Kommentar:Warten bis der Arzt kommt

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Felix Hütten würde sich freuen, wenn die Ärzte wieder mehr Hausbesuche machen würden. (Foto: sz)

Die Menschen lassen sich alles bis an die Haustür liefern. Nur der Hausarzt klingelt immer seltener. Dabei kann sich ein Arztbesuch auch lohnen.

Von Felix Hütten

Total paradox: Im Zeitalter der Digitalisierung bestellen Menschen ihren Lebensbedarf in Massen über das Internet, bis an die Haustür: Essen, Windeln, Medikamente, ständig parkt ein Lieferwagen auf dem Fahrradweg, um Kartons bis an die Wohnungstüren zu bringen. Nur wenn es um die eigene Gesundheit geht, dann kommt niemand. Tatsächlich sinkt die Zahl der Hausbesuche von Ärzten seit Jahren, wie diese Woche eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei gezeigt hat. Sicher, dieser Zustand hat viele Gründe, zum Beispiel verdienen Ärzte mit dem Vor-Ort-Service nicht arg viel mehr als den Stundenlohn eines übermüdeten Paketfahrers. Kurzum: Hausbesuche sind unattraktiv, anstrengend, zeitraubend.

Aber es gibt da noch einen Grund, diesmal aus Sicht der Patienten gesprochen: Die persönliche Beziehung zu einem Hausarzt pflegen immer weniger, besonders in Ballungsräumen kennt man sich nicht, will man oft auch gar nicht. Den Pizza-Lieferservice ordert man bequem per App nach Hause, aber einen Arzt, der zu einem ans Bett tritt? Gibt's das überhaupt noch? Und wie organisiert man den? So eine App ist ja schnell installiert, aber die Bereitschaftsnummer 116 117, nur als Beispiel, kennt ja kaum einer in diesem Land.

Eine verstopfte Nase oder einen kantigen Husten erkennt man auch im Videochat

Also schleppt sich so mancher Patient, von der Grippe oder einem Durchfall geplagt, im besten Fall in die Hausarztpraxis, oft aber leider auch in die Notaufnahme. Wo er dann nach Minuten oder Stunden im Beisein anderer Menschen im Wartezimmer, die er im schlechtesten, aber leider häufigen Fall auch noch ansteckt, zur Ärztin vorgelassen wird. Die bescheinigt ihm dann nach einer kurzen Untersuchung in dreifacher Papierform, ja genau, dieser Mensch gehört ins Bett und nicht ins Büro. Na danke, eigentlich wäre es doch besser gewesen, das naheliegende Urteil eben nicht außer Haus, sondern, genau, zu Hause zu bekommen.

Andererseits ist es auch eine gewisse Ressourcenverschwendung, wenn ein Arzt 40 Minuten im Auto sitzt, um dem Patienten in dessen Wohnzimmer zu verordnen, was ohnehin klar ist: bitte Bettruhe. Besser wäre es, wenn nur die Patienten, die den Hausbesuch tatsächlich brauchen, insbesondere ältere und einsame Menschen, ihn auch weiterhin bekommen. Alle anderen Menschen mit nur leichten Beschwerden brauchen keinen direkten Kontakt zum Arzt, jedenfalls keinen physischen, egal ob zu Hause oder in einer Praxis. Für sie gäbe es eine Lösung, die zu einem Leben mit Smartphone passt. Sie könnten zum Beispiel über Videochat eine Krankschreibung erhalten, denn eine verstopfte Nase und oder einen kantigen Husten erkennt man auch am Bildschirm. Und wenn nicht, dann lohnt sich auch ein Hausbesuch.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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