Klimawandel:Spaß bis zum Absaufen

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Warum tut der Mensch so wenig, um den Klimawandel zu bekämpfen? Seine Bereitschaft, an Wahrheiten vorbeizuschauen, ist sehr groß, wenn er aus dem Weggucken Profit ziehen kann.

Holger Gertz

Der heiße Juli während der Fußball-WM - super. 25 Grad Ende Oktober - da spart man sich die Reise nach Mallorca. Auch die Medien berichten lieber über reißerische Hitzerekorde als über die zerstörerischen Folgen des Klimawandels, weil Betroffenheitsjournalismus keine Quote bringt.

Die Menschen geniessen die hohen Temperaturen wie hier an der Ostsee. (Foto: Foto: dpa)

Der Sommer 2006 war ein Sommer der Lust, der Rekordlust. Wegen der Weltmeisterschaft rannten die Menschen auf die Straße und trafen sich auf den sogenannten Fanmeilen, um gemeinsam Fußball anzuschauen.

Von Spiel zu Spiel kamen mehr Menschen, gleichzeitig wurde es immer heißer in Deutschland, und als es auf das Halbfinale zuging, bestanden die Nachrichten im Fernsehen vor allem aus Rekordmeldungen.

Die Partymacher bei den Sendern zählten die Menschen auf den Fanmeilen mit jener akribischen Begeisterung, mit der sie auch Temperatursäulen verglichen: Nur noch hunderttausend Fans fehlen bis zur Million am Brandenburger Tor! Nur noch drei Grad bis zum Hitzerekord von 2003!

Dass unter den Fans jede Menge besoffene Kinder waren, die vollgekotzt aus der Menge gezogen werden mussten, war wurscht, und dass die Hitzerekorde etwas mit dem Klimawandel zu tun haben könnten, interessierte auch nicht.

Das ZDF hatte sich den inoffiziellen Kampfnamen "Zentrum der Freude" zugelegt, und von den Privatsendern wird keiner erwarten, dass sie sich in einem solchen Moment gegen den Zeitgeist stellen - wo sie doch immer so verbissen auf der Suche nach dem Zeitgeist sind.

"Is doch supi, so"n ultralanger Sommer"

Irgendwann war die WM vorbei, der Sommer ging noch ein bisschen weiter, und als Ende Oktober die Temperatur immer noch bei 25 Grad lag, sagten die Spaßterroristen beim Fernsehen: Der Oktober bricht alle Rekorde. Und dann schickten sie ihre Reporter los, die von Freiburg bis Norderney Passanten interviewten.

Die Männer trugen eine Flasche Szene-Bier in der Hand, die Frauen hatten ein sogenanntes Arschgeweih über den Steiß tätowiert, und sie waren dankbar und glücklich, es auch noch im späten Oktober vorzeigen zu können. "Is doch supi, so"n ultralanger Sommer" oder "Da musst du echt nich" mehr nach Malle", sagten sie. Wenn man es so sieht, spart man durch den Klimawandel sogar richtig Geld.

Solche Reaktionen auf den Begriff Klimawandel sind kennzeichnend für eine Welt, die immer auch Medienwelt ist. Der Mensch ist darauf getrimmt, sich abzulenken. Der Mensch ist imstande, sich an einen Strand zu legen, an dem zwei Tage vorher ein Tsunami gewütet und Hunderte andere Menschen getötet hat.

Er kann sich an der Tour de France berauschen, will die gemeißelten Körper bestaunen, obwohl er weiß, oder doch wissen müsste: Diese Körper werden von Medikamenten gemacht, diese Leistungen sind Betrug. Die Bereitschaft des Menschen, an Wahrheiten vorbeizuschauen, ist enorm, wenn er Profit ziehen kann aus diesem Vorbeischauen.

Was im Einzelfall obszön wirkt, ist ein im Menschen angelegter egoistischer Schutzmechanismus. Würde der Mensch alles Leid um ihn herum auf sich selbst projizieren, würde er schwer depressiv. Je weiter entfernt eine Katastrophe ist, desto leichter fällt es, sie nicht zu sehen.

Sie kann sogar in einem angelegt sein und gleichzeitig weit weg. Wer raucht, merkt in der Regel nicht, wie der Krebs wuchert; und wenn er ständig husten muss, könnte er sich auch eine Bronchitis eingefangen haben.

Die Fähigkeit, Gefahren auszublenden, kann eine Qualität sein - und Verstärkung der Gefahr, wenn Ignoranz daraus wird. Was den Klimawandel angeht, hat kürzlich Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Grünen, der Frankfurter Rundschau ein Interview gegeben.

Er sagte: "Unsere Strategie heißt, mehr gesellschaftliche Initiative zu entwickeln, um Veränderungen anzutreiben. Stichwort Klima, Stichwort Ausbildungssituation, Stichwort Investition in Bildung." Das Interessanteste an dem Interview war die FR-Nachfrage: "Das klingt wie: zurück zu den Wurzeln. Anti-Atomkraft-Bewegung. Haben Sie nicht Angst, dass das nach einer Partei von gestern klingt?"

Das Fersehen lässt sich vom Publikumsgeschmack erziehen

Die Welt ist immer auch Medienwelt. Wer so fragt, hält das Thema Klima selbst für ein Thema von gestern und liegt damit auf einer Linie mit jenen Medien, die ihr Programm mit Volksmusiksendungen und albernen Quizshows bestreiten und die Informationssendungen ins Spätabendprogramm verfrachten.

Dem Thema Klimawandel ist zu schwergängig fürs Hauptprogramm, es klingt nach den uncoolen Achtzigern, nach Betroffenheitsjournalismus, den viele der schicken neuen Journalisten so sehr ablehnen. Es bringt keine Quote. Es ist zu abstrakt. Es gibt keine Opfer, die man in die Talkshow einladen könnte. Vielleicht, wenn einer Viva-Moderatorin mal der Ast einer jäh verstorbenen Birke auf den Kopf fallen würde. Aber das ist noch nicht vorgekommen.

Wären die Fernsehmacher nicht so versessen auf die Quote, sondern würden ihr hedonistisches Publikum ein bisschen auch erziehen wollen - das Thema Klima hätte einen besseren Platz im Programm. Aber weil Fernsehen - Nischen ausgenommen - sich vom Publikumsgeschmack erziehen lässt, verabschieden sich Sender und Empfänger in eine Welt, in der der Klimawandel gerinnt zu konsumierbaren Zahlen, reißerischen Rekorden: Die meisten Hurrikane! Hurra, portugiesische Libellen jetzt auch auf Sylt!

Die weniger Gebildeten glauben sowieso immer, sie könnten nichts tun.

Die Kommunikationsforscher sprechen von einer Wissenskluft. Immer mehr Medienangebote gibt es, aber immer weniger wissen sie für sich gewinnbringend zu nutzen.

Die Gebildeten werden immer klüger, die weniger Gebildeten stumpfen immer weiter ab. Beiden gemein ist das Gefühl, gegen den Klimawandel wenig tun zu können. Die weniger Gebildeten glauben sowieso immer, sie könnten nichts tun. "Zu viele entmutigende Erfahrungen", sagen die Soziologen.

Die Gebildeten wissen von den Umweltverbrechern in Amerika und China und fragen sich, warum sie eigentlichen einen Katalysator in ihrem Auto haben. Die Gebildeten haben gehört, dass die Panik um asbestverseuchte Wohnungen in den Neunzigern auch geschürt wurde von einer Industrie, die an der Sanierung von angeblich asbestverseuchten Wohnungen dann gut verdient hat.

Die Gebildeten sind deshalb skeptisch gegenüber Horrormeldungen, die weniger Gebildeten sagen, sie haben andere Probleme als die Umwelt; sie würden gern in asbestverseuchten Wohnungen wohnen, wenn diese bezahlbar wären.

Manchmal treffen sie sich, die Skeptiker, die Besorgten, die Abgeklärten, die Schlauen, die Ignoranten und alle anderen, zum Beispiel auf dem Bahnhof, wo es Mülleimer gibt mit mehreren Fächern. Glas, Papier, Restmüll.

Es ist erstaunlich, wie wenigen der Skeptiker, Besorgten, Abgeklärten, Schlauen, Ignoranten es gelingt, ihren Müll in die dafür vorgesehenen Abteilungen zu werfen. Vielleicht ist es cool, eine Colabüchse in den Papierbehälter zu tun, vielleicht ist es egal. Wenn der Klimawandel etwas mit dem Umweltbewusstsein jedes Einzelnen zu tun hat, hat die Umwelt vom Einzelnen jedenfalls nicht viel zu erwarten. Den Leuten fehlt, wie sagt man: das Problembewusstsein.

© SZ vom 2. November 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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