Klimadebatte:Schnaps-Idee für saubere Autos

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In Brasilien ersetzt Alkohol aus Zuckerrohr das Benzin. Umweltschützer warnen bereits vor riesigen Plantagen in der Amazonasregion.

Peter Burghardt

Brasiliens Fortschritt riecht nach Schnaps, bald soll der Rausch die halbe Welt erfassen. Das scharfe Aroma von Alkohol steigt an den Tankstellen des südamerikanischen Landes in die Nase - jede davon ist per Gesetz dazu verpflichtet, an mindestens einer Zapfsäule Ethanol auszuschenken. Ein Liter kostet um die 50 Cents, fast jedes zweite Auto fährt damit. Zu einem Viertel wird auch das fast doppelt so teure Benzin damit versetzt, außerdem ist gewöhnlich Erdgas im Angebot. Moderne Fahrzeuge vertragen sogar die Mischung aus mehreren Kraftstoffen.

Zuckerbauern werden reich wie Ölscheichs: Ein Zuckerrohrfeld in Brasilien (Foto: Foto: AP)

Drei von vier Neuwagen sind mit selbst regulierenden "Flexible-Fuel"-Motoren ausgestattet, bei VW do Brasil sämtliche Modelle. So produziert selbst der irrwitzige Stau auf den Straßen eines Betondschungels wie São Paulo weniger Kohlendioxid und Blei als anderswo. Oft werden die Abgase überlagert durch den Geruch von vergorenem Zuckerrohr.

Das Süßgras von den Plantagen des Bundesstaates São Paulo und anderen Anbaugebieten des größten Landes Lateinamerikas dient traditionell zur Herstellung von Zucker und der Spirituose Cachaça, die in dem Mixgetränk Caipirinha globale Verwendung findet. Vor allem aber entsteht daraus dieser Stoff, der das Verkehrswesen revolutionieren und die Natur retten soll.In den USA wird Ethanol aus Mais destilliert, in Brasilien aus Zuckerrohr, Fachname Saccharum.

Die umblätterten Stengel gedeihen auf derzeit ungefähr sechs Millionen Hektar, täglich werden es mehr. Aus der Rekordernte von 475 Millionen Tonnen 2006/2007 wurden 30 Millionen Tonnen Zucker und 17,8 Milliarden Liter Ethanol gewonnen, 3,5 Milliarden Liter flossen ins Ausland. Bald soll es ein Vielfaches sein, denn dieser grüne Boom beginnt gerade erst so richtig. Dabei liegen seine Anfänge bereits drei Jahrzehnte zurück.

30 milliarden Liter als Ziel

In den siebziger Jahren fing die brasilianische Militärdiktatur damit an, Benzin durch Derivate von Zuckerrohr zu ersetzen, das bereits seit portugiesischen Kolonialzeiten gepflanzt wird. Mit dem Programm "Proalcool" reagierten die Generäle auf die Ölkrise, zuvor galt die Branche als Symbol einer überkommenen Vergangenheit mit Strohhüten und Macheten.Durch die hohen Preise und die absehbare Knappheit fossiler Brennstoffe herrscht unterdessen Goldgräberstimmung.

Brasilien, dank seines Konzerns Petrobras bereits weitgehend autark, will in zehn Jahren mindestens 30 Milliarden Liter Ethanol produzieren. Die weltweite Nachfrage wird nach Berechnungen der Internationalen Energie-Agentur bis 2020 von 40 auf 120 Milliarden Liter pro Jahr steigen, Unterzeichner des Kyoto-Protokolls wollen ebenfalls Alkohol dem Sprit beimischen.

Es entsteht ein gigantischer Markt, Großanleger wie Bill Gates und George Soros investieren. Auch andere Nationen der Region wittern das große Geschäft, darunter Argentinien, Kolumbien, Ecuador. Schon bilden sich strategische Allianzen.

Der amerikanische Präsident George W. Bush vereinbarte bei seiner Lateinamerika-Reise kürzlich mit seinem brasilianischen Kollegen Luiz Inácio Lula da Silva eine Zusammenarbeit auf dem Sektor, am liebsten würde er eine Art Ethanol-Opec gründen, gemeinsam produzieren beide Staaten bereits 70 Prozent des weltweiten Angebots. "Wenn wir vom Erdöl aus dem Ausland abhängig sind, dann haben wir ein Problem der nationalen Sicherheit", berichtete Bush, gemeint waren der explosive Mittlere Osten und das widerspenstige Venezuela.

Für den hochprozentigen Erdöl-Ersatz scheint Brasilien alle Vorteile auf sich zu vereinigen. Die Republik ist 24 mal so groß wie Deutschland, von 100 Millionen Hektar Anbaufläche wird laut Experten bisher nur ein kleiner Teil genützt. Dank des sonnigen Klimas wächst Zuckerrohr ausgezeichnet. Ein Liter Ethanol lässt sich für umgerechnet 0,20 Dollar herstellen, in den USA und Europa ist es deutlich teurer. Der andere Exportschlager heißt Soja, die Bohnen finden auch für Biodiesel Verwendung.

"Nie hatten wir eine so große Gelegenheit, das Öl zu ersetzen", sagt Luiz Carlos Correa Carvalho, Direktor der Beraterfirma Canaplan. "Die Umwelt zu verbessern und erneuerbare Energie anzubieten, das kann viele Arbeitsplätze schaffen", verkündet Industrieminister Luis Fernando Forlan. Entsprechend soll investiert werden. Mindestens 70 weitere Destillier-Anlagen sind allein in den kommenden zehn Jahren nötig, außerdem Pipelines für den Transport in Städte und Häfen.

Zuckerbarone verdienen Geld wie Ölscheichs, ihre Besitzungen fressen sich ins Land, drängen Kakao zurück, teilweise sogar Soja und Weiden. Und Bäume, auch an der ohnehin geschundenen Lunge des Planeten. "Wir haben 80 Millionen Hektar in der Amazonasregion, die sich in das Saudi-Arabien der Biotreibstoffe verwandeln werden", schwärmte der Unternehmer Expedito Parente in der Zeitung O Globo.

Solche Aussichten entsetzen jene, die von dem vermeintlich schonenden Vorstoß begeistert sein müssten. Zuckerrohr sei eine umweltschädliche Monokultur, warnen Naturschützer, von einer sauberen Tankfüllung Alkohol könne keine Rede sein. Exzessive Zuckerrohrwirtschaft sei unpassend für eine nachhaltige Entwicklung, erklärt Greenpeace-Mitarbeiter Marcelo Furtado. Brasilien blase jetzt schon Millionen Tonnen Giftstoffe in die Luft, und 75 Prozent davon stammten von brandgerodeten Feldern.

"Getarnte Sklavenarbeit"

Die Ethanolstrategen gelten als Verbündete der Holzmafia im Namen einer umstrittenen Ökologie. Seit 1970 wurde dem Verband Conservation International zufolge am Amazonas ein Gebiet der Größe Frankreichs abgeholzt. Unter dem früheren Gewerkschaftsführer Lula ließ der Raubbau zuletzt nur geringfügig nach, obwohl er als Zeichen der Zeitenwende eine Ureinwohnerin zur Umweltministerin ernannte, Marina Silva.

Laut ihrer Behörde sei die Zerstörung 2005 zwar um 31 Prozent zurückgegangen und 2006 um weitere elf Prozent, auch gründete Brasilien das größte Naturschutzareal der Erde. Doch 2006 verschwanden offiziell immer noch 16.700 Quadratkilometer Urwald, 6700 Fußballfelder. Greenpeace spricht sogar von einem durchschnittlichen Jahresverlust von 23.000 Quadratmetern.

Selbst die Katholische Bischofskonferenz forderte Präsident Lula auf, den Kahlschlag zu stoppen. Regenwald werde "für Zuckerrohr gefällt, und auch die grauenhafte Ausbeutung wird verschwiegen". Kleinbauern und Eingeborene würden vertrieben, Zuckerrohrarbeiter zugunsten des Profits unmenschlich behandelt.

Auch deshalb seien Brasiliens Ethanol und Biodiesel so billig, alte Zuckerrohrregionen wie Pernambuco und Alagoas sind arm.Für den Mindestlohn von 413 Reais, 160 Euro, müssen Helfer mindestens zehn Tonnen der störrischen Pflanze ernten. "Getarnte Sklavenarbeit", schimpft der Spezialist Pedro Ramos von der Universität Campinas.

Die Katholische Kirche spricht von 17 Toten durch Erschöpfung allein in der Umgebung von São Paulo, auch von Drohungen und Mord ist die Rede."Zucker und Alkohol aus Brasilien sind in Blut, Schweiß und Tod gebadet", sagt die Forscherin Maria Cristina Gonzaga. Hunderte Gruppierungen forderten die EU in einem offenen Brief dazu auf, sich der Alternative Ethanol zu verweigern. Man dürfe nicht Menschen und Böden auslaugen, um Autos anzutreiben.

In Mexiko stiegen durch den amerikanischen Durst nach Ethanol die Tortillapreise, weil in den USA weniger Exportmais übrigbleibt. Drei Millionen Menschen werden durch Bushs Pläne verhungern und verdursten, prophezeit Kubas kranker Comandante Fidel Castro in der kommunistischen Parteizeitung Granma.

Ein brasilianischer Aktivist ließ im Kampf gegen den brasilianischen Missbrauch gar sein Leben. Francisco Anselmo Gomes de Barros, Chef der Umweltschutzorganisation Fuconam, hatte 1982 eine Verordnung erstritten, die empfindliche Landstriche vor der Alkoholproduktion bewahrt, doch der Schutz soll nun fallen. Im November 2005 verbrannte sich der 65 Jahre alte Gomes selbst, um gegen Plantagen und Fabriken am Rande des Feuchtbiotops Pantanal im Südwesten Brasiliens zu protestieren. Bei einer Kundgebung hüllte er sich in zwei Decken und zündete sie an - getränkt mit Benzin.

© SZ vom 7.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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