Krebspatienten:"Bitte, lassen Sie uns nicht länger leiden!"

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Krebskranke bekommen oft keine Schmerztherapie. In Deutschland will jeder dritte Betroffene deshalb früher sterben. Den meisten Regierungen ist das offenbar gleichgültig.

Christina Berndt

"Bitte, lassen Sie uns nicht länger leiden!" In einer Zeitungsanzeige appellierte eine Kolumbianerin vor kurzem an den Gesundheitsminister ihres Landes. Tagelang, schrieb die verzweifelte Frau, habe sie überall nach Morphin gesucht, aber keines auftreiben können. "Der Schmerz tötet mich."

Wie dieser Frau bleibt weltweit vielen Millionen Menschen der Zugang zu Schmerzmitteln verwehrt. Betroffen sind vor allem Krebs- und Aids-Patienten im Endstadium, aber auch Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen oder schweren Verletzungen. Dabei ließe sich ihr Leid in den meisten Fällen leicht und sogar billig mildern.

"Die Ursache liegt meist in der Gleichgültigkeit der Regierungen", stellt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem aktuellen Bericht fest. Dabei fordere das Völkerrecht schon seit 50 Jahren, den Menschen einen Zugang zu Schmerzmitteln zu ermöglichen.

Gerade die stärksten Schmerzmittel können allerdings auch als Drogen Wirkung entfalten - wie das aus Opium gewonnene Morphin und andere Opioide. Viele Länder haben daher Gesetze gegen den Missbrauch solcher Drogen erlassen, es aber versäumt, deren Einsatz gegen Schmerzen zu gewährleisten.

Auch eine Sondersitzung der Vereinten Nationen, die sich in dieser Woche in Wien mit dem Thema Drogen befassen wird, hat nur die illegale Verwendung im Auge. "Diese Sitzung wird die Politik für die kommenden zehn Jahre festschreiben", sagt Diederik Lohman von Human Rights Watch. "Wir wollen erreichen, dass die UN das Thema Schmerzmittel auf die Tagesordnung setzen, um das unnötige Leiden von Millionen Menschen zu beenden."

Funktionäre streiten ums Geld

Ein bisschen politischer Wille genüge, meint Lohman. So müssten die Länder nur funktionierende Verteilungssysteme aufbauen. Auch müssten Ärzte besser im Gebrauch der Medikamente unterrichtet werden - und sie dürften keine Restriktionen fürchten. Das aber tun sie oft. "Ärzte haben Angst vor Morphin", sagte der kenianische Arzt John Weru zu Human Rights Watch. "Außerdem sind sie so daran gewöhnt, Menschen unter Schmerzen sterben zu sehen, dass sie denken, man muss so sterben."

Wer glaubt, das Problem treffe nur Entwicklungsländer, irrt. Auch hierzulande bekommen zu wenig Patienten eine adäquate Schmerztherapie, wie die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS) beklagt. Deutschland sei das Schlusslicht in Europa. In Ländern mit vorbildlicher Tumorschmerzversorgung wie Dänemark werden der DGSS zufolge pro Million Einwohner bis zu viermal so viele Opioide eingesetzt wie in Deutschland. Die DGSS hat den kommenden Mittwoch daher zum Nationalen Tag gegen den Tumorschmerz erhoben.

"Wir können Schmerzen von Krebskranken heute in über 90 Prozent der Fälle wirksam behandeln", sagt Stefan Wirz, Sprecher des Arbeitskreises Tumorschmerz der DGSS. Dazu müssten die Patienten nur konsequent nach den Richtlinien der modernen Schmerztherapie behandelt werden.

Wenn die Beschwerden aber nicht rechtzeitig therapiert werden, können die Schmerzen ein Leben lang anhalten, selbst wenn der Krebs besiegt wurde. "Es ist ein Skandal", sagt Wirz, "dass immer noch zwei Drittel aller Krebspatienten trotz ärztlicher Betreuung unter chronischen Schmerzen leiden und sich jeder dritte deshalb sogar einen schnellen Tod wünscht."

Gesetzlich verankerter Anspruch auf Schmerztherapie

Eigentlich haben unheilbar Kranke seit April 2007 sogar einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Schmerztherapie in den eigenen vier Wänden. Die Gesundheitsreform sollte es ermöglichen, dass Todkranke bis zuletzt zu Hause bleiben können, wo ihnen auch die Schmerzen soweit wie möglich genommen werden. Insgesamt 250 Millionen Euro hat die Bundesregierung für diese ambulante Palliativversorgung zur Verfügung gestellt.

"Aber das Geld kommt nicht bei den Patienten an", sagt Michael Zenz, Schmerzspezialist an den Kliniken der Universität Bochum. Es werde von den Krankenkassen nicht weitergegeben. Offenbar schafft es die sogenannte Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten nicht, sich über Details zu einigen. Einer aktuellen Studie zufolge bekommen nur etwa vier Prozent aller Sterbenden eine angemessene Palliativversorgung.

Mitunter hapert es aber auch an der Qualität der Behandlung. Stefan Wirz zufolge sind deutsche Ärzte oft zu schlecht ausgebildet. "Sie können ihr Studium abschließen, ohne je etwas über Schmerztherapie gelernt zu haben", sagt er.

Zugleich würden sich überkommene Vorurteile hartnäckig halten, die Opioide mit Sterbehilfe in Verbindung bringen. "Viele Ärzte nehmen sich auch nicht die Zeit, mit den Kranken über Schmerzen zu reden", sagt Wirz. "Wir wollen die Patienten ermutigen, ihr Recht einzufordern. Man muss den Schmerz nicht einfach ertragen."

© SZ vom 10.03.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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