Medikamente für gesunde Alte:Prävention total

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Ärzte scherzen schon länger über "Gerifix", die vorbeugende Pille gegen alle Altersgebrechen. Nun wurde eine solcher Medikamentenmix erprobt. Zum Lachen sind die Ergebnisse nicht.

Werner Bartens

Für manche Ärzte ist es ein lang gehegter Wunschtraum, für andere eine Schreckensvision: die Pille für alle gegen alles. Längst scherzen Mediziner über "Gerifix" und "Gerifix-forte" - fiktive Allheilmittel, die nach dem Gießkannenprinzip älteren Menschen vorbeugend gegen alle drohenden Gebrechen gegeben werden.

Pillen gegen alle erdenkglichen Alterserscheinungen - das ist nicht jedermanns Sache. (Foto: Foto: iStock)

Ärzte um Salim Yusuf von der McMaster Universität im kanadischen Hamilton haben die Auswirkungen einer solchen "Polypill" genauer untersucht. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Lancet (online) zeigen sie, dass eine Wirkstoffkombination aus Blutdrucksenkern, Aspirin und Fettsenkern das Herzkreislaufrisiko bei indischen Probanden senken konnte.

Die Forscher teilten 2000 Menschen im Alter zwischen 45 und 80 Jahren in verschiedene Gruppen ein. Ein Teil bekam den kompletten Medikamentenmix, andere Teilnehmer erhielten nur einzelne Präparate oder gar ein Scheinmedikament.

Bei jenen Probanden, die die Polypill erhielten, wurden der Blutdruck, die Cholesterinkonzentration, die Gerinnungsneigung im Blut und die Herzschlagrate am effektivsten gesenkt. "Mit dieser Medikamentenmischung können auf einfache Weise verschiedene Risikofaktoren gesenkt werden", sagt Salim Yusuf. Besonders Herzinfarkt und Schlaganfall wurden durch den Arzneicocktail weniger wahrscheinlich.

In einem Kommentar für den Lancet befürwortet Harvard-Mediziner Christopher Cannon zwar die Möglichkeit, eine Polypill als preiswertes Mittel in ärmeren Ländern einzusetzen. Er befürchtet jedoch - wie viele Kritiker - "dass die Zauberkugel für die Vorsorge" die Menschen von einem vernünftigen Lebensstil abbringt.

Gegenteil einer individualisierten Medizin

"Sport und gesundes Essen senken erwiesenermaßen den Blutdruck", sagt Mike Rich von der britischen Vereinigung gegen Bluthochdruck. "Es besteht die Gefahr, dass diese Faktoren vernachlässigt werden, wenn man einfach eine Tablette schlucken kann."

Ideen für einen Wirkstoffmix gegen Herzinfarkt und andere Zivilisationsleiden in einer Tablette gab es in der Vergangenheit immer wieder. "Was rechnerisch richtig ist, muss im Leben nicht stimmig sein", sagt Martin Reincke, Chef der Inneren Medizin am Klinikum Innenstadt der LMU München.

"Mir sträuben sich die Haare, denn Statine nach dem Schrotschussprinzip zu verteilen, wäre das Ende aller anderen Präventionsbemühungen und das Gegenteil einer individualisierten Medizin."

Auch wenn Statine nützliche Medikamente seien, würden mit solchen Ansätzen ganze Bevölkerungsgruppen für krank erklärt. Das natürliche Gefühl dafür, ob man sich gesund oder krank fühlt, ginge verloren, weil die Pille für jede Lebenslage angeblich vor allen Leiden schützt.

"Man muss außerdem fragen, welche Nebenwirkungen eine solche Therapie hat und wie verträglich sie im Alltag ist", sagt Reincke. Bekanntermaßen erhöht sich das Risiko für Nebenwirkungen, wenn Arzneimittel miteinander kombiniert werden.

Das Problem der überflüssigen Versorgung ist ebenfalls noch nicht gelöst: "Was ist mit denen, die keinen Nutzen von der Behandlung haben?", warnt der britische Arzneimittelexperte Mark Powlson.

© SZ vom 01.04.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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