Klimaveränderung:Der Klimakollaps ist vermeidbar

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Eine globale, umweltschonende Energie-Versorgung ist möglich: Mit effizienter Einspar-Technik und der Nutzung erneuerbarer Ressourcen.

Manfred Fischedick

Seit Beginn der Industrialisierung wächst der Energieverbrauch deutlich rascher als die Anzahl der Menschen. Während die Weltbevölkerung seit 1870 um den Faktor vier auf jetzt sechs Milliarden Menschen stieg, wuchs der kommerzielle Energieverbrauch um den Faktor 60 - und damit der Verbrauch an den fossilen Ressourcen Kohle, Mineralöl und Erdgas. Der Durchschnittsmensch verbraucht also heute 15-mal mehr Energie als 1870. Was passiert, wenn der heutige Lebens- und Konsumstil der westlichen Industrieländer auf die Volkswirtschaften der Schwellen- und Entwicklungsländer übertragen wird, also dort ein ähnlicher Pro-Kopf-Verbrauch an Energie erreicht würden? Je nach Energieträgermix wäre dann eine Verdoppelung, möglicherweise aber auch eine Verdreifachung, des CO 2-Ausstoßes die Folge, mit weit reichenden Konsequenzen für das Weltklima. Auch Öl und Gas gingen viel rascher zur Neige, als wir das heute glauben mögen, denn die gegenwärtig als sicher einzustufenden Reserven reichen selbst auf der Grundlage heutiger Fördermengen nur noch für wenige Jahrzehnte.

Smog über der chilenischen Hauptstadt Santiago: Die durch Landflucht zunehmende Ballung in den Zentren der Welt führt zu massiven Umweltproblemen und produziert vielfach neue Armut. (Foto: N/A)

Es bedarf keiner ausgeprägten Phantasie, um zu erkennen, dass ein solches "Laufen lassen" der Entwicklung mit dem Konzept der Nachhaltigkeit nicht zu vereinbaren ist. Vielmehr wäre es unverantwortlich, künftigen Generationen eine solche Welt zu hinterlassen. Genauso unverantwortlich ist es aber, große Teile der Weltbevölkerung von der weiteren Entwicklung auszuschließen.

Die Industrieländer, die bei einem Bevölkerungsanteil von nur rund einem Fünftel auch heute noch mehr als 70 Prozent der kommerziell eingesetzten Primärenergie nutzen, haben sicher nicht die Legitimation, sich gegen die "nachholende Entwicklung" der Entwicklungsländer zu stellen. Vielmehr stehen sie in der Pflicht, alternative Wege aufzuzeigen, die eine klimaverträgliche Energieversorgung aller Menschen ermöglichen, und die notwendigen Technologien dafür zu entwickeln. Die Aufgaben sind aber noch weit komplexer. Klimaverträgliche Energieversorgung bedeutet vor allem den Ausstieg aus der Kohlenstoff-Ära in den Industrieländern und den umweltschonenden Aufbau von Versorgungsstrukturen in den Entwicklungsländern - auch heute sind noch mehr als zwei Milliarden Menschen nicht an das elektrische Netz angeschlossen und damit ausgeschlossen von den modernen Kommunikations- und Handelsströmen.

Diese Prozesse sind aber in Einklang zu bringen mit dem Streben nach einer sicheren Versorgung mit sauberem Wasser, einer zukunftsfähigen Urbanisierung (im Jahr 2015 wird es weltweit voraussichtlich mehr als 30 Städte geben mit einer Einwohnerzahl oberhalb von 10 Millionen), einer zunehmenden Dematerialisierung (durch effizientes Recycling und sorgfältige Produktauswahl), der nachhaltigen Deckung der Mobilitätsbedürfnisse, der umweltverträglichen Versorgung mit Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen sowie letztlich der internationalen Vernetzung der Informations- und Warenströme.

Wie aber kann eine solche Energieversorgung aussehen? Die Graphik zeigt die ganze Bandbreite: Der stark wachsende Energieverbrauch in den Modellen A und B der Weltenergiekonferenz (WEC) und von Shell belegen, dass bei gleich bleibendem Wachstum und weiter steigendem Energieverbrauch auch hohe Beiträge der erneuerbaren Energien ein weiteres Anwachsen des Schadstoffausstoßes nicht vermeiden. Dies unterstreicht die enorme Bedeutung eines wesentlich sparsameren Umgangs mit Energie - speziell in den Industrieländern mit ihrem hohen Pro-Kopf-Verbrauch. Dabei geht es nicht um einen Verzicht oder eine Einschränkung des Lebensstils. Intelligente Sparpolitik setzt auf den Einsatz effizienter Geräte und Produktionsverfahren, die die nachgefragte Dienstleistung mit weniger Energieeinsatz bereitstellt. Diese Techniken sind heute schon entwickelt und wirtschaftlich einsetzbar.

Nur wenn der Anstieg des Gesamtenergieverbrauchs also gedrosselt werden kann, ist, wie einige der Szenarien in der Abbildung (WEC C, RIGES, Faktor 4 und SEE) zeigen, überhaupt eine Abnahme der CO 2-Emissionen erreichbar. Will man diese verringern, wird neben dem Zwang zum Energiesparen aus den Modellrechnungen ein zweiter Trend sichtbar: Alle Untersuchungen gehen von einer starken Zunahme erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2050 aus; die Beiträge reichen von 270 Exajoule im Szenario Faktor 4 bis etwa 580 Exajoule im Szenario von Shell. Gegenüber der heutigen Situation, in der erneuerbare Energien (vor allem die traditionelle Nutzung der Biomasse) einen Anteil von knapp 20 Prozent an der Deckung des Primärenergiebedarfs einnehmen, bedeutet dies eine Erhöhung um den Faktor 3,5 beziehungsweise 7,5. Die Energieversorgung basiert dann weltweit zu mehr als 60Prozent auf erneuerbaren Energien. Vom Potenzial und von der technischen Machbarkeit aus gesehen ist eine derartige Entwicklung durchaus realistisch. Die Optionen werden aber nur dann genutzt werden, wenn eine erhöhte Bereitschaft zum politischen Handeln gegeben ist und Umweltschutz wieder vermehrt Eingang in die gesellschaftliche Diskussion findet. Eine global klimaverträgliche Energieversorgung ist entgegen vielfältiger Befürchtungen auch finanzierbar. Dies gilt gerade dann, wenn die Erhöhung der Energieeffizienz einen wesentlichen Beitrag leistet. Viele Einsparmaßnahmen haben Perspektiven auf hohe Renditen.

Die Anforderungen - Klimaschutz, Risikominimierung und Angleichung der globalen Lebensbedingungen - dulden keinen Aufschub. Sie erfordern, dass bereits heute die wesentlichen Richtungsentscheidungen getroffen werden und zwar international. Diejenigen, die wie die USA den Prozess bremsen wollen, werden spätestens dann auf den beschriebenen Pfad einschwenken, wenn ihnen andere Länder vormachen, wie hiermit neue zukunftsfähige Märkte erschlossen werden können, die Wohlstand und Beschäftigung sichern helfen. Die in Deutschland in den letzten zehn Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien rund 30000 geschaffenen Arbeitsplätze sind ein solches Zeichen. Im Jahr 2010 werden es deutlich mehr sein.

Der Autor ist Projektleiter in der Abteilung Energie am Wuppertal Institut.

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