Lärm:Fluglärm - gefährlicher als angenommen

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Selbst die angefeindeten Vorschläge des Bundesumweltministers für schärfere Grenzwerte halten Mediziner für unzureichend.

Markus Schulte von Drach

(SZ vom 26.06.2001) - Es hätte auch ganz anders kommen können; Konsens war dem Treffen nicht eben vorausbestimmt. Angesichts des heiklen Themas hatte wohl der eine oder andere Experte befürchtet, dass es nicht ohne heftigen Streit ausgehen würde. Immerhin diskutierten die Fachleute über Fluglärm und darüber, wie sich seine Wirkung auf den Körper messen lässt.

Fluglärm gehört zu den besonders unangenehmen Geräuschen, vor allem bei Nacht. (Foto: N/A)

Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten

Rund zwanzig Lärmfachleute trafen sich auf Einladung der Medizinergruppe Ärzte für vorbeugende Umweltmedizin in Neufahrn bei München. Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihnen sogar, ein Papier von möglicherweise großer Tragweite zu formulieren, das von den meisten Experten unterschrieben wurde. Die wichtigste Aussage: "Bei Fluglärmbelastungen von 60 Dezibel (A) tags und 50 Dezibel (A) nachts sind aus präventivmedizinischer Sicht Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten."

Bisher umstritten

Brisant ist diese Aussage, weil sie Erkenntnisse des Umweltbundesamtes (UBA) bestätigt, die bisher umstritten waren. Dessen Empfehlungen für Grenzwerte unter 60 beziehungsweise 50 Dezibel (A) liegen aber nicht nur weit unter den bislang gültigen Dauer-Schallpegeln von 75 Dezibel (A) tags und 65 Dezibel (A) nachts. Diese Limits liegen sogar um jeweils fünf Dezibel unter den Pegeln, die Bundesumweltminister Jürgen Trittin in ein neues Fluglärmgesetz schreiben möchte. Lediglich in speziellen Nachtruhezonen, so hat der Grünen-Politiker vorgeschlagen, dürften Dauer-Schallpegel von 50 Dezibel nicht überschritten werden.

Was Dezibel aussagen

Der so genannte Dauer-Schallpegel als mittlere Geräuschbelastung außerhalb von Wohnräumen wird mit einer logarithmischen Skala erfasst: Zehn Dezibel mehr bedeuten eine Verzehnfachung der Schallenergie, drei Dezibel eine Verdoppelung. Das "A" zeigt an, dass Frequenzen, die das menschliche Ohr besonders belasten, stärker gewichtet werden. Der vorgeschlagene Tages-Wert von 60 Dezibel (A) entspricht darum etwa der Geräuschentwicklung einer Hauptverkehrsstraße nachts. 50 Dezibel (A) dagegen werden wegen der zeitlichen Mittlung schon erreicht, wenn über ein Haus 50-mal pro Nacht ein Flugzeug mit 63 Dezibel (A) Lärm fliegt. Bei einer Überschreitung dieser Belastung hätten die Bewohner ohne ausreichenden Schutz, so die Mehrheit der Lärmexperten, auf Dauer mit gesundheitlichen Schäden zu rechnen.

Schallschutz kostet Milliarden

Mit seinen Vorschlägen hat Trittin eine heftige Diskussion ausgelöst. Während Flughafenanwohner die Änderungen für ungenügend halten, fürchten Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften um Arbeitsplätze. Und das Bundesverkehrsministerium sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Würden Grenzwerte, wie sie das UBA vorschlägt, als Limits für den Fluglärm verankert, so kämen auf Flughäfen und Fluglinien nach Schätzungen Kosten von zwei bis drei Milliarden Mark zu; vor allem für Lärmschutzmaßnahmen.

Doch darum ging es den Experten in Neufahrn nicht. "Wir wollten rein wissenschaftlich diskutieren, was über die gesundheitlichen Folgen besonders des nächtlichen Lärms bekannt ist", sagt Karl-Hermann Bartels, Vorsitzender der Medizinergruppe. Daher wurde auf der Veranstaltung keine Kritik am Gesetzentwurf geäußert.

Eine Minderheit der Fachleute war mit dem Neufahrner Text jedoch nicht einverstanden. Denn gesundheitliche Folgen von Lärm unterhalb der Lautstärke von 95 Dezibel, die zu Hörschäden führt, lassen sich bislang wissenschaftlich kaum nachweisen.

Störungen während der Nacht

Aus diesem Grund beziehen sich Gutachter bei der Beurteilung von Nachtfluglärm bis heute auf Forschungsarbeiten von Gerd Jansen, Universität Düsseldorf, und Barbara Griefahn von der Universität Dortmund. Die Mediziner hatten in den 60er und 70er Jahren am Fingerpuls gemessen, wie Schlafende auf Lärm reagieren. Dabei waren sie zu dem Schluss gekommen, dass Einzelgeräusche außerhalb des Wohnraums bei einer Lautstärke über durchschnittlich 75 Dezibel (A) Schläfer aufwecken können. Eine Gesundheitsbeeinträchtigung sei jedoch erst zu erwarten, wenn mehr als sechs solcher Ereignisse pro Nacht vorkommen. Deshalb orientiert sich etwa der Flughafen München an Jansens Empfehlung von 1999, pro Nacht nicht mehr als sechs Flüge zuzulassen, die Lärm von mehr 70 Dezibel (A) außerhalb von Wohnräumen erzeugen.

Körper reagiert ohne aufzuwachen

Viele Wissenschaftler betrachten Jansens "Aufwachkriterium" jedoch als überholt. "Unser Körper reagiert auf Lärm schon lange bevor wir aufwachen", sagte etwa Hartmut Ising, bis vor kurzem Direktor des Instituts für Wasser-, Boden- und Lufthygiene im Umweltbundesamt. So steigen die Werte des Stresshormons Cortisol bei lauten Geräuschen auch dann, wenn man weiter schläft. Darüber hinaus kann Lärm so genannte Arousals auslösen: unbewusste Wachperioden von ein bis dreißig Sekunden Dauer. "Treten zu viele Arousals auf, wird der normale Schlaf-Rhythmus zerstört", sagte Christian Maschke von der Technischen Universität Berlin. "Am nächsten Tag leidet der Betroffene unter Müdigkeit und Leistungsschwäche."

Verarbeitung von Reizen im Unterbewußten

Manfred Spreng von der Universität Erlangen überrascht das nicht. "Wir verarbeiten viel mehr Reize unterbewusst, als wir meinen", berichtete der Physiologe in Neufahrn. "Unser Gehör schläft nie." Es weckt den Schläfer aber nur selektiv: Schließlich dürfte es für unsere Vorfahren ein großer Überlebensvorteil gewesen sein, wenn sie von den Geräuschen eines Raubtiers aufwachten, nicht aber vom Schnarchen der Mitmenschen.

Herzinfarktrisiko um 20 Prozent erhöht

Viele Experten fürchten darum, dass die nächtliche Belastung langfristig ein Risiko etwa für Herz und Kreislauf darstellt - ähnlich wie Stress während des Tages. Darauf deutet auch eine Reihe von Studien des Umweltbundesamtes zum Straßenlärm hin. Wie Wolfgang Babisch von Umweltbundesamt mitteilte, scheint das Herzinfarktrisiko bei Menschen, die an Straßen mit einem Tagespegel von 65 bis 70 Dezibel wohnen, um 20 Prozent erhöht. Zwar sind die Beobachtungen statistisch nicht signifikant, da die Zahl der untersuchten Personen zu klein ist. Für die Wissenschaftler des UBA ist schon der Trend ein Argument, niedrigere Grenzwerte zu fordern.

Auf der Suche nach harten Daten

Anderer Meinung ist jedoch Klaus Scheuch von der Universität Dresden. Die Forschung habe bislang noch keine handfesten Belege für die Forderung seiner Kollegen. Bevor neue Grenzwerte festgelegt werden könnten, müssten die Konsequenzen der nächtlichen Veränderungen aufgedeckt werden, erklärte der Arbeitsmediziner. So ist unklar, ob erhöhte nächtliche Cortisol-Spiegel wirklich eine gesundheitliche Relevanz haben. Auch Gerd Jansen vermisst in den neueren Studien jene "harten Fakten", die andere Grenzwerte als seine eigenen rechtfertigten.

Doch Jansens einflussreiche Daten sind möglicherweise selbst nicht ganz so hart wie bislang angenommen. Rainer Guski, Psychologe von der Universität Bochum, hat die Messwerte, auf deren Grundlage der Düsseldorfer Mediziner seinerzeit sein Aufwachkriterium berechnet hatte, mit einer statistischen Methode überprüft, die Jansen damals noch nicht zur Verfügung stand. Guski zu Folge liegt die Aufwachschwelle nun etwa zehn Dezibel unterhalb der von Jansen. Wird der Einwand des Bochumer Forschers bestätigt, so würde ein Schläfer schon bei erheblich leiseren Geräuschen geweckt, als der Düsseldorfer Experte es bislang voraussetzt.

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