Künstliches Blut:Lebenssaft aus dem Labor

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Im Brutschrank gezüchtete Erythrozyten könnten Blutspenden in Zukunft überflüssig machen.

Von Birgit Will

Tinte gibt's im Kaufhaus. Blut nicht. Mit dieser simplen Wahrheit versucht das Deutsche Rote Kreuz, Spender zu motivieren. Mindestens 11000-mal am Tag muss in Deutschland je ein halber Liter Blut in die Plastikbeutel rinnen, um den Bedarf zu decken. Viele Forscher wollen sich damit nicht abfinden, denn Blut wird mitunter nicht nur knapp, die lebensrettende Transfusion ist auch mit vielen Problemen behaftet, etwa der Übertragung von Krankheiten.

Blutkonserven beim Deutschen Roten Kreuz (Foto: Foto: ddp)

Mit den unterschiedlichsten Methoden versucht man daher schon seit langem, menschliches Blut auf künstlichem Weg zu erzeugen oder zu ersetzen. Einen großen Schritt vorangekommen sind jetzt Wissenschaftler von der Universität in Paris: Ihnen ist es gelungen, rote Blutkörperchen in großer Menge in Kultur wachsen zu lassen, ein Verfahren, das schon in naher Zukunft die Praxis des Blutspendens verändern könnte (1).

Die Natur als Vorbild

Das zugrunde liegende Prinzip ist von der Natur abgeschaut. Jeder Mensch produziert Tag für Tag mehr als 200 Milliarden rote Blutzellen in seinem Knochenmark. Ihre Aufgabe ist es, Sauerstoff im Blut zu transportieren.

Unter dem Einfluss des Wachstumsfaktors EPO vermehren sich im Knochenmark die noch unspezialisierten Stammzellen. Im Verlauf von mehreren Teilungen werden die Zellen immer kleiner, lagern den roten Blutfarbstoff Hämoglobin ein, verlieren schließlich den Zellkern und damit ihre Teilungsfähigkeit. Am Ende sind die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) nur mehr einen Hundertstelmillimeter groß. Im Blutstrom haben sie eine Lebensdauer von etwa drei Monaten.

Ganz ähnlich verlief der Prozess auch in den französischen Labors. Die Forscher nahmen Stammzellen unterschiedlicher Herkunft und gaben in das Nährmedium, in dem sie wachsen sollten, EPO und andere Wachstumsfaktoren. In einem zweiten Schritt bekamen die Vorläuferzellen einen anderen Zelltyp zur Gesellschaft, wie er auch im Knochenmark vorkommt.

Diese so genannten Stromazellen schaffen die geeignete Mikro-Umgebung; der direkte Kontakt mit ihnen ist entscheidend für die Entwicklung der Erythrozyten. Nach 18 Tagen erhielten die Forscher voll funktionsfähige rote Blutkörperchen: Sie können Sauerstoff aufnehmen und abgeben, und sie können sich durch Verformung auch in die winzigsten Kapillaren quetschen. Injiziert in Mäuse hatten die Blutzellen aus der Retorte eine normale Lebensspanne.

Erfreulich war auch die Ausbeute: Aus einer Stammzelle entstanden zwei Millionen Blutzellen. Das Ausgangsmaterial findet man im Knochenmark, in Embryonen und in den Nabelschnüren Neugeborener; Stammzellen lassen sich mit einem besonderen Verfahren aber auch aus dem Blut erwachsener Menschen gewinnen.

Aus einer einzigen solchen Spende könnte man mit dem Pariser Verfahren rote Blutkörperchen für vierzig Konserven à 250 Milliliter gewinnen. "Das entspricht den Anforderungen der klinischen Praxis", so Studienleiter Luc Douay. "Jetzt geht es darum, ein technisches Verfahren zur Massenproduktion zu entwickeln. Das sollte nicht mehr als zwei bis drei Jahre dauern."

Erhard Seifried, ärztlicher Direktor des Blutspendedienstes vom Deutschen Roten Kreuz in Baden-Württemberg-Hessen, hält das Verfahren für "absolut wegweisend" und kann sich einen routinemäßigen Einsatz innerhalb von fünf bis zehn Jahren vorstellen. "Ein sehr bedeutsames Ergebnis", urteilt auch Holger Hackstein vom Institut für Klinische Immunologie und Transfusionsmedizin in Gießen. Zwar ist die Versorgung mit Blutkonserven in der Regel gesichert, doch kommt es immer wieder situationsbedingt zu Engpässen - denn Blutkonserven lassen sich maximal 42 Tage aufbewahren.

Die entscheidende Frage besteht für Hackstein darin, in welcher Menge und zu welchem Preis sich die Blutzellen kultivieren lassen. Ein Viertelliter Blut kostet derzeit um die 77 Euro - der hohe Preis entsteht durch die nötigen strengen Qualitätskontrollen.

Mit dem Blut aus der Retorte könnte man aber auch das zwar geringe, aber immer noch bestehende Risiko einer Infektion durch Bluttransfusionen weiter vermindern. Ein weiterer Vorteil könnte in der immunologischen Verträglichkeit liegen, denn auch bei gleicher Blutgruppe ist fremdes Blut nicht in jedem Fall bekömmlich. "Chronisch kranke Patienten, die häufig Blutspenden erhalten, bilden manchmal Antikörper gegen die fremden Zellen aus.

Bei Problempatienten mit besonders vielen Antikörpern wird es schwierig, noch geeignetes Blut zu finden - darin könnte eine erste klinische Anwendung von Blut aus Stammzellen liegen", so Hackstein. Auch Seifried schwärmt von den künftigen Möglichkeiten: "Bei allen planbaren Transfusionen könnte man dem jeweiligen Patienten schon vorab eigenes Blut entnehmen und daraus die benötigten Blutzellen heranziehen."

Infektionen, Unverträglichkeiten, Engpässe bei seltenen Blutgruppen - viele Probleme der Bluttransfusion wären damit beseitigt. Aus den Stammzellen lassen sich zudem nicht nur rote Blutkörperchen gewinnen, in anderen Laboren versucht man herauszufinden, unter welchen Bedingungen sie sich zu den für die Blutgerinnung wichtigen Blutplättchen entwickeln.

Nicht mehr fern scheint also der Tag zu sein, an dem man Menschenblut in industriellem Maßstab wird herstellen können. Dabei unterscheidet sich das Vorgehen gänzlich von den bisherigen Versuchen, rote Blutzellen durch künstliche Produkte zu ersetzen. Am vielversprechendsten waren bislang zum einen Suspensionen mit Perfluorcarbonen.

Die synthetische Flüssigkeit kann Sauerstoff aufnehmen und ist bereits erfolgreich bei Operationen eingesetzt worden. Ein anderer Ansatz besteht in der Stabilisierung des empfindlichen Hämoglobins, dem entscheidenden Eiweißstoff der roten Blutzellen. Ein aus Rinderblut gewonnenes Hämoglobin-Präparat ist in Südafrika immerhin zugelassen.

Bei der dortigen HIV-Infektionsrate ist es besonders schwierig, genügend Blutkonserven zu erhalten. In Europa oder den Vereinigten Staaten schreckt man vor dem Kunstblut aber noch zurück: "Seit 20 Jahren stehen diese Produkte immer kurz vor dem Einsatz", so Seifried. "Doch wegen der Nebenwirkungen werden die klinischen Studien immer wieder abgebrochen." Unübertroffen ist noch immer das Naturprodukt. Konkurrenz könnte es nun durch die naturidentische Variante aus dem Bioreaktor bekommen.

(1) Nature Biotechnology, Online-Ausgabe, doi:10.1038/nbt1047

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