Klima und Kyoto:"Kyoto ist gescheitert"

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Britische Wissenschaftler fordern, das Kyoto-Protokoll "über Bord zu werfen", weil Klimapolitik radikal neu gedacht werden müsse. Es sei an der Zeit für Programme wie in einer Kriegssituation.

Christopher Schrader

"Es ist Zeit, das Kyoto-Protokoll über Bord zu werfen. Das Abkommen ist gescheitert." Starke Sätze stehen am Anfang des Kommentars zur Klimapolitik im aktuellen Heft von Nature; sie garantieren den beiden britischen Autoren viele Leser, begeisterte Zustimmung von der einen und erbitterte Kritik von der anderen Seite.

Reicht das Kyoto-Protokoll aus, um die Klimaveränderung zu bremsen? (Foto: Foto: AP)

Gwyn Prins von der London School of Economics und Steve Rayner von der Universität Oxford wollen mit ihrem Text die kommende Klimakonferenz von Bali beeinflussen.

Dort beginnen im Dezember Verhandlungen über die Begrenzung von Treibhausgasen nach dem Jahr 2012, wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft: "Klimapolitik muss radikal neu gedacht werden", schreiben die Autoren. "Wird das Versagen der beschlossenen Politik weiter als Erfolg verkauft, könnte die Öffentlichkeit ihr Vertrauen verlieren und ihre Zustimmung zu weiteren Maßnahmen zurückziehen."

Dass die Autoren das Kyoto-Protokoll für gescheitert erklären, fünf Jahre bevor es ausläuft, dürfte manchen erstaunen - zumal sie sich dabei auf ein Buch stützen, das 2001 erschienen ist, drei Jahre vor Inkrafttreten des Abkommens.

"Die Einzigen, die jemals im Plan waren, sind Deutschland und Großbritannien"

"Es gibt keine Anzeichen, dass irgendjemand bis 2012 seine Verpflichtung erfüllen wird", erklärt Steve Rayner. "Die einzigen, die jemals im Plan waren, sind Deutschland und Großbritannien. Und mein Land versucht gerade, sich aus seiner Verpflichtung herauszuwinden."

Auf den Konferenzen auf Bali und danach in Kopenhagen dürfe daher nicht wieder ein globales Abkommen mit noch höheren Reduktionszielen vereinbart werden. Ein solcher Vertrag habe auch keine größere Chance erfüllt zu werden als das Kyoto-Protokoll.

"Wir bräuchten eine effektive Reduktion von 60 bis 80 Prozent. Kein Mensch hat ernsthaft darüber nachgedacht, wie wir das nach dem verwässerten Fünf-Prozent-Ziel von Kyoto schaffen sollen", sagt Rayner.

Das sieht Hans Joachim Schellnhuber anders. "Das Ziel muss sein, Kyoto zu ergänzen, nicht über Bord zu werfen", sagt der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

"Sicher, das Abkommen ist ein bürokratisches Monster und ändert fast nichts. Das wissen wir seit zehn Jahren." Wichtig sei aber vor allem, dass es ein völkerrechtsverbindlicher Einstieg in den Kampf gegen den Klimawandel war.

Jetzt allerdings müssten sich ein weitergehender globaler Vertrag und freiwillige Maßnahmen einzelner Staaten ergänzen. "Wir müssen den Tunnel von beiden Seiten graben - mit allem, was wir haben."

In ihren konkreten Vorschlägen liegen Schellnhuber und Rayner aber nicht weit auseinander. Der Brite schlägt vor, dass zunächst nur die 20 Länder ein Abkommen schließen, die die meisten Treibhausgase ausstoßen; Schellnhuber hält das für eine sinnvolle Ergänzung eines globalen Abkommens unter dem Dach der Vereinten Nationen.

Rayner betont dabei, es solle jedem der 20 Länder selbst überlassen bleiben, mit welchen Mitteln es sein Ziel erreicht. Eine gute Idee sei es zum Beispiel, wenn China massiv in die Produktion von Windkraftturbinen einstiege. Es habe an seinen Küsten ein großes Potential an Windenergie und könne die Anlagen bei seinem Lohnniveau sehr günstig in Massenproduktion herstellen.

Massiv in staatliche Programme investieren

Generell müssten die Länder massiv in staatliche Programme investieren, um die Entwicklung alternativer Energietechniken voranzutreiben. Es seien Programme "wie in einer Kriegssituation" nötig. "Das muss eine strategische Entscheidung der Gesellschaften sein. Der Markt allein kann das nicht", sagt Rayner. "Hätte es beim Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe eine Kosten-Nutzen-Rechnung gegeben, wäre es nie zustande gekommen."

Eine derart massive Finanzspritze für die Forschung hatten zuletzt auch 15 Nobelpreisträger gefordert, die sich auf Einladung Schellnhubers Mitte Oktober in Potsdam getroffen hatten. Wie Rayner mahnten sie darüber hinaus in einem Abschlussdokument, in Zukunft müsse die Welt die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung armer Staaten und den Kampf gegen den Klimawandel als Einheit betrachten.

Ohne eine solche Verpflichtung der Industrieländer, so wird allgemein erwartet, werden sich die Entwicklungs- und Schwellenländer wie China und Indien auf Bali ohnehin auf keinen Vertrag einlassen. Daher stößt Rayner mit seinen Forderungen offene Türen auf.

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