Kindesmisshandlung:Missbrauch schwächt das Immunsystem

Misshandlungen wirken sich nicht nur auf die Seele der Kinder aus. Nach einer schweren Kindheit ist auch das Immunsystem Jahre später noch geschwächt.

Werner Bartens

Manche Verwundungen bleiben ein Leben lang. Wer Opfer einer Misshandlung, eines Unglücks oder einer anderen Traumatisierung geworden ist, hat mit den seelischen Auswirkungen oft Jahrzehnte zu kämpfen - solche Erfahrungen verblassen nie ganz.

Kindesmisshandlung: "Die emotionale Umgebung wirkt sich sehr lange auf die Gesundheit aus."

"Die emotionale Umgebung wirkt sich sehr lange auf die Gesundheit aus."

(Foto: Foto: photocase)

Von "Geistern aus der Kinderstube", die immer wieder zurückkehren, sprechen Psychologen und meinen damit in erster Linie die langfristigen Folgen für das Gemüt. Schlimme Erfahrungen in der Kindheit hinterlassen jedoch nicht nur Narben in der Seele, sondern auch im Körper.

Amerikanische Kinderärzte und Psychologen zeigen nun, dass Stress in der frühen Kindheit dauerhaft das Immunsystem schwächen kann (PNAS, online). "Die emotionale Umgebung wirkt sich sehr lange auf die Gesundheit aus", sagt Seth Pollak von der University of Wisconsin in Madison, der die Studie geleitet hat.

Die Wissenschaftler haben 155 Jugendliche untersucht. Von ihnen hatten 80 eine vergleichsweise glückliche Kindheit ohne Traumatisierung erlebt - ihr Immunsystem war intakt. Jene 34 Jugendlichen in der Studie, die körperlich missbraucht worden waren und daher in emotional instabilen Verhältnissen aufwuchsen, konnten sich hingegen nicht gut gegen Viren, Bakterien und andere Eindringlinge wehren.

Die Mediziner analysierten, wie das Abwehrsystem ihrer Probanden auf Herpes-Simplex-Viren, Typ 1 (HSV-1), reagierte. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung tragen die Erreger von Fieberbläschen und Halsschmerzen in sich, ohne deshalb gleich Beschwerden zu haben.

Symptome treten erst auf, wenn das Virus reaktiviert wird - unter Stress, im Krankheitsfall und wenn das Immunsystem auf andere Weise beeinträchtigt ist. Jugendliche, die in ihrer Kindheit missbraucht worden waren, konnten in der aktuellen Studie die Herpes-Viren in ihrem Körper nicht gut in Schach halten.

Sie mussten mehr Antikörper gegen die Erreger produzieren und auch andere Abwehrmechanismen ihres Immunsystems waren geschwächt. "Bei der Geburt ist unser Immunsystem noch nicht vollständig ausgeprägt", sagt Christopher Coe von der University of Wisconsin, der an der Studie beteiligt war. "Die Zellen sind zwar vorhanden, aber wie sie sich entwickeln und reguliert werden, ist davon abhängig, wie man aufwächst."

Missbrauch schwächt das Immunsystem

Ein weiteres Ergebnis überraschte die Forscher. Sie untersuchten in ihrer Studie auch die Immunreaktion einer dritten Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die ihre früheste Kindheit in Waisenhäusern in Rumänien zugebracht hatten, aber nun in stabilen Verhältnissen in Adoptivfamilien lebten.

Das Abwehrsystem dieser 41 Probanden war ähnlich stark geschwächt wie das der Jugendlichen, die körperlich missbraucht worden waren. "Diese Kinder hatten zwar eine schwierige Kindheit, aber seit mehr als einem Jahrzehnt werden sie geliebt und erleben emotionale Sicherheit", sagt Pollak. "Trotzdem steht ihr Körper so unter Stress, als ob sie missbraucht worden wären."

Eine chronische Stressreaktion des Organismus kann das Lernen und Verhalten von Kindern und Jugendlichen stark beeinträchtigen. Pollak befürchtet, dass in Zukunft Kinder vermehrt unter solchen Einschränkungen leiden werden. Die weltweite Finanzkrise führe schließlich dazu, dass mehr Kinder in Heimen oder anderen Institutionen betreut werden müssen und weniger adoptiert werden können.

Bindungsforscher und Psychosomatiker wissen schon lange, dass frühkindlicher Missbrauch, emotionale Verwahrlosung, extreme Strenge und häufiger Familienstreit in späteren Jahren zu mehr Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Leiden führen.

"Eine unsichere Bindungsentwicklung ist ein großer Risikofaktor", sagt Karl Heinz Brisch, Psychosomatiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In jüngster Zeit zeigen immer mehr Forschungsergebnisse, wie psychisches Leid auch starke körperliche Spuren hinterlässt.

"Frühe Erfahrungen bestimmen auch die neuronalen und hormonellen Reaktionen - und zwar ein Leben lang", sagt Michael Meaney, Neurobiologe an der McGill-Universität im kanadischen Montreal.

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