Klimaschützerin:"Mit dem Rücken zur Wand"

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Jennifer Morgan über den Weg zu einem globalen Klimaabkommen, den Unterschied zwischen den Verhandlungen von Kopenhagen und Paris und das G-7-Treffen in Bayern.

Interview von Marlene Weiss

Wenn sich die G-7-Staatschefs am Wochenende auf Schloss Elmau treffen, wird es auch um das Klima gehen: Schließlich soll Ende des Jahres in Paris endlich ein neues, globales Klimaabkommen beschlossen werden. Das World Resources Institute (WRI) mischt sich seit Langem in diesen Prozess ein. Es hat weltweit Wissenschaftler und andere Experten zusammengebracht, um ein solches Abkommen vorzubereiten.

SZ: Was sollte der Pariser Klimavertrag enthalten?

Jennifer Morgan: Das Abkommen muss zeigen, dass die Wende zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft schneller gelingt als bisher angekündigt. Dazu gehören drei kurzfristige Ziele: für die Verringerung der CO2-Emissionen, für Maßnahmen zur Anpassung, für die Unterstützung der Entwicklungsländer. Und zwei Langfristziele: Eines für Dekarbonisierung, ähnlich wie das Zwei-Grad-Ziel, aber konkreter - die Emissionen müssen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf null sinken. Außerdem ein zweites Ziel für Anpassung, das alle Länder in die Pflicht nimmt. Alle fünf Jahre sollten die Länder ihre Verpflichtungen verstärken müssen, bis die Langfristziele erreicht sind.

Aber dann muss ja ständig nachverhandelt werden - wäre es nicht besser, sich gleich dauerhaft zu verpflichten?

Nein. Ich bin nicht bereit, die bisherigen Angebote für die Zeit bis 2030 zu akzeptieren. Wenn wir das tun, dann stecken wir zu lange in zu geringen Ambitionen fest. Auch die USA und die Inselstaaten wollen ja so einen Fünf-Jahres-Zyklus, aber eben erst ab 2025, die EU sogar erst ab 2030. Ich sage: Wir brauchen das jetzt.

Ist ein Abkommen überhaupt realistisch? Die letzte Klimakonferenz in Kopenhagen ist krachend gescheitert.

Es ist jetzt aber anders als vor Kopenhagen. Erneuerbare Energieformen sind viel billiger geworden, es gibt mehr Erfahrung damit; viele Länder verstehen, dass sie Klimaschutz und Wachstum gleichzeitig schaffen können. Und den ganz großen Unterschied machen China und die USA aus.

Weil die beiden Staaten Ende vergangenen Jahres gemeinsam Klimaziele veröffentlicht haben? Viele meinen, da müsste noch mehr kommen.

Weltweit gehen infolge des Klimawandels die Gletscher zurück. Hier eine Satellitenaufnahme aus China. (Foto: Unesco/dpa)

Ok, das ist vermutlich richtig. Aber die Ziele sind nicht ohne - die USA wollen ihre Emissionen bis 2025 um 28 Prozent verringern, China will die absoluten Emissionen spätestens ab 2030 senken. Ja, das sollte früher passieren. Aber dass die beiden Länder direkt miteinander statt über die Medien reden, das bringt eine ganz andere Dynamik. US-Präsident Barack Obama betrachtet Klimaschutz als eine Frage seines Erbes, er ist bereit, es ohne den Kongress durchzuziehen. Auch dass der G-7-Gipfel im Juni hier in Deutschland stattfindet, ist sehr wichtig, weil es der Kanzlerin eine Bühne verschafft, um auf Staatschef-Ebene über Klimaschutz zu reden.

Der letzte große Auftritt der Klimakanzlerin Merkel war 2007, beim G-8-Gipfel in Heiligendamm. Danach war von Angela Merkels Klima-Ambitionen bald nicht mehr so viel zu sehen.

Der G-7-Gipfel ist ein perfekter Moment für Merkel und Sigmar Gabriel zu zeigen, dass sie die Probleme mit Deutschlands Klimaziel im Griff haben, dass sie alte Kohlekraftwerke vom Netz nehmen. Wenn das gelingt, dann wäre Deutschlands Glaubwürdigkeit intakt. Außerdem kann die Kanzlerin beim Gipfel andere Staaten überzeugen, Japan etwa oder Kanada. Es ist gut, dass die Staatschefs nicht erst in, sondern vor Paris darüber reden, auch das ist ein Unterschied zu Kopenhagen. Denn das sind keine Umweltdebatten mehr, das sind ökonomische Debatten.

Die Preise für CO2-Zertifikate in der EU dümpeln vor sich hin, und ein weltweiter Kohlenstoff-Preis ist nicht in Sicht - dabei galt Emissionshandel einmal als das Nonplusultra im Klimaschutz. Warum ist so wenig daraus geworden?

Es gibt ja viele Länder, die jetzt solche Systeme umsetzen, China hat Pilotversuche, auch einige US-Bundesstaaten. Ich hoffe, dass in Paris wenigstens allgemeine Regeln für solche Systeme vereinbart werden, damit sie fair und umweltfreundlich sind. Aber einen globalen CO2-Preis wird es wohl nicht geben.

Weil es politisch nicht durchsetzbar ist oder weil es der falsche Weg ist?

Beides. In den USA zum Beispiel ist Emissionshandel nach der Finanzkrise nicht populär, obwohl einzelne Bundesstaaten solche Systeme haben. Und wenn er gut umgesetzt ist, kann der CO2-Handel zwar schon ein Teil der Lösung sein, aber es kommt auf die Details an, es gibt viele Möglichkeiten, dass es schiefgeht.

Wissenschaftler können immer präziser berechnen, was man tun müsste, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen - etwa wie viel Kohle und Öl höchstens noch verbrannt werden darf. Was bringt das, wenn doch die Realität völlig anders aussieht?

Jennifer Morgan leitet das Klimaprogramm beim Umwelt-Think-Tank "World Resources Institute". Sie gehört zum wissenschaftlichen Beirat des Potsdam-Instituts. (Foto: World Resources Institute)

Die Forschung ist trotzdem wichtig. Forscher können wissenschaftlich begründete Ideen zum Verhandlungsprozess beitragen. Sie können den Menschen in ihren jeweiligen Ländern erklären, was der Klimawandel dort konkret bedeutet, für Unternehmen, für Bauern, für Stadtplaner. Und sie sollten mit Unternehmen reden. Viele wollen sich nicht in die Politik einmischen, aber die Fakten gehören auf den Tisch der Vorstände von Siemens, BMW oder Shell. Bei den Finanzinstituten sehe ich da inzwischen etwas Bewegung; sie haben einen Draht zur Wissenschaft, sie sind mit Risiken vertraut. Der norwegische Pensionsfonds zum Beispiel will künftig nicht mehr in die Kohleindustrie investieren, ich glaube, so etwas wird es noch öfter geben. Da muss die Wissenschaft ansetzen, bei Regierungen, Banken, Unternehmen, Städten.

Das Zwei-Grad-Ziel, auf das sich die UN 2010 verständigt haben, ist nach vielen Jahren Untätigkeit nur noch sehr schwer zu erreichen. Wäre es nicht Zeit, ein realistischeres Ziel zu setzen?

Nein, noch können wir es schaffen, die nächsten zehn Jahre werden entscheidend sein. Wir brauchen aber auch Anpassung: Man sollte weiter für zwei Grad kämpfen, und für drei oder vier Grad planen. Vor allem aber muss als Langfristziel im Pariser Abkommen stehen, dass die Emissionen auf null sinken müssen. Noch haben wir die Wahl, ob es dahin einen geordneten oder einen chaotischen Übergang gibt.

Es gibt eine dritte Möglichkeit: Gar kein Übergang - die Klimakatastrophe.

Ich glaube noch an die Kreativität der Menschen. Wenn ich sehe, wie der Preis von Erneuerbaren sinkt, wie schnell der technische Fortschritt sein kann, dann habe ich noch Hoffnung. Aber wir stehen mit dem Rücken zur Wand.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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