Kernphysik:Pfunde aus dem Supercomputer

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Bislang konnten Physiker zwar messen, welche Masse Kernbausteine haben. Berechnen konnten sie sie nicht - bis jetzt.

Von Christopher Schrader

Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, kann jeder Mensch morgens auf der Waage erkennen. Seine 60 oder 80 Kilogramm verdankt er Myriaden von winzigen Protonen und Neutronen, die zusammen den Kern jedes Atoms in jedem Molekül in jeder Zelle seines Körpers bilden. Die Hüllen der Atome tragen fast nichts zum Gewicht bei.

Mit Hilfe von Supercomputern haben die Wissenschaftler erstmals die Masse von Protonen, Neutronen und anderen Teilchen berechnet. (Foto: Quelle: Forschungszentrum Jülich)

Aber auch die "festen" Bestandteile in den Atomkernen (die Quarks) bringen zu wenig Masse auf die Waage, um das Gesamtgewicht eines Menschen oder anderer Materie zu erklären.

Sie machen nur einige Prozent aus, der Rest entsteht der gängigen physikalischen Theorie zufolge aus einem wilden Gewusel merkwürdiger Teilchen. Es ist schwer zu verstehen, aber Physiker sind sicher: Dieser große Rest macht etwa 98 von 100 Prozent der Masse aus. Dennoch würde er komplett zwischen den Fingern zerrinnen, versuchte man ihn festzuhalten.

Bislang konnten Physiker zwar höchst präzise messen, welche Masse Kernbausteine haben; aber ihre Theorie, die sogenannte Quantenchromodynamik, erlaubte nicht, diese Masse auch zu berechnen. Dies scheint nun endlich einem deutsch-französisch-ungarischen Team gelungen zu sein ( Science, Bd.322, S.1224, 2008). "Es ist die erste Kalkulation, die die ganze nötige Physik enthält", schreibt Andreas Kronfeld vom Fermilab in Illinois in einem Kommentar dazu.

Die Forscher haben für ihre Berechnung den schnellsten Supercomputer Europas, "Jugene" in Jülich, einige Monate lang beschäftigt. Er musste die drei Quarks in jedem Kernbaustein sowie das umgebende Gewusel simulieren.

Zudem ließen die Physiker um Zoltan Fodor von der Universität Wuppertal den Computer die Rechnung dreimal mit verschiedenen Vorgaben machen, bevor sie die korrekten Massen hochrechneten. Sie kamen bei den Protonen auf 936 Millionen Elektronenvolt (damit messen Physiker Masse und Energie, was für sie das Gleiche ist); der Messwert beträgt 939 Millionen Elektronenvolt. Auch acht weitere, exotische Elementarteilchen schätzte der Computer sehr genau ein.

"Wenn das richtig ist, ist es ein großer Schritt für die Menschheit", sagt Peter Weisz vom Max-Planck-Institut für Physik in München, der allerdings noch die Details der Rechnung prüfen will. "Nach 30 Jahren würde es endlich zeigen, dass die Theorie, mit der wir die Vorgänge in Atomkernen beschreiben, richtig ist."

© SZ vom 21.11.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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