Krebsimpfung:Janusköpfige Generäle gegen Tumoren

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Erst in einigen Jahren werden Ärzte wissen, wie gut welche Immunzellen gegen Krebs wirken, unseriöse Anbieter kassieren schon jetzt fleißig.

Holger Wormer

(SZ vom 29.10.2002) - Die Ärzte sprechen von "Waffen", "Armeen", "Attacken" - und haben doch ein friedliches Ziel. Ihr Gegner heißt Krebs, die Armeen sind Zellen des Immunsystems. Besonders konzentrieren sich die Forscher derzeit auf die "Generäle" dieser Armeen: dendritische Zellen. Richtet man diese speziellen weißen Blutkörperchen im Labor mit Tumor-Eiweißen auf den Feind ab und schickt sie in den Körper, rüsten sie die Immunabwehr gegen Krebszellen. Diese Art Impfung, so hoffen Ärzte, könnte neben Operation, Bestrahlung und Chemotherapie die vierte Säule in der Tumortherapie werden (1).

Viele Fragen

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Die Ärzte stehen vor einer Gleichung mit vielen Unbekannten: Welche Krebsarten kommen in Frage? Worauf soll man die Zellen abrichten? Nimmt man reife oder unreife Zellen oder jene Konstrukte, die bei einer Studie aus Göttingen und Tübingen ins Zwielicht gerieten? Wie viele davon? Der eine schwört auf 100.000, der andere auf 100 Millionen pro Dosis. Ist die Versuchs-Spritze befüllt, bleibt die Frage wohin: Unter die Haut, in die Vene oder in den Lymphknoten? Und wie oft überhaupt?

Erkennbarer Erfolg

"Das ist das Dilemma", sagt Dirk Schadendorf vom Deutschen Krebsforschungszentrum: "Man kann diese Fragen nicht alle auf einmal beantworten." Er hofft auf eine der größten Studien dazu, an der fünf deutsche Zentren sowie die Uniklinik Zürich beteiligt sind. An 240 Hautkrebskranken wollen die Ärzte Impfung und Chemotherapie vergleichen. Zur Halbzeit sind nun rund 100 Patienten mit Dendritenzellen behandelt. Für Resultate ist es zu früh, aber Schadendorf gibt sich optimistisch: "Kein Allheilmittel, aber ein erkennbarer Erfolg."

Es wird Jahre dauern

Andere Experten halten solche großen "Phase III"-Studien für verfrüht. Jahre werde es dauern, bis man im Labor und mit Pilotstudien an wenigen Patienten genug Wissen angesammelt habe, um die Dendritenzell-Impfung in großem Stil auszuprobieren. Für die meisten Tumorarten sieht Schadendorf das ähnlich. Beim Hautkrebs (Melanom) seien die Vorarbeiten aber am weitesten fortgeschritten. Insgesamt werden die Zellen in seiner Studie mit 20 im Labor nachgebauten Tumor-Eiweißen beladen, die das Immunsystem zum Angriff auf den Krebs anstacheln sollen.

Definierte Moleküle

Darin sieht Andreas Mackensen von der Universität Regensburg einen Vorteil. Denn bisher hatten Ärzte den Kranken oft einfach Tumorzellen entnommen, im Labor behandelt und sie wieder gespritzt: "Früher hat niemand gewusst, was er da eigentlich impft. Jetzt hat man die Antigene als definierte Moleküle in der Hand." Damit könne die Therapie gezielter und reproduzierbarer werden.

Über Versäumnisse beim Herumprobieren scheinen sich nun einige Ärzte bewusst zu sein. Sie fordern strenge Qualitätskontrollen, nach jeder Impfung soll genau dokumentiert werden, was im Körper geschieht (2). So könnten sich die vielen Fragen besser klären lassen. Zudem ist der Patient besser vor Nebenwirkungen geschützt. Immerhin können sich die geschärften Waffen des Immunsystems auch gegen den eigenen Körper richten.

Wirkung unklar

Wie wirksam die teuren Impfungen aber sein werden, weiß niemand. "Bisherige Studien sagen über eine therapeutische Qualität nichts aus", räumt Mackensen ein. Er glaubt, dass die Impfung vor allem bei "minimalen Resterkrankungen" (etwa nach Operation und Chemotherapie) zum Einsatz kommen könnte.

Vorerst überwiegt Ernüchterung. Mit der Göttinger Studie ist ausgerechnet eine von zwei Arbeiten ins Kreuzfeuer geraten, die noch den deutlichsten Nutzen für Patienten versprach. Der medienwirksame Jubel über angebliche Erfolge hat zudem jene Geschäftemacherei beflügelt, die bei Krebs-Impfungen seit Jahren beklagt wird. "Auf dem Boden der Mitteilungen ist Euphorie entstanden", sagt Reinhard Andreesen von der Universität Regensburg: "Da haben sich private Zelltherapiezentren drangehängt, die sich teuer bezahlen lassen, was völlig ohne wissenschaftlichen Beweis ist."

(1)Dt. Ärzteblatt, Bd.99, S.2408, 2002 (2) Nature Medicine, Bd.7, S.761, 2001

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