Klimawandel:Ostsee ist Mordsee

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Der Meeresspiegel steigt an der deutschen Ostseeküste besonders schnell. Und die Küste ist offenbar zu wenig vor Sturmfluten geschützt.

Axel Bojanowski

Der Meeresspiegel steigt an der deutschen Ostseeküste fast doppelt so schnell wie an den anderen Gestaden der Welt. Die Pegel stehen 25 Zentimeter höher als vor 100 Jahren.

Der Meeresspiegel an der deutschen Ostseeküste steigt fast doppelt so schnell wie an den anderen Gestaden der Welt. (Foto: Foto: dpa)

Für die Hälfte des Anstiegs ist die Landsenkung verantwortlich - eine Folge der jüngsten Eiszeit: Seit die kilometerdicken Gletscher Skandinaviens geschmolzen sind, hebt sich dort das Land.

Die deutsche Küste senkt sich wie das andere Ende einer Wippe - seit 1900 immerhin um zehn Zentimeter.

Hinzu komme das Anschwellen der Ostsee um 15 Zentimeter in den vergangenen 100 Jahren, berichten Forscher der TU Dresden. Die Ostsee folgt dem weltweiten Trend: Aufgrund der Klimaerwärmung dehnt sich das Wasser aus, hinzu kommt Schmelzwasser von Gletschern.

Der Anstieg erhöht die Gefahr schwerer Sturmfluten. Doch nur ein Sechstel der deutschen Ostseeküste ist eingedeicht. Vielerorts - so die Theorie - schützen Hügel das Land. Aber auch vor den Küstenstädten fehlen Deiche.

Noch gelten Stadtteile auf Anhöhen als sicher. Daten Landesregierung Schleswig-Holsteins zeigen aber, dass im Notfall Zehntausende Menschen evakuiert werden müssten. In Kiel wären bei einer Sturmflut bis zu 26.000 Menschen aus tief liegenden Regionen zu retten. Es drohen Sachschäden im Wert von mehreren hundert Millionen Euro.

Um die Gefahr einzuschätzen, orientieren sich die Küstenforscher bislang an der größten bekannten Katastrophe: Am 12. und 13. November 1872 verwüstete die schwerste Sturmflut der vergangenen Jahrhunderte die deutsche Ostseeküste.

In Deutschland starben 63 Menschen, Tausende wurden obdachlos. Damals war die Region weniger dicht besiedelt als heute. Die Lehre aus dem Desaster: Deiche an der deutschen Ostseeküste müssen mindestens 2,75 Meter hoch sein.

Die Deiche sollten zusätzlich aufgestockt werden

Aufgrund des Meeresspiegelanstiegs fordern Experten nun, die Deiche zusätzlich aufzustocken, damit sie eine extreme Flut abhalten können. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten die Meere um 59 Zentimeter anschwellen, warnt der Klimarat der Vereinten Nationen. An der Ostsee verstärkt die Landsenkung diesen Effekt.

Zwar investieren der Bund und die Küstenländer bereits Hunderte Millionen Euro in die Aufstockung der Deiche. Doch weder Schleswig-Holstein, noch Mecklenburg-Vorpommern orientieren sich dabei am Extremszenario.

Wie dieses aussehen könnte, zeigt eine Studie des Deutschen Wetterdienstes DWD. Anhand der Wetterdaten vom November 1872 hat Gudrun Rosenhagen die extreme Sturmflut jenes Jahres nachvollzogen. Bis zwei Tage vor der Sturmflut deutete demnach nichts auf die Katastrophe hin, Südwestwind trieb das Wasser elf Tage lang von der deutschen Ostseeküste weg Richtung Finnland.

Am 10. November drehte der Wind um 180 Grad auf Nordost - und beschleunigte auf Orkanstärke. Die Ostsee-Dünung schwappte zurück, der Wasserstand an der deutschen Küste stieg rapide - bis zu 3,50 Meter über Normal Null. Sollte sich eine solche Wetterlage wiederholen, drohen besonders in Mecklenburg-Vorpommern höhere Fluten als sie bislang für möglich gehalten werden.

© SZ vom 24.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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