Krebs-Screening:Untersuchung unnötig

Lesezeit: 2 min

Das Screening auf Schilddrüsenkrebs richtet mehr Schaden an, als es nutzt. US-Mediziner empfehlen nun, die Reihenuntersuchung von Patienten einzustellen, die keinerlei Symptome zeigen. Denn auch so haben Patienten eine sehr gute Prognose.

Von Werner Bartens

Nein, nicht nötig. So sollte die Reaktion von Ärzten wie Patienten ausfallen, wenn es um das Screening auf Schilddrüsenkrebs geht. Die Reihenuntersuchung von Patienten, die keinerlei Symptome haben, die auf den Tumor hinweisen, ist nicht sinnvoll. Ein Nutzen der Untersuchung ist nicht erwiesen, der Schaden überwiegt. Mit solchen klaren Worten zeigt die US Preventive Services Task Force (USPSTF), ein unabhängiger Zusammenschluss von Ärzten und anderen medizinischen Experten, dass immer mehr Diagnostik Menschen nicht zwangsläufig gesünder macht.

Im Fachmagazin Jama sind mehrere Beiträge zum Thema erschienen. Die Autoren belegen, dass die frühere Diagnose eines Schilddrüsen-Karzinoms nicht dazu führt, dass die Menschen besser oder länger leben. Wird ein Knoten in der Drüse getastet und mit Ultraschall bestätigt, wissen die Ärzte noch nicht genau, wie gefährlich der Tumor ist. Dennoch werden Patienten dann oft operiert, bestrahlt oder beides.

Der Krebs ist selten und hat eine "exzellente Prognose", wie Experten betonen, sodass 98,1 Prozent aller Betroffenen die ersten fünf Jahre überleben (bei einem auf die Drüse begrenzten Tumor sogar 99,9 Prozent). Daher kann durch eine Behandlung nicht viel verbessert werden. Trotz dieser Erkenntnis untersuchen Ärzte immer mehr Menschen auf den Tumor - und erheben immer häufiger auffällige Befunde. Mittlerweile werden in den USA 15,3 Fälle von Schilddrüsenkrebs pro 100 000 Einwohner diagnostiziert. 1975 waren es nur 4,9 Fälle unter 100 000 Einwohnern. Kein Tumor hat so rasante Zuwachsraten. Dabei tritt der Krebs nicht häufiger auf, sondern er wird nur häufiger entdeckt.

Dass dieser Trend den Menschen nicht hilft, zeigt das Beispiel Südkorea. Dort wurde in den 1990er-Jahren das Screening auf Schilddrüsenkrebs begonnen. Seitdem erhöhte sich die jährliche Diagnosehäufigkeit von vier auf 69 Fälle pro 100 000 Einwohner. In Südkorea bekommen inzwischen jedes Jahr 40 000 Menschen die Diagnose. Nutzen tut das nichts, denn da der Krebs auch ohne Behandlung meist harmlos bleibt, hat sich die Anzahl der Todesfälle nicht verändert. Etwa 400 Menschen sterben jedes Jahr in Südkorea an Schilddrüsenkrebs. So viele waren es vor Beginn des Screenings und so viele sind es immer noch - trotz Diagnostik und Therapie.

Zu den Nebenwirkungen einer Operation kann die Lähmung der Stimmbänder zählen

Nebenwirkungen nehmen hingegen zu. "Zu den Komplikationen einer Operation gehören zu zwei Prozent Stimmbandlähmungen und zu elf Prozent eine Unterfunktion der Nebenschilddrüse mit Kalziummangel, Lähmungen und Krämpfen", sagt die Hormonexpertin Anne Cappola von der University of Pennsylvania. "Das ist alles andere als trivial." Sie fordert neue Untersuchungsmethoden, um besser erkennen zu können, aus welchen auffälligen Knoten sich tatsächlich ein bedrohlicher Krebs entwickelt - dieses Risiko wird auf sieben bis neun Prozent geschätzt.

Ärzte um Jennifer Lin kommen zu ähnlichen Ergebnissen, was die Nebenwirkungen angeht. Zudem treten nach einer Bestrahlung mehr Zweittumoren auf. "Ein Screening, bei dem beschwerdefreie Schilddrüsenkrebse entdeckt und diese überdiagnostizierten Tumore dann behandelt werden, schadet mehr, als dass es nutzt", warnt die Medizinerin. Andere Fachzeitschriften können sich an dieser Art von Aufklärung ein Beispiel nehmen. Die Artikelserie schließt mit einer "Patient Page" ab. Dort wird in verständlicher Sprache erklärt, wie die Nutzen-Schaden-Bilanz für Patienten ausfällt. "In Deutschland werden jedes Jahr 70 000 Menschen an der Schilddrüse operiert, obwohl nur 5000 einen Tumor haben und diese mit einer guten Prognose einhergehen", sagt der Hormonexperte Martin Reincke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. "Das ist ein Beispiel für gut gemeinte Vorsorge, die katastrophale Folgen für die Gesundheit haben kann."

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: