bei erniedrigten Werten empfohlen wurde.

Wissenschaftlich belegt war das nicht. Dennoch bestimmten Ärzte Hormonspiegel und verordneten teure "Aufbaupräparate" mit Testosteron. Allein in den USA sind solche Verschreibungen in den vergangenen zehn Jahren um 400 Prozent gestiegen.

Nun räumt eine Studie im wohl angesehensten medizinischen Fachblatt mit dem Mythos von den Wechseljahren des Mannes auf. Im New England Journal of Medicine (online) vom heutigen Donnerstag beschreiben Hormonexperten und Epidemiologen, dass Antriebsschwäche, nachlassende Leistungskraft, Erektionsstörungen und viele andere Beschwerden alternder Männer nicht oder nur minimal mit dem Testosteronspiegel zusammenhängen.

"Viele angeblich typischen Symptome gingen nicht mit niedrigeren Testosteron-Werten einher", sagt Frederick Wu von der Universität Manchester, der die Studie geleitet hat.

Die Forscher hatten mehr als 3300 Männer in acht europäischen Ländern untersucht. Die Herren waren zwischen 40 und 79 Jahre alt und gaben unter anderem Auskunft über 32 mögliche Beschwerden, die immer wieder ursächlich auf niedrige Testosteron-Werte zurückgeführt werden.

Neben Erektionsproblemen sind auch psychische und physische Beschwerden wie Antriebsschwäche, Stimmungstiefs, Mangel an Energie und schnelle Erschöpfung darunter.

In der aktuellen Studie zeigte sich allerdings, dass die oft als Beleg für einen Hormonmangel angeführten Symptome kaum etwas mit dem Hormon-Spiegel zu tun haben. Lediglich drei Symptome gingen mit etwas erniedrigten Testosteron-Werten einher - seltene morgendliche Erektionen, seltene sexuelle Fantasien und Erektionsstörungen.

"Aber auch hier war der Unterschied zwischen beschwerdefreien Männern und Männern mit Beschwerden minimal", sagt Wu. Erektionsstörungen kamen beispielsweise auch häufiger bei Männern mit erhöhten Testosteron-Werten vor.

Nicht nur Laborwerte zählen

"Die Laborfixierung der Medizin ist ein modernes Übel und eine große Katastrophe", sagt Martin Reincke, Hormonexperte und Chefarzt an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Klinische Symptome und Laborwerte zusammen machen die Diagnose - und nicht Laborwerte alleine."

Eine Unterfunktion der Keimdrüsen und zugleich erniedrigte Hormonwerte konnten die Studienautoren nur bei zwei Prozent der älteren Männer feststellen, so dass von Wechseljahren, in die alle Männer irgendwann kommen, nicht die Rede sein kann.

"Der Sex-Drive des Mannes erschöpft sich nicht allein im Testosteron-Spiegel, da ist mehr dahinter", sagt Bruno Allolio, Hormonexperte an der Uniklinik Würzburg. Dem Alterungsprozess entsprechend traten bei nur 0,1 Prozent der Männer zwischen 40 und 50 Hormonmangel und Erektionsstörungen zugleich auf, bei Männern zwischen 70 und 79 Jahren waren es 5,1 Prozent. "Dazu tragen auch Übergewicht und andere Leiden bei", sagt Wu.

"Die Identitätskrise des mittelalten Mannes in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft hat zum Begriff der Wechseljahre des Mannes geführt", sagt Reincke. In Analogie zur weiblichen Menopause hätten manche Ärzte wohl eine seltsame Form der Gleichberechtigung der Männer angestrebt und "schnell wurde dann eine Beziehung zwischen den Testosteron-Werten und einer Vielzahl von Befindlichkeitsstörungen gesehen".

Die umfangreiche, neue Studie zeige aber, so Reincke, dass es sich bei den Wechseljahren des Mannes "um reine Mythenbildung" handele.

Männern, die sich schlapp fühlen, Testosteron zu geben, kann gefährlich sein. Und auch bei niedrigen Werten ist zumeist eher der normale Alterungsprozess die Ursache und nicht eine behandlungsbedürftige Krankheit. Schon länger diskutieren Ärzte mögliche negative Auswirkungen der Hormone für Herz, Prostata und Fettwerte.

"Der Nutzen einer Testosterongabe ist nicht belegt und müsste durch zuverlässige Studien erst abgesichert werden", sagt Reincke. "Der unkritische Einsatz von Testosteron birgt unkalkulierbare gesundheitliche Risiken für die Männer."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: